Forschungsfinanzierung in den USA

Umstrittene Allianzen

Chemie-Labor
Forschung ist teuer: Gerade in den USA sind viele Wissenschaftler auf Drittenmittel von Unternehmen angewiesen. © picture alliance / dpa / Jan-Peter Kasper
Von Anja Krieger · 14.07.2016
Harvard, Stanford oder das Massachusetts Institute of Technology kassieren von der Industrie pro Jahr Hunderte Millionen Dollar. Das ermöglicht Spitzenforschung, hat aber auch Kehrseiten: Militär, Pharma- oder IT-Firmen entscheiden zunehmend, was Wissenschaftler untersuchen.
"Let’s see if we can work on some other questions here. There’s another good one about thoughts on last-mile autonomous distribution…”
Am Massachusetts Institute of Technology, bei einem Workshop über Intelligente Mobilität. Die kleine Konferenz mit ein paar Dutzend Teilnehmern findet in keinem der üblichen Hörsäle der Uni statt. Es sind die Räume des Industrie-Liaison-Programms der Universität. Von der Ostseite des Campus bieten sie einen spektakulären Blick über den Charles River und die Skyline von Boston.
In der Runde sitzen Wissenschaftler des MIT, Leute aus der Industrie, und Gründer von Start-Ups. Sie diskutieren über fliegende Autos, autonome Fahrzeuge, und Drohnen als Lieferanten. Zwischendurch wird beim Kaffee genetzwerkt. Und so entstehen Bündnisse, die Geld wert sind.
"Unsere Universität, das MIT, hat das Glück, der größte Empfänger von Unternehmensinvestitionen unter allen Unis in den USA zu sein, ich meine sogar, weltweit."

"Mit der Industrie zu arbeiten, ist sehr wichtig für uns"

Das ist Karl Koster. Er leitet das MIT Office for Corporate Relations, das Büro für Unternehmensbeziehungen. Es liegt hinter einem langen Gang mit einer silbernen Wand, von der mathematische Symbole leuchten. In großen Lettern ist das MIT-Logo hineingefräst, und noch größer drei Worte: FORSCHUNG. INDUSTRIE. TECHNOLOGIE.
"Mit der Industrie zu arbeiten, ist sehr wichtig für uns. Damit entfalten unsere Ideen und Erfindungen erst gesellschaftliche Relevanz. Es ist ja meist die Industrie, die dafür sorgt, dass unsere Technologien Anwendung finden und auf den Markt kommen, in Form verschiedener Produkte."
Damit das auch passiert, sind Koster und seine rund 50 Mitarbeiter tagein, tagaus damit beschäftigt, Kontakte zwischen dem MIT und externen Firmen herzustellen und zu pflegen. In der Mitte des Büros sitzen die Vertreter zwischen Stellwänden, telefonieren und bearbeiten ihre Portfolios. Jeder von ihnen hat ein thematisches und zwei geografische Spezialgebiete.
"Wir haben gerade eine Delegation zur Messe nach Hannover geschickt, ich habe aber noch kein Feedback. Vier Mitarbeiter sind hin gefahren, und das MIT hatte einen Stand. Ich habe mir sagen lassen, dass das extrem gut besucht war. Es scheint viel Interesse am Institut und möglicher Zusammenarbeit zu geben. Ich bin gespannt, was da im Nachgang noch draus wird."
Das Industrie-Liaison-Programm gibt es seit Ende der 40er-Jahre. Über 200 Firmen sind heute als Mitglieder dabei, darunter auch 15 aus Deutschland. Die Unternehmen zahlen einen fünfstelligen Jahresbeitrag und bekommen dafür einen eigenen Kooperationsplan, den "Action Plan”, für die Zusammenarbeit erstellt. Außerdem erhalten sie Zugang zu Konferenzen, Bibliotheken und den Forschern am MIT.
Das Ziel ist, gemeinsame Projekte zu entwickeln. Karl Koster und seine Mitarbeiter arbeiten dabei als Kuppler und bringen Firmenvertreter mit Forschern in Kontakt. Die etablierten Wissenschaftler am MIT sind allerdings schwer zu kriegen. Sie haben genug Geld und wenig Zeit. Mit jüngeren Forschern haben die Firmen da mehr Glück.

