Forschungsprojekt "Cultures of Rejection"

Ablehnung als Leitbild der Neuen Rechten

06:01 Minuten
Protest 2021 in Berlin gegen die Corona-Massnahmen und die Impfpflicht. Plakat: "Keine Impfdiktatur".
Von der „Merkel-Diktatur“ zur „Impfdiktatur“: Zwischen der Ablehnung der Geflüchteten 2015 und der Corona-Maßnahmen seit 2020 sehen internationele Forschende starke Parallelen. © imago / Jan Huebner
Von Tim Schleinitz · 17.07.2022
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Was haben die Feindseligkeit gegen Geflüchtete nach 2015 und die Proteste gegen Corona-Maßnahmen seit 2020 gemeinsam? In beiden Fällen erstarkten laut einem Forschungsprojekt rechte Bewegungen, indem sie zusammenhängende Feindbilder mobilisierten.
„Das Projekt ‚Cultures of Rejection‘ oder ‚Kulturen der Ablehnung‘ hat 2019 angefangen und wurde im Nachgang von 2015 entwickelt“, erklärt Alexander Harder. „Weil es die Beobachtung gab, dass nach dem sogenannten Sommer der Migration zuerst von einer Willkommenskultur gesprochen wurde – und sich dann beobachten ließ, dass sie umgeschlagen ist in ein Erstarken von rechten Bewegungen, von Angriffen auf Geflüchtete; und eigentlich ein Klimawandel der politischen Stimmung stattgefunden hat.“ 
Der Berliner Ethnologe ist Mitarbeiter im Projekt „Cultures of Rejection“. Schon nach wenigen Monaten brachte die Corona-Pandemie eine Umorientierung und Erweiterung des Projekts, erklärt er. Migration trat als Thema in den Hintergrund, fokussiert wurde auf Proteste gegen Corona-Maßnahmen. Auch die wurden in ganz Europa von rechtsgerichteten Akteuren entweder mitbestimmt oder gar initiiert.

Wie verändert sich der Alltag der Menschen?

„Dabei gab es eine Vorannahme“, sagt Alexander Harder, „und zwar, dass rechte Politik, damit sie irgendwie verfangen kann, Angebote für den Alltagsverstand von Menschen machen muss. Das heißt: Sie muss irgendwie erklären können, wie Transformationen und Krisen in der Gesellschaft vonstattengehen, was ihre Grundlagen sind und welche politischen Handlungsmöglichkeiten es eigentlich gibt.“
Wie lässt sich das Erstarken menschenfeindlicher Politiken erklären, wie dagegen vorgehen? Das fragen sich im Rahmen des Projekts Forschende aus Serbien, Kroatien, Österreich, der Bundesrepublik und Schweden. Sie verfolgen einen interdisziplinären Ansatz zwischen Anthropologie und Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaften.
Der Forschungsansatz ist so vielschichtig wie das Problem selbst, sagt Stefan Jonsson. Er ist Leiter der schwedischen Abteilung des Projekts an der Universität Linköping.

Im Kern ist unser Projekt eine tiefe ethnografische Studie. Sie nimmt Veränderungen im Alltag der Menschen in den Blick, in ihrem Arbeitsleben und auch ihrem digitalen Leben. Diese Veränderungen können Menschen misstrauisch machen gegenüber großen Teilen der Kultur, des Wissens und der Politik.

Stefan Jonsson

Erfahrung von Ohnmacht, prekäre Arbeitsverhältnisse

Ein Grund für diese „Kulturen der Ablehnung“ ist die Erfahrung von Ohnmacht, die eigene Lage zu verbessern. Eine Folge ist die Entfremdung von politischer Beteiligung, die Hinwendung zu angeblich starken Führungspersönlichkeiten.
Das zeigen auch ausführliche, qualitative Interviews mit Arbeiterinnen und Arbeitern in der Logistikbranche und dem Einzelhandel. Besonders viel käme hier zusammen, sagt Alexander Harder – zum einen die Transformation der Arbeit durch neue Technologien und Arbeitsmodelle, zum anderen die Unsicherheit der Arbeit selbst.
„Das ist ein Bereich, in dem es einen großen Anteil an prekarisierten Beschäftigten gibt. Viele nicht tariflich gesicherte Arbeitsverhältnisse zum Beispiel, viel temporäre Arbeit bei denen die Arbeitszeit nicht ausreicht, um die Leute vor Sorgen der Altersarmut zu schützen“, sagt er.

Verfälschte Tatsachen, radikaler Individualismus     

Die tatsächlichen Ursachen dieser bedenklichen Prekarisierung nehmen aber die rechtspopulistischen Bewegungen gar nicht in den Blick. Das gilt auch für die Pandemie.
Natürlich müssen Corona-Maßnahmen und ihre Folgen kritisch hinterfragt werden, doch die Forschenden betonen: Der Ansatz rechtspopulistischer Akteure ist problematisch, weil sie Tatsachen verfälschen und Sündenböcke aufbauen. Und dazu können Migrant:innen ebenso herhalten wie Virolog:innen, Politiker:innen oder Journalist:innen.

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Was in den Reaktionen auf die Corona-Maßnahmen heraussticht, ist zudem eine radikalisierte Variante der liberalen Idee von individueller Freiheit. Dieser „Hyperindividualismus“ negiert die gemeinsame, eben nicht nur staatliche Verantwortung für die Überwindung etwa von schlechten Arbeitsbedingungen oder Gesundheitsrisiken, sagt Alexander Harder – nach dem Motto:
„Ich bin in kompletten und totalem Maße für mich verantwortlich. Das Immunsystem, das in dieser Diskussion eine total große Rolle spielt, ist ein Beispiel dafür, weil für das Immunsystem ist in dieser Vorstellung jeder selbst verantwortlich. Aber ich bin nicht für das Immunsystem anderer verantwortlich. Das ist, glaube ich, wichtig, das herauszustellen: Dass das nicht ein Element ist, von dem man sagen kann, das kommt genuin aus der rechten Szene, sondern das ist verbreitet und anschlussfähig.“

Echte Probleme, falsche Antworten

Die Forschenden konstatieren also nicht weniger als eine Krise der politischen Lebens- und Wirtschaftsweise in den untersuchten Ländern. Damit ist auch klar: Nicht nur bei ökonomisch abgehängten Menschen verfängt eine spezifisch reaktionäre „Ablehnung“ etwa von staatlichen Maßnahmen oder Migration. Es gehe vielmehr darum, ein verbreitetes Muster zu verstehen, betont Stefan Jonsson.
„Wir haben heute dieses Muster in sehr vielen Ländern: Gesellschaft wird nicht als ein Ort der Kooperation, der Solidarität gesehen, sondern als ein Feld des Wettbewerbs, des Antagonismus: Ich muss schützen, was mir gehört, sonst wird es mir weggenommen“, erklärt er. „Das ist die Grundlage für die Akzeptanz rechten Gedankenguts. Und das ist auch die Basis für sogenannte alternative Erklärungen des Coronavirus.“
Das Forschungsprojekt „Cultures of Rejection“ zeigt: Auf echte Probleme geben rechte und autoritäre Bewegungen fehlgehende Antworten. Und: Die Gründe für deren Erfolg liegen nicht an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaften.
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