Fotografie

Der Stolz der Bergleute

Die Fotografen Ute und Werner Mahler in den Deichtorhallen in Hamburg
Die Fotografen Ute und Werner Mahler in ihrer Ausstellung © picture alliance / dpa / Bodo Marks
Moderation: Liane von Billerbeck · 14.04.2014
Mode, Arbeiterleben und die Überreste eines untergegangenen Staates: Das Fotografen-Pärchen Ute und Werner Mahler hat DDR-Geschichte eingefangen. Eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen gibt einen Überblick ihres Werks.
Liane von Billerbeck: Mit den Fotos von Ute und Werner Mahler bin ich aufgewachsen: Sie fanden sich in der legendären DDR-Modezeitschrift "Sibylle", in der "Für Dich" und vielen, vielen Fotoausstellungen. Nach 1989 fotografierten die beiden auch für Blätter wie den "Stern". Beide Fotografen sind seit Jahrzehnten ein Paar, sie haben jeder ein eigenes fotografisches Werk geschaffen und seit ein paar Jahren arbeiten sie auch an gemeinsamen Projekten. Mit ihrer beider Namen verbunden ist auch die Fotografenagentur Ostkreuz in Berlin, auch die Ostkreuz-Schule betreibt sie, für Fotografie und Design. Ute Mahler unterrichtet zudem an der Hochschule für Angewandte Gestaltung in Hamburg. Und dort, in Hamburg, im Haus der Photographie – Fotografie noch schön altmodisch mit "ph" geschrieben – in den Deichtorhallen ist seit dem Wochenende eine Werkschau mit Fotos aus vier Jahrzehnten von Ute und Werner Mahler zu sehen. Mit den beiden habe ich vor unserer Sendung gesprochen, Ute Mahler, Werner Mahler, herzlich Willkommen!
Ute Mahler: Ja, hallo!
Werner Mahler: Hallo, guten Tag!
von Billerbeck: Ute Mahler, Sie haben in einem Interview, das ich einem Buch über die DDR-Modezeitschrift "Sibylle" gefunden habe, gesagt: "Ich wusste immer: Wir haben andere Lebensbedingungen, ein anderes Umfeld, wir sind wohl andere Menschen. Das motivierte mich, was Eigenes zu machen." Nun ist ja bekanntlich nichts vergänglicher als die Mode der vorigen Saison. Seltsamerweise wirken Ihre Fotos mit der Mode aus den 70er- und 80er-Jahren aber gar nicht wie von gestern oder vorgestern, wie die Bademodenfotos vor einem durchsichtigen Vorhang, von dem das Wasser perlt. Worin liegt das Geheimnis, was war es, das Eigene?
Ute Mahler: Ich habe die "Sibylle" immer als Möglichkeit auch empfunden, Fotos zu veröffentlichen. Und, gut, das war nun mal eine Zeitschrift für Mode und Kultur, das heißt, ich musste also Modefotografie machen. Und ich habe aber Modefotografie immer auch als Porträtfotografie gesehen. Ich fand es großartig, mir Geschichten auszudenken und etwas zu inszenieren und zu fabulieren. Es ging mir gar nicht so sehr um die Mode. Es ging mir einfach darum, dass ich Bildstrecken machen konnte mit meinen Ideen und auch als Hauptakteurinnen mit Frauen, die ich spannend fand, die ich also stark und schön fand. Und ich glaube auch, dass dieses Proträthafte und auch der Versuch, so einen DDR-Alltag mit in die Modefotografie reinzubringen, dass das vielleicht dieses Quäntchen mehr ist, was dann ein Foto haben kann, wenn es weit über ein Modefoto hinausgeht.
von Billerbeck: Bleiben wir mal bei den Porträts. Sie haben ja sehr viele prominente und unbekannte Menschen fotografiert. Werner Mahler, Sie haben ja Bergarbeiter aus dem Steinkohlebergbau porträtiert, das waren nackte Männer bei ihrer Schwerstarbeit im Schacht und danach. Ich dachte natürlich sofort an Adolf Hennecke, diese Ikone der DDR-Aktivistenbewegung. Wie erinnern Sie sich an diese Arbeit?
