Fotografin Barbara Klemm wird 80

Gespür für den wichtigen Moment

08:19 Minuten
Porträt von Barbara Klemm, ehemalige Redaktionsfotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Barbara Klemm war 35 Jahre lang "FAZ"-Redaktionsfotografin und hat mit der Kamera deutsche Geschichte eingefangen. © dpa/ Rolf Vennenbernd
Barbara Klemm im Gespräch Stephan Karkowsky · 23.12.2019
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Ob Bruderkuss von Honecker und Breschnew oder bewegende Momente der Wendezeit – Barbara Klemm hat mit ihren Fotos deutsche Geschichte bebildert. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag erzählt die langjährige Fotografin der FAZ von ihren Begegnungen mit den Mächtigen.
Stephan Karkowsky: Pressefotografinnen sind meist Teil der "Meute", wie Herlinde Koelbl die großen Gruppen von Kameraleuten und Fotografen genannt hat. Diese Meute lungert oft stundenlang vor Konferenztüren herum, auf Pressekonferenzen und Kongressen, um das eine Bild zu schießen, das sich von der Masse unterscheidet. Der "FAZ"-Fotografin Barbara Klemm sind solche ikonischen Aufnahmen erstaunlich oft gelungen. Vor ihrem 80. Geburtstag in ein paar Tagen wollen wir deshalb gerne einmal darüber sprechen, wie sie das gemacht hat.
Frau Klemm, Sie waren 35 Jahre lang "FAZ"-Redaktionsfotografin. War Ihnen das eigentlich immer bewusst, dass Sie damit die deutsche Geschichte bebildern, dass ganze Generationen durch Ihre Augen auf diese Ereignisse schauen werden?
Besucher der Ausstellung "Blicke über die Mauer"betrachten eine Fotografie von Barbara Klemm.
Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley 1989 auf einer Demo am Alexanderplatz – Barbara Klemm gilt auch als Fotografin der Einheit.© dpa-Zentralbild/ Hendrik Schmidt
Klemm: Na, das kann man natürlich von Anfang an gar nicht wissen, und ich muss Ihnen sagen, man wächst da auch so langsam rein, und nicht immer weiß man auch schon im Vorhinein, ob das ein historisches Bild wird oder nicht. Es gibt Ereignisse, die sind historisch, das weiß man von Anfang an – wie der Mauerfall –, aber manche Dinge ergeben erst hinterher einen historischen Aspekt.

Legendäres Bruderkuss-Bild

Karkowsky: Ja, ganz besonders durch das, was dann passiert, womit man vielleicht auch nicht rechnen konnte. Reden wir mal über das legendäre Bruderkuss-Bild zwischen Honecker und Breschnew, 30. Geburtstag der DDR, 1979. Zwei mächtige alte Männer küssen sich auf den Mund, und die Auslöser der Fotografen und Fotografinnen klicken. Wie ist das entstanden, Ihr Bild?
Klemm: Da hat man ein bisschen Glück, wenn man den richtigen Platz vor den beiden Politikern hat, da gerade steht, was man natürlich vorher auch nicht so genau weiß. Das ist das, was Sie angesprochen haben mit der Meute, dass man also eben in der Gruppe immer versuchen muss, möglichst da hinzukommen, wo man hofft, das Richtige zu kriegen. Und bei dem Kuss, das ist dann eben der Moment. Also dass die sich so inniglich küssen würden, hat, glaube ich, keiner von uns erwartet.
Karkowsky: War das denn nur ein Moment, nur ein Augenblick, um es mal mit Manfred Krug zu sagen, oder ließen die sich extra Zeit "beim Knutschen" – ich nenne das jetzt mal so – für die Fotografen?
Klemm: Na, das kann ich nicht so sagen. Man ist ja so mit der eigenen Arbeit beschäftigt und merkt zwar den Moment, dass das wirklich was Wunderbares ist, was man da eingefangen hat, aber wie lang das ging, kann ich Ihnen nicht sagen.
Karkowsky: Was zeigt dieses Bild für Sie?
Klemm: Es zeigt eine mir nicht sehr angenehme Art, sich miteinander zu begrüßen oder etwas zu besiegeln.
Karkowsky: Und die Situation selber, in welchem Kontext fand das statt?
Klemm: Es war die Einladung gewesen natürlich von Honecker, und Breschnew war erschienen zum 30. Jahrestag der DDR 1979, und es war ein Empfang vom ganzen Kabinett, was von Honecker angetreten war, was man auf meinem Bild ja auch noch ganz schön sieht, wie die Herren dann diese Szene beklatschen.