"Um gute Forschung zu betreiben, braucht man Geld"

"Wir beobachten, dass große Unternehmen ein starkes Interesse haben, die Forschung junger Mitglieder der Fakultät zu unterstützen. Das ist ein Bereich, den viele Unternehmen als wertvoll betrachten, weil sie da in der Lage sind, die Agenda dieses Teils der Fakultät positiv zu beeinflussen."
"Positiv" im Sinne der Firmen bedeutet, dass sie zusammen mit Wissenschaftlern eigene Themen an den Unis vorantreiben. Dass junge Forscher weniger Geld haben und deshalb stärker nach Finanzierung suchen, passt da ganz gut. Allerdings haben Firmen, die den kurzfristigen Nutzen suchen, keine Chance am MIT, erklärt Koster. Es müssen schon Projekte sein, die dem gesellschaftlichen Auftrag der Uni entsprechen. Dann klappt es auch mit der Liaison.
Solche Kooperationen treiben die Forschung und Entwicklung in den USA gerade in der angewandten Forschung voran, und sorgen mit für den Erfolg. Doch welche Folgen haben die engen Beziehungen noch? Zahlt die Wissenschaft am Ende doch einen Preis?
"Um gute Forschung zu betreiben, braucht man Geld. Wenn man das von einem privaten Unternehmen kriegt, ist es das in einigen Fällen möglicherweise wert, in anderen Fällen vielleicht nicht. Man muss Vor- und Nachteile abwägen und herausbekommen, inwieweit sie Kontrolle über die Resultate ausüben werden."
Kevin Esvelt ist Biochemiker und kürzlich von der Harvard Universität ans MIT umgezogen. Er arbeitet im MediaLab, der kreativen Ideenschmiede der Uni. Dort leitet er die Sculpting Evolution Group, die an Gentechnik nach Vorbild der natürlichen Evolution arbeitet.
"Ich denke, es ist wohl besser, im Zweifelsfall mehr Geld von Firmen anzunehmen als abzulehnen - einfach weil wir nie genug Geld haben für gute Wissenschaft."
Esvelt möchte lieber seine Mitarbeiter besser bezahlen, als die Geldquellen zu streng zu beurteilen. Denn gerade jüngere Forscher werden in der prekären Welt der Wissenschaft sehr oft nicht fair bezahlt. Als Biotechnologe macht sich Esvelt eine Menge Gedanken über Ethik.
"Man muss sich im Klaren sein, dass es so etwas wie kognitive Befangenheit gibt. Wenn einem jemand Geld gibt oder man ihm etwas schuldet, dann behandelt man ihn auch gefälliger."

Ist es akzeptabel, Geld vom Militär anzunehmen?

