Fortschrittliches Kirchrüsselbach

Von Marlene Halser |
Die evangelische Kirche hat zwar die Gleichstellung von homosexuellen Pfarrerinnen und Pfarrern beschlossen, aber nicht überall dürfen diese mit ihren Partnern im Pfarrhaus leben. Die bayerische Landessynode erlaubt es - und so fällt der kleinen Gemeinde Kirchrüsselbach eine Vorreiterrolle zu.
"Kirchrüsselbach ist sehr fortschrittlich. Wir waren die erste Gemeinde, die eine Pfarrerin im Dekanat hatte, also die erste Pfarrerin im Dekanat Gräfenberg, und wir haben das schon immer ein bisschen belächelt, weil andere gesagt haben, na, was gibt es noch Neueres? Eben Gleichgeschlechtliche. Das ist uns schon vorher mal ein bisschen so gesagt worden. Da haben wir aber gar nicht dran gedacht, weil Rüsselbach ja eine sehr kleine Gemeinde ist, das ist ja eigentlich nur eine Teilzeitstelle. Wir haben das immer so ein bisschen belächelt und ein halbes Jahr später war's aber wirklich so."

Katrin Hammerand verwaltet als ehrenamtliche Kirchenpflegerin die Finanzen der Sankt Jakobuskirche in der oberfränkischen Gemeinde Kirchrüsselbach.

1200 Einwohner leben dort, wenn man die Ortsteile Unter-, Mittel-, Kirch- und Oberrüsselbach zusammennimmt. Was die Gemeindemitglieder lange als Scherz verstanden hatten, ist dort seit Juni letzten Jahres Wirklichkeit. Pfarrer Ulrich Hardt – ein groß gewachsener Mann mit kurzem blonden Haar und Nickelbrille, der trotz seiner knapp 50 Jahre noch immer etwas jungenhaftes, fast spitzbübisches an sich hat – steht nun der Gemeinde vor. Das Besondere daran: Ulrich Hardt ist schwul. Bei seinem Antritt zog er gemeinsam mit seinem Lebenspartner Udo Wex ins Pfarrhaus ein. Die beiden sind die ersten ihrer Art in Bayern.

Dieser Schritt war für Pfarrer Hardt ein Wagnis, ein Experiment mit ungewissem Ausgang:

"Also ich glaube, die schlimmste Befürchtung war, dass sich ein größerer Teil aus der Gemeinde zurückziehen würde und die Gemeinde sich vielleicht spaltet. Und davon ist nichts zu merken. Also eine ganz schöne Aussage war neulich von einem Mann aus der Gemeinde, der sagte, er wüsste jetzt niemanden der unseretwegen nicht mehr zum Gottesdienst käme. Also die Leute, die Schwierigkeiten damit hätten, dass es ein schwules Paar im Pfarrhaus gibt, die seien auch vorher schon nicht zum Gottesdienst gekommen und das war irgendwie ganz beruhigend."

Es sei Zeit gewesen für diese Entscheidung sagt Helmut Völkl, Personalchef der Evangelischen Landeskirche Bayern. Trotzdem gibt er zu bedenken:

"Es ist ja niemandem geholfen, wenn in einer bestimmten Region, an einem bestimmten Ort, ein Paar in ein Pfarrhaus einzieht und es beginnen dann größte polarisierte Auseinandersetzungen, sodass also der reguläre Pfarrdienst verunmöglicht ist, weil man in einer grundsätzlichen Frage sich so auseinanderdividiert, dass also jede Freude am Leben und auch am Dienst in der Kirche verloren geht und wir nur noch Probleme haben, und da musste man schon ein bisschen auch auf Nummer sicher gehen, dass es im Einzelfall eine Grundakzeptanz gibt."