In einem Auto mit Willy Brandt

Karkowsky: Stimmt es, dass Willy Brandt mal Ihr Taxifahrer war, dass er Sie am 10. November '89, als die Mauer gefallen war, von Ostberlin aus mit zurück in den Westen genommen hat?
Klemm: Also da muss ich Ihnen sagen, von Taxifahrer kann da keine Rede sein, das finde ich nun doch ein bisschen flapsig. Nein, nach dem 10. November war ich ja nach Berlin geflogen, morgens um acht, und hab den ganzen Tag nur gearbeitet und habe von einem Kameramann gehört, dass Willy Brandt nach Ostberlin käme und nicht wusste wohin, ins christliche Hospiz. Und da bin ich am Ende meines Arbeitstages hingekommen und war wirklich am Ende meiner Kräfte und bat seinen Referenten, ob es eine Chance gäbe, mit der Kolonne wieder zurückzufahren in den Westen. Sonst hätte ich mich mit den Ostbürgern anstellen müssen, und ich glaube, das hätte ich nicht mehr so gut hingekriegt. Und da hat er mich gerne mitgenommen.
Karkowsky: Wie haben Sie diese großen Deutschen erlebt, Sie haben ja viele getroffen, Helmut Kohl zum Beispiel: berühmtes Bild zu seinem 65. Geburtstag morgens bei der Lagebesprechung. War Kohl das eigentlich lästig, dass da eine ihm nicht vertraute Person fotografierte?
Klemm: Also ganz unvertraut war ich sicher nicht, und der Termin wurde ja mit der "FAZ" ausgemacht. Aber ich wusste, dass er nicht gerne fotografiert wird und habe gedacht, ich muss ihn mehr wohl stimmen und hab ihm zwei Bilder mitgebracht – was ich sonst nie tat, wenn ich irgendwo einen Porträttermin oder so hatte – und hab ihm gesagt, ich hätte den Anfang seiner Karriere und den Höhepunkt mitgebracht.
Und der Anfang war das Misstrauensvotum, wo der damalige Bundeskanzler Schmidt ihm gratuliert und Kohl dann das Amt übergibt. Und das zweite, das wichtigste, war die Wiedervereinigung, wo er vor dem Reichstag mit den Kollegen Brandt und Weizsäcker und Genscher den Moment der Wiedervereinigung zu sehen ist. Und da hat er mir gesagt, das ist ja Geschichte, wie möchten Sie es denn haben. Und das war das Wort, auf das ich gehofft hatte.
Karkowsky: Und dann hatten Sie freie Bahn sozusagen?
Klemm: Dann habe ich ihm gesagt, ich möchte, dass er dieses Gespräch – das war morgens in einer kleinen Lage, wo er mit seinen wichtigsten Mitarbeitern zusammen spricht, was am Tag anliegt –, dass er sich so verhält wie immer und mich sozusagen vergisst. Und das hat auch ganz gut funktioniert.

"Das einzige Bild, das etwas bewirkt hat"

Karkowsky: Haben Sie jemals den Eindruck gehabt, ein Politiker, ein Prominenter instrumentalisiert Ihre Kamera, Ihr Auge quasi für seine Zwecke? Also gab es Leute, die versucht haben, Ihnen Regieanweisungen zu geben?
Klemm: Nein, da war ich auch nie von abhängig eigentlich. Ich hab bei meinen Porträts von Politikern immer festgestellt, dass die immer am besten und interessantesten werden, wenn sie in Aktion sind, wenn sie sozusagen ihre politische Meinung vertreten müssen oder verkaufen müssen, in Anführungsstrichen, dass man da den Charakter und die Art, wie jemand sich verhält, am besten bei den Politikern erreicht im Bild.
Karkowsky: Walter Scheel hat mal über Sie gesagt, Sie hätten 1969 den Einzug der NPD in den Bundestag verhindert mit einem Foto, das die Saalordner der NPD nach einer Schlägerei zeigt. Wie wirkmächtig ist Fotografie, wie oft kann sie wirklich mal etwas bewegen?
Klemm: Ich glaube, es ist bei mir das einzige Bild, das etwas bewirkt hat. Also wir haben nicht so eine große Macht. Es zeigt manches auf, wie es vielleicht für viele, die das Ereignis nicht miterleben konnten, weitervermittelt oder beobachten werden kann, aber im politischen Sinn etwas wirklich zu erreichen, ich glaube, das ist sehr schwer mit der Fotografie. Denken Sie nur an die ganzen unglaublichen Kriegsbilder, die die Kollegen gemacht haben, und immer brechen die Kriege wieder aus und es nimmt kein Ende.
Karkowsky: Heute leben wir in modernen Zeiten, in den Zeiten von Instagram, Snapchat, Tiktok, jeder kann sich selbst jederzeit in das beste Licht rücken und vor allen Dingen auch diese Fotos veröffentlichen. Wenn diese Bilder in hundert Jahren mal ausgewertet werden, glaube ich, dann werden die Historiker vor allem auf Schmollmünder und Dekolletees schauen und sich wundern über die Sexualisierung dieser jungen Bildsprache. Gibt es von Ihnen eigentlich Selfies?
Klemm: Nichts, nein, nichts dergleichen. Deshalb ist diese ganze Zeit – das ist der Vorteil des Alters – an mir sozusagen vorbeigegangen, es interessiert mich nicht. Ich habe im Netz überhaupt nichts verloren – mein Mann macht für mich alle Mailgeschichten und dergleichen –, aber es interessiert mich überhaupt nicht, was da alles rumschwirrt.
Ich denke, es ist vieles sehr, sehr oberflächlich, weil es so aus der Schnelligkeit gemacht wird. Das, unsere Arbeit – ich rede auch von meinen Kollegen – in den Jahren davor, war doch was ganz anderes: dass man sich wirklich konzentriert hat auf bestimmte Momente und bestimmte Abläufe versucht hat, dem Leser wiederzugeben, indem man den richtigen Moment aussucht, den man fotografiert oder wo ich das Gefühl hab, das ist das Wichtigste, und so hab ich es fotografiert. Das ist alles etwas anders geworden durch diese wirklich schnelle Art, arbeiten zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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