Überwältigt von dem Stolz der Bergleute
Werner Mahler: Na, ich erinnere mich an diese Arbeit natürlich sehr, sehr gut, weil es auch für einen Fotografen, der wirklich ganz schön viel erleben kann, doch ein sehr nachhaltiges und vor allem auch für mich eben leider auch einmaliges Erlebnis war. Ich konnte also über mehrere Tage in diesen Schacht einfahren und war sehr unvorbereitet, was mich da unten erwartet. Ich wusste es nicht. Ich kannte so was natürlich aus Filmen, vielleicht sogar anderen Bildern, aber es hat mich doch sehr, sehr überwältigt, wie die Menschen dort arbeiten, vor allen Dingen, mit welchem Stolz sie dort unten gearbeitet haben. Ich glaube, es liegt daran, dass sie wussten, dass ihre Arbeit was Besonderes ist und dass sie auch wussten, dass sie da unter extremsten Bedingungen arbeiten mussten. Und mich hat fasziniert diese Kraft dort unten und diese Tiefe und auch diese Enge und die Dunkelheit – da kommen so viele Aspekte dazu, die man im normalen Leben eben mal vereinzelt erlebt, aber das alles komprimiert und dann natürlich dieser wahnsinnige Kontrast zwischen dem nackten menschlichen Körper und der Kohle oder den Balken, die man dahinter sieht, das war ein außergewöhnliches Erlebnis für mich.
von Billerbeck: Das waren Porträts von Arbeitern in der Steinkohle, die nackt gezeigt wurden, aber trotzdem nicht entblößt wurden. Auch an Sie die Frage, Ute Mahler: In der Ausstellung sind auch Bilder aus einer Serie, die hieß "Zusammenleben", die haben Sie seit 1972 fotografiert. Da war zum Beispiel das Bild eines Brautpaars, das in seinem Dachschrägenzimmer steht, dessen Wände vollgekleistert sind mit ausgeschnittener Westwerbung für Waschmittel und Strumpfhosen, oder ein anderes Paar, die Frau hochschwanger, nackt, mit ihrem Mann auf dem gemeinsamen Bett. Wie kriegen Sie das hin, dass die Menschen sich so zeigen, nackt, aber nicht entblößt?
Vertrauen als Schlüssel für die Arbeit mit Menschen
Ute Mahler: Ich habe das gemacht, weil es war für mich wahnsinnig wichtig, zu erfahren: Wie leben andere Leute, wie leben sie miteinander oder auch nicht miteinander? Und ich wollte einfach erfahren, wie das geht, so, dieses Miteinanderleben. Und weil meine Neugier einfach so groß ist, glaube ich, haben sich auch so Türen für mich geöffnet. Also es gibt Bilder aus der Arbeit, da habe ich jemanden nur kurz auf der Straße getroffen und habe einfach ganz schnell reagiert, also fast wie ein Schnappschuss. Und dann wiederum habe ich mich verabredet mit Leuten, die ich interessant fand und habe manchmal einen ganzen Tag mit ihnen verbracht. Und sie haben sich an mich gewöhnt, also die Kamera dann irgendwann vergessen. Und irgendwann gab es eine Situation, von der ich das Gefühl hatte, die stimmt jetzt oder die überrascht mich jetzt. Und natürlich – es geht nur über Vertrauen. Also ich hatte natürlich auch immer Bilder dabei und habe die auch gezeigt, und sie haben mir einfach vertraut, und dieses Vertrauen habe ich versucht, nicht zu missbrauchen. Natürlich sind manche Fotos auch ganz schön hart, weil sie auch etwas in einer Beziehung zeigen, was man vielleicht nicht so genau ausgesprochen hätte oder sehen möchte. Aber ich habe trotzdem die Möglichkeit bekommen, weil … Ich weiß auch nicht warum. Also ich glaube, es hat mit Vertrauen zu tun. Ich hatte immer das Gefühl, ich habe es nicht missbraucht.
von Billerbeck: Die Fotografen Ute und Werner Mahler sind meine Gesprächspartner, deren Werkschau jetzt im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt wird. 1989 war ja ein Bruch in vielen Ostbiografien, positiv wie negativ. Wie war das bei Ihnen, Werner Mahler? Konnten Sie weitermachen, kannte man Ihre Bilder?