Damit die beiden Männer gemeinsam im Pfarrhaus leben können, mussten deshalb alle zuständigen Gremien zustimmen: Der Regionalbischof, die Dekanin, der Landeskirchenrat und schließlich der Kirchenvorstand der Gemeinde. Mucksmäuschenstill sei es geworden, als die Dekanin dem Kirchenvorstand von dem ungewöhnlichen Plan berichtete, erinnert sich Kirchenpflegerin Hammerand. Als Pfarrer Hardt und sein Partner der Gemeinde aber dann persönlich Rede und Antwort standen, hätten sich die Zweifel schnell zerstreut.
Hardt selbst steht diesem aufwendigen Verfahren zwiespältig gegenüber:

"Also auf einer persönlichen Ebene sage ich, das ist natürlich immer noch eine Art von Diskriminierung, weil das bei heterosexuellen Paaren nicht gemacht wird. Auf einer Metaebene würde ich sagen, ja, kann ich verstehen. Man muss ja in einer Gemeinde auch akzeptiert werden, und das ist für viele Gemeinden und für viele Menschen auch einfach auch noch sehr neu, und die müssen sich erst damit auseinandersetzen, und wir sind jetzt eines der ersten Paare, die das machen, und ich denke, wenn Leute merken, das funktioniert und das geht und die Welt geht davon nicht unter, dann wird das in Zukunft auch leichter akzeptiert."

Einige wenige kritische Stimmen gibt es in Kirchrüsselbach noch, weiß Kirchenpflegerin Hammerand zu berichten. Doch die seien in den letzten Monaten mehr und mehr verstummt. Pfarrer Hardt nimmt es sportlich:

"Ich denke, in der Kirche müssen wir einfach auch mit Spannungen leben. Also ich muss damit leben, dass es Menschen gibt, die damit Schwierigkeiten haben, dass es überhaupt Homosexuelle gibt und erst recht, dass es homosexuelle Pfarrer gibt und erst recht im Pfarrhaus, und andere müssen damit leben, dass genau dieses der Fall ist."

"Wie ist es Euch und Ihnen beim Hören ergangen? Haben sich gleich eine Reihe von Fragen aufgetan?"

Bewegt und voller Hingabe hält Ulrich Hardt seine Predigt auf der schmalen Kanzel. Selbst bei der älteren Generation kommt der ungewöhnliche Pfarrer gut an, wie ein betagtes Ehepaar nach dem Gottesdienst freimütig bekundet:

"Das ist seine Sache. Das muss er verantworten und muss damit klarkommen. Also ich hab meine Frau, ich brauch sowas nicht. Aber die machen ihre Sache sehr schön. Für uns ist das halt a bissle ungewohnt, ne."

Immer wieder bekommt das homosexuelle Paar auch überraschend Besuch aus der Gemeinde. Neulich beispielsweise brachte eine ältere Dame ein Buch vorbei. Der Titel: "Schön, dass ihr da seid".

"Wenn ich das mal zeigen darf in diesem Büchlein, da hat die besagte alte Dame einen Spruch rein geklebt, der mich sehr bewegt hat, ein chinesisches Sprichwort: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen einige Menschen Mauern und einige Windmühlen."

In Kirchrüsselbach scheint das Experiment gelungen. Die Mitglieder des Kirchenvorstands verpflichteten sich für eine weitere Amtszeit, um zu zeigen, dass sie zu ihrer Entscheidung stehen. Die katholische Nachbargemeinde ist an einer gemeinsamen Jugendarbeit interessiert.

Das Beispiel könnte Schule machen, sagt auch Helmut Völkl von der bayerischen Landeskirche:

"Im Endeffekt sag ich mal, hat auch die Menschlichkeit gesiegt, wenn zwei sympathische Männer hier plötzlich ins Pfarrhaus kommen und ihre Rolle einnehmen und es stellt sich heraus, das ist alles okay, das ist wunderbar, sie machen einen guten Dienst, sie können die Leute vom Evangelium her ansprechen, wo liegt das Problem?"
Mehr zum Thema