Fotografien eines sehr privaten Rituals

Von Thomas Senne |
Das Jüdische Museum Franken in Fürth zeigt eine ungewöhnliche Ausstellung der Fotografin Janice Rubin - sie fotografierte in den Vereinigten Staaten rund 40 Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten beim Bad in der Mikwe.
Umgeben von dezentem Blau und hellen Brauntönen scheint die Figur zu schweben. Beinahe schwerelos gleiten Arme und Beine der schönen Nackten durch das Nass. Der Ausdruck ihres fein lächelnden Gesichtes strahlt heitere Gelassenheit, ja meditative Entrücktheit aus, obwohl sich die junge Frau unter Wasser befindet und die Luft anhalten muss. Diese am Computer nachträglich farbig gefasste Fotografie ist Bild gewordene Poesie, wohl der gelungenste Abzug in der Fürther Präsentation, die von Christiane Twiehaus betreut wird und überwiegend jüdische Frauen in der Mikwe zeigt - beim rituellen Tauchbad.

"Das Ritual der Mikwe geht auf die Thora zurück, auf die fünf Bücher Mose. Bereits dort ist es erwähnt. Für Frauen ist es erst verpflichtend seit dem 2. Jahrhundert, seitdem der Talmud geschrieben worden ist. Und bis heute ist es vor allem ein Frauenritual, für Frauen verpflichtend, wenn sie ihre Tage gehabt haben – vor allem vor der Hochzeit, das ist der erste Tag, wenn man in eine Mikwe geht -, wenn sie ein Kind geboren haben, wenn sie mit dem Tod in Berührung gekommen sind. Diese Regeln gelten vor allem für orthodoxe Kreise. Für die liberalen Kreise seit dem 19. Jahrhundert ist dieses Ritual nicht mehr verpflichtend für Frauen. Jede Frau kann selber entscheiden, ob sie das Ritual durchführt. Das ist ihnen freigestellt."

Das Überraschende: Nach Zeiten des Desinteresses erlebt die Mikwe unter Jüdinnen in den USA seit den 1960er Jahren eine Renaissance und Neuinterpretation - Ausdruck eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins.

"Es ist nicht mehr so sehr nach der Menstruation oder nach der Geburt, sondern es zeigt Einschnitte im Leben einer Frau, die symbolisch mit dem Eintauchen in die Mikwe symbolisch vollzogen werden. Also, ich habe eine Krankheit beispielsweise gehabt oder ich bin geschieden worden. Ich habe eine sehr schlimme Erfahrung in meinem Leben gemacht. Und dadurch, dass ich in die Mikwe gehe, schließe ich damit ab. Ich fange für mich selber einen neuen Schritt ins Leben an. Es ist wie eine Wiedergeburt in ein neues Leben."

Lange, sagt Janice Rubin, habe sie im Ritualbad eine Art Diskriminierung von Frauen gesehen. Denn wieso die beispielsweise während ihrer Menstruation als "unrein" gelten und deshalb eine Mikwe besuchen sollen, verstand die amerikanische Fotografin nicht. Statt "unrein" spricht die 54-jährige daher lieber von "verletzlich" und sieht im rituellen Tauchbad inzwischen eine schützende Hülle für diese Zeiten der Transformation. Den Ausschlag, selber Erfahrungen mit der Mikwe zu sammeln und ihr Fotoprojekt zu beginnen, gab allerdings die Lektüre einer fiktiven Geschichte.

"Nachdem ich diese Geschichte über eine Mikwe-Besucherin gelesen hatte, der die Mikwe geholfen hatte, sexuellen Missbrauch zu bewältigen, beschloss ich, selber in die Mikwe zu gehen, um zu sehen, wie sich das anfühlt. Auch, weil ich mich damals in einer schwierigen Situation befand und nach Auswegen und Veränderungen in meinem Leben suchte."

Ausgerüstet mit einer Unterwasserkamera, einem analogen Fotoapparat und einem Badeanzug hat Janice Rubin ihre Bilder in Flüssen ebenso geschossen wie in gekachelter Umgebung. Den für die Mikwen zuständigen Rabbinern versprach sie vorher, nur unverfängliche Posen mit den nackten Frauen abzulichten und auch sonst die Würde und Intimität der Orte zu wahren.

"Die Mikwe ist ein sehr privates Ritual. Die meisten Frauen sprachen nicht darüber, als ich mit meinem Projekt begann. Nie hatte ich die Absicht, die Privatheit des Untertauchens durch Fotografieren zu stören. Deshalb habe ich Modelle für meine Aufnahmen benutzt."

Die in Fürth präsentierten Schwarz-Weiß-Fotografien mit erhellenden Kurztexten aus Interviews zeigen die Frauen in den Becken ungekünstelt unter und über Wasser, meist in andächtiger Stimmung. Die Aufnahmen stellen keine religiösen Praktiken zur Schau, sondern laden zum liebevollen Kennenlernen des spirituellen Tauchbades ein - jenseits von allem Voyeurismus. Die meisten der am Fotoprojekt Beteiligten waren überrascht von den positiven Auswirkungen, die der Mikwe-Besuch auf sie hatte. Für viele war es der Beginn einer Reise in die Tiefen der eigenen Seele.