Werner Mahler: Einen Großteil oder einen Teil meiner Bilder kannte man. Und wie konnte ich weitermachen? Weitermachen konnte ich und nicht nur ich und vielleicht dann auch die anderen sechs Kollegen, indem wir Ostkreuz gegründet haben. Das war damals eine Entscheidung, die wir getroffen haben, weil wir der Meinung waren, dass sich sicher in unserer Arbeit einiges ändern wird. Und wir wussten natürlich nicht, dass so schlagartig fast unsere gesamten Partner nicht mehr da sind, Zeitschriften wie die "NBI" oder die "Für Dich" und andere Sachen. Das war uns nicht so klar, dass es so schnell gehen wird. Aber man hatte irgendwie das Gefühl, man muss sich neu orientieren, und da war die Gründung … Damals waren wir der Meinung, dass die Gründung einer Agentur, einer Autorenagentur, die wir vom ersten Tag an waren, ein gutes Mittel ist, um weiterhin über Fotografie zu reden, was uns ganz, ganz wichtig war, unter Gleichgesinnten und Gleichberechtigten, und natürlich auch der kommerzielle Gedanke, dass es mit einer Agentur vielleicht einfacher wäre. Im Nachhinein, glaube ich, war es eine positive Entscheidung. Damals waren wir uns eher unsicher, ob das richtig ist.
von Billerbeck: Die Agentur gibt es bis heute, und es gibt nun auch eine Schule für Fotografie, wo inzwischen schon viele Schüler rausgewachsen sind, die ja Sie als Ihre Lehrer nennen. Ich erinnere mich an 89, damals war ich noch Zeitungsjournalistin und habe Sie, die Fotografen, unendlich beneidet darum, als die Mauer fiel und die Ereignisse sich geradezu überschlugen und man jeden Tag überstehen musste, und es ganz schwer war, das zu verarbeiten geschweige denn zu erklären und zu beschreiben. Und Sie konnten einfach nur auf den Auslöser drücken. Waren Sie damals auch ganz froh über Ihren Beruf oder besonders froh über Ihren Beruf?
"Manchmal finde ich auch erleben wichtiger als ein Foto machen"
Ute Mahler: Also wir sind am 9. November, als wir das mit Schabowski im Fernsehen gesehen haben und er sagte, jetzt ist alles offen, sind wir also losgefahren, hatten die Familie im Auto und eine Kamera mit Blitz. Und dann gab es die Entscheidung: Wer geht los? Werner ist losgegangen und hat fotografiert, weil wir standen im Stau und kamen nicht weiter. Und also mir ist die Entscheidung leicht gefallen, zu sagen, nein, okay, mache du die Bilder, weil ich wollte das irgendwie erleben. Und manchmal finde ich auch erleben wichtiger als ein Foto machen. Also Werner hat an diesem Tag fotografiert, aber danach – das hat sich alles überschlagen und es kam so viel Neues auf uns zu, dass wir das, worüber Sie gerade gesprochen haben, dass wir das so gar nicht richtig bis jetzt verarbeitet haben, weil wir immer wirklich in dieser Schnelligkeit unterwegs waren. Aber wir haben jetzt eine Arbeit gemacht, eine gemeinsame Arbeit, vor zwei Jahren, die nennen wir "Wo die Welt zu Ende war". Und zwar sind wir die innerdeutsche Grenze, diese 1400 Kilometer, abgefahren und haben Spurensuche betrieben. Das war sozusagen unsere Aufarbeitung.
von Billerbeck: Von 89?
Ute Mahler: Ja, genau.
Werner Mahler: Aber ich möchte gerne Ihren Neid an uns zurückgeben: Ich sehe das immer genau anders rum, weil ich habe ja in meiner Laufbahn natürlich immer sehr oft mit schreibenden Kollegen zusammengearbeitet in Themen, und ich war immer ganz neidisch darüber, dass die einfach da sitzen konnten oder laufen konnten oder schauen konnten, sich alles anhören konnten und dann zu Hause in Ruhe alles aufschreiben konnten. Als Fotograf muss man immer sofort reagieren.