Gerade beschäftigt Kevin Esvelt die Frage, wie er seine Forschung zum Genantrieb finanzieren soll. Der Einsatz der neuen Technologie könnte weitreichende Folgen haben.
Es geht um künstlich veränderte Gene, die sich in kürzester Zeit auf eine gesamte Population ausbreiten könnten: eine potenzielle Biowaffe, auf die sich bestimmt auch das Militär vorbereiten möchte.
"Ich überlege gerade, ob es akzeptabel wäre, Geld für die Genantriebsforschung vom Militär anzunehmen. Für viele Leute würde das einfach schlecht aussehen. Wenn so etwas vom Militär bezahlt wird, mindert das das öffentliche Vertrauen."
Von der Industrie bekommt das MIT pro Jahr über 100 Millionen Dollar für Forschung und Entwicklung. Noch etwas mehr bringen Spenden in die Kasse. Das macht allerdings nur einen kleinen Teil des Forschungsbudgets am MIT aus - insgesamt weit über einer Milliarde Dollar. Den Löwenanteil finanziert staatliche Einrichtungen wie die National Science Foundation und die Ministerien für Energie, Gesundheit und Verteidigung.
Nicht nur am MIT, auch in Harvard, Stanford oder Yale kommen so Milliarden von Dollar für die Forschung zusammen. Es sind Summen, von denen man an deutschen Universitäten nur träumen kann, und sie zeigen Wirkung. Amerikanische Universitäten führen die weltweiten Uni-Rankings. Das Land hat mehr Nobelpreisträger als jedes andere.
Die USA tragen also eine hohe Verantwortung für wissenschaftlichen Fortschritt, auch international. Doch welche Rolle dabei die Geldgeber?
Auch Benjamin Franta macht sich Gedanken über die Frage, wer seine Arbeit finanziert. Der junge Wissenschaftler forscht nicht an Genen, sondern Solarzellen. Als Doktorand an der Harvard-Universität hat Franta an einer neuen Laser-Technik zur Behandlung von Silikon gearbeitet. Mit dieser Technologie lassen sich effizientere Solarzellen herstellen.
Finanziert hat das die AirForce. Dieselbe Technik ließe sich auch für militärische Zwecke nutzen, etwa für Nachtsichtgeräte und Zielsysteme. Ben Franta fühlt sich nicht wohl dabei.
"Ich glaube, das hat bei mir ein wenig kognitive Dissonanz ausgelöst. Aber die Leute sind ja gut im Rationalisieren. In meinem Fall habe ich mir gesagt, naja, ich entwickle doch Solartechnik und nicht die anderen Sachen. Aber mit etwas Distanz sieht man: Ich arbeite an einem Thema, das sich die AirForce ausgesucht hat, und nicht an den vielen anderen möglichen Solar-Technologien."
Das Militär hat beeinflusst, welchem Thema sich Ben Franta in seiner Doktorarbeit gewidmet hat - und was er außen vor ließ. Damit konnte der Geldgeber die erste wichtige Entscheidung lenken, die am Anfang jeder Forschung steht: die Frage nach dem wissenschaftlichen Gegenstand.
"Wir müssen das wirklich als Problem begreifen. Wie wird Forschung durch Gelder geleitet? Dafür muss man in der Breite schauen: Welche Technologien werden entwickelt und welche nicht?"

Wie wird Forschung durch Gelder geleitet?

Dieses Problem stellt sich auch für die Forschung, die zunächst keine Anwendungen nach sich zieht, sondern der Erkenntnis über die Welt dient. Aber wer entscheidet am Ende, was wissenschaftlicher Fortschritt eigentlich bedeutet?
"So you have to get money from somewhere, right? So where do you get it from?”
Denise Faustman leitet das Labor für Immunbiologie am Massachusetts General Hospital, in Harvard lehrt sie Medizin. Für ihre Forschung zur Diabetes wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
"Die wissenschaftlichen Einrichtungen in den USA sehen die Leute, die die Forschung durchführen, im Allgemeinen als Geldmacher für das Institut an."
Faustman meint den sogenannten Overhead, eine Art Steuer auf Forschungsgelder. Wenn sie erfolgreich Geld einwirbt, belegt es die Uni mit einem Aufschlag. Der geht von den Geldgebern direkt in den Betrieb der Uni, also in die Verwaltung, Gebäude und Ausrüstung. Auch das Geld für ihre eigene Stelle muss sie einwerben, sagt Denise Faustman.
"Wenn man jedes Jahr sein Einkommen einbringen muss, ist man mit 65 oder 70 immer noch sehr produktiv. Wenn man das mit 40 nicht hinkriegt, sollte man sich lieber gleich ein anderes Feld für die Arbeit suchen."
Wer bereit ist, weiter Anträge zu schreiben, braucht eine Strategie. Mit welchem Geld lässt sich ein Forschungsvorhaben am besten durchführen? Da heißt es gut abwägen. In Zusammenarbeit mit der Industrie lassen sich etwa innovative Projekte gut angehen. Doch ganz frei ist man dann nicht.
"Lass uns ein extremes Beispiel nehmen: Wenn man am Medikament einer Firma arbeitet und dafür eine Menge Geld bekommen hat, und plötzlich stellt man fest, dass das Medikament von Firma B besser ist. Dann kann man nicht einfach das Medikament wechseln, man sitzt fest."

