Fotografie in der Diktatur

Schere im Kopf

Ein Foto von Josef Koudelka, kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag
Ein Foto von Josef Koudelka, kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968 © Josef Koudelka / Magnum
Historikerin Annette Vowinckel im Gespräch · 05.09.2017
Wie sehr kontrollieren Länder, die die Freiheit ihrer Bürger einschränken, die Kontrolle haben wollen, auch die Sprache der Bilder? Gibt es eine Fotozensur? Erstaunlicherweise sehr wenig, sagt die Historikerin Annette Vowinckel.
Die Historikerin und Medienwissenschaftlerin Annette Vowinckel hat sich schon seit längerem mit der Wirkung von Fotografie in der Geschichte beschäftigt. Dabei hat sie auch untersucht, inwiefern eine Bildzensur, vor allem in Diktaturen stattgefunden hat, und kam zu überraschenden Ergebnissen:
"Man würde denken, dass die Staaten das andauernd tun, aber als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, war ich erstaunt darüber, wie wenig Staaten eigentlich versuchen, in die Bildkontrolle einzugreifen."
Einzig im Nationalsozialismus habe es eine Bildzensur gegeben im Referat "Bildpresse" des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Dort wurden die Bilder, die in der Presse veröffentlicht wurden, vorab kontrolliert.
Ansonsten habe es "sowas wie eine spezielle Fotozensur nirgends gegeben".

Viele Bilder bekommen wir nie zu Gesicht

Allerdings gebe es natürlich bei den Fotografen die berühmte Schere im Kopf, das heißt Fotografen überlegen vorher genau, was können sie dokumentieren, was können sie zeigen und was können sie wo veröffentlichen.
"Und es gibt mit Sicherheit eine ganze Menge Bilder, die entweder erst gar nicht gemacht werden, oder die wir nie zu sehen bekommen. Das gilt nicht nur für die Türkei, sondern auch für viele Länder."
Außerdem gebe es auch den Fall, dass Fotografen versuchten, ihre Bilder anonym oder unter falschem Namen zu veröffentlichen. Vowinckel erinnerte dabei an den tschechischen Fotografen Josef Koudelka. Der hat während des Prager Frühlings seine Bilder außer Landes schaffen und über London veröffentlichen lassen. Allerdings war lange Zeit nicht klar, wer die Aufnahmen gemacht hatte, denn Koudelka hatte Angst, dass dann seine Familie in der Tschechoslowakei unter Druck gerät.

Ambivalenz der Fotografie hilft den Fotografen

Smartphones hätten die Situation von Fotografen nicht grundsätzlich geändert, glaubt Vowinckel, sehr wohl aber die Arbeit der Redaktionen, denn: Es sei oft schwer herauszufinden, von wem ein Foto stamme, oder die Echtheit einer Fotografie nicht überprüfbar.
Grundsätzlich komme Fotografen in Diktaturen zugute, dass Bilder vielfältig interpretierbar seien.
"Das ist die bewährteste Methode für Fotografen: Das Bild ist ja eigentlich ein sehr ambivalentes Medium, man kann eigentlich alles mögliche rein interpretieren."
(abu)
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