Vor lauter Staunen das Fotografieren vergessen
von Billerbeck: Sie wissen gar nicht, wie schrecklich das ist, wenn man zu Hause sitzt.
Werner Mahler: Und na ja, wir mussten immer reagieren, und ich kann mich in meinem Leben an viele Situationen erinnern, an sehr, sehr viele und auch zum Teil ganz extreme Situationen, wo ich mit offenem Mund da stand und mit offenen Augen und gestaunt habe, und wo ich dann hinterher sagte, sag mal, wieso hast du denn eigentlich nicht fotografiert?
Ute Mahler: Der Moment war weg.
Werner Mahler: Der Moment war weg, ja.
von Billerbeck: Sie haben das eben schon erwähnt: Ihre Fotos hätte ein Mensch mit gutem Bildgedächtnis ja jeweils dem einen oder der anderen zuordnen können. Also ich wusste immer genau, ob das ein Bild von Ute oder von Werner Mahler war. Aber wenn Sie jetzt seit 2009 an gemeinsamen Projekten arbeiten – ich kenne das vom Schreiben, das ist schwer genug, aber wie geht das bei der Fotografie? Schließlich kann doch nur einer auf den Auslöser drücken.
Werner Mahler: Ja, es kann nur einer auf den Auslöser … Das ist richtig. Das war eine zufällige Situation, dass es dazu gekommen ist, eine gemeinsame Arbeit zu machen, uns hat einfach ein Thema … gemeinsam so gepackt waren, dass wir beide so gefesselt waren von der Sache, dass ich mich als Assistent nicht mehr zurückhalten konnte, sondern dass ich eingegriffen habe und … was eigentlich ein Assistent nicht machen sollte, er soll Kaffee holen und Auto fahren und dem Fotografen den Rücken freihalten. Und so ist es jetzt zu dieser Zusammenarbeit gekommen. Und wir haben dann sehr schnell beschlossen: Okay, dann machen wir einfach mal was gemeinsam, ohne darüber nachzudenken, warum eigentlich jetzt gemeinsam – es war einfach, glaube ich, eine gute Entscheidung. Und noch eins vielleicht: Wir sind der Meinung, dass man das nur mit einer Großformatkamera machen kann, also eine Vier-mal-fünf-Inch-Kamera, die auf einem Stativ steht, die hinten eine Mattscheibe hat, wie man das kennt, mit einem Tuch über dem Kopf kann man sich das Bild vorher anschauen.
von Billerbeck: Also restlos altmodisch.
Werner Mahler: Restlos altmodisch, analog, wobei Großformat nicht so altmodisch ist, es erlebt gerade eine große Renaissance auch bei den jungen Fotografen, die Großformatkamera. Aber es ist einfach, glauben wir, die einzige Möglichkeit, dass man gemeinsam eine Autorenschaft auch nachweisen kann, weil es … Wer dann auf den Auslöser drückt, wird man nie erfahren und wissen wir auch manchmal gar nicht, wer es dann wirklich gewesen ist. Aber man macht das Bild auf der Mattscheibe mit der Kamera, man kann vorher diskutieren und die Themen sind ja alle auch so, dass wir die Zeit dazu haben, uns die Bilder vorher anzuschauen. Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern eher um Entschleunigung.
von Billerbeck: Die Fotografen Ute und Werner Mahler. Ihre Werkschau ist jetzt bis zum 29. Juni im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Ute Mahler, zum Schluss: Werkschau, nicht Retrospektive – ist das so ein bisschen die Angst davor, zu sagen: Das war es jetzt, das Lebenswerk?
Ute Mahler: Also bei Retrospektive, da fühle ich mich noch ein bisschen zu jung und Werner auch, und vor allen Dingen, es stimmt ja auch nicht ganz, weil wir sind ja noch mitten dabei.
von Billerbeck: Ute und Werner Mahler. Bis zum 29. Juni sind in den Deichtorhallen im Haus der Photographie in Hamburg ihre Bilder zu sehen. Einen schönen Katalog gibt es auch, falls Sie es nicht nach Hamburg schaffen sollten. Alles Gute für Sie beide und herzlichen Dank für das Gespräch!
Ute Mahler: Ja, bitte!
Werner Mahler: Danke, schönen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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