"Es ist schwer, an Regierungsgelder zu kommen"

Ähnlich sieht es aus, wenn ein Industriepartner beim Forschungsdesign mitreden möchte. Mit Geld aus Töpfen der Regierung gibt es solche Probleme nicht, sagt Denise Faustman. Damit lässt sich auch Grundlagenforschung finanzieren, die keine direkten Ziele im Markt und neuen Anwendungen hat. Allerdings sind die Anträge aufwändig und die Konkurrenz groß.
"Es ist schwer, an Regierungsgelder zu kommen, und die Projekte müssen schon recht weit gediehen sein. Jeder in diesen gigantischen Komitees muss mit dem Konzept einverstanden sein. Man braucht Konsens, also sind das meist Forschungsprojekte mit wenig überraschenden Ergebnissen, solide Untersuchungen, die die Wissensbasis erweitern."
Ungewöhnlichere Ideen lassen sich schwerer durch die Komitees bringen, und jüngeren Forschern fehlen oft die nötigen Kontakte. Man sollte sich auch besser nicht zu abhängig machen vom Tropf des Staats, findet Denise Faustman. Zum Glück gibt es ja eine ausgeprägte Spendenkultur im Land.
"Das sind nicht nur reiche Leute, es ist wirklich beeindruckend - von Gemeindeinitiativen bis zu den Kindern, die das in der Schule als Projekt machen. Natürlich gibt es reiche Leute, die Millionen spenden, aber auch runter bis zu den Graswurzeln gibt es ganz unglaubliche Spendenbereitschaft in den USA. Das ist wirklich einzigartig."
Mal sind es große Stiftungen, mal ehemalige Patienten, die ihre Dankbarkeit mit ein paar Dollar ausdrücken. Und dann gibt es noch einen neuen Typus spendenfreudiger Organisation. Den sieht Faustman allerdings kritisch.
"Die heißen Venture-Philanthropen. Das sind Firmen, die sich im Netz als gemeinnützige Organisationen präsentieren, aber etwas anders funktionieren. Sie wollen das Geld nicht einfach an die Universitäten verschenken. Ihr Ziel ist es, Medikamente zu entwickeln und die Rechte an ihnen zu haben."
Ob von der Industrie, dem Staat oder Spendern, jede Quelle hat ihre Vor- und ihre Nachteile. Denise Faustman setzt deshalb bei der Finanzierung auf einen Mix aus Geldern. Davon verspricht sie sich mehr Unabhängigkeit.
Wer soll die Wissenschaft bezahlen, und welches Geld ist sauber? Schaut man in die Geschichte, findet man nicht eine, sondern viele verschiedene Antworten auf diese Frage. David Kaiser, Wissenschaftshistoriker am MIT, hat die Historie der Forschungsgelder verfolgt.
"Das war natürlich nicht immer so wie heute. Tatsächlich hat sich das mehrmals hin und her bewegt, über alle paar Jahrzehnte. Das ist eine rasche Schwingung, wenn man sich das als ein Pendel vorstellt."
Immer wieder drehte das Pendel die Richtung. Jedes Mal wurde neu ausgehandelt, wie die Forschung bezahlt werden kann und soll. Vor 100 Jahren zum Beispiel vertraten Wissenschaftspolitiker in den USA noch die Ansicht, der Staat solle sich ganz aus Forschung und Bildung raushalten.

Mit dem Krieg kam das Pentagon an die Unis

"Bildung wurde damals als lokale Sache gesehen. Die Forschung an den Unis wurde zum Teil mithilfe der Studiengebühren bezahlt, vor allem aber durch private Stiftungen und Partnerschaften mit der lokalen Industrie."
Am MIT verbrachten die Studierenden schon zur Jahrhundertwende ihre Sommer in den Unternehmen. Die Forscher berieten die Industrie, deren Mitarbeiter wurden als Lehrkräfte angeheuert. Dank Großspenden der Unternehmen konnte ein neuer Campus gebaut werden. Mit dem "Tech Plan" entwarf die Uni eine Strategie, um die Zusammenarbeit noch zusätzlich zu stärken.
Inspiriert wurde das übrigens auch aus Deutschland. Amerikanische Wissenschaftler, die hier gearbeitet hatten, kamen begeistert ans MIT zurück und berichteten von der engen Zusammenarbeit zwischen akademischen Laboren und industriellen Firmen, die sie in Deutschland erlebt hatten.
Dass das Schattenseiten hatte, wurde schon damals klar - wenn die Industrie die Patente für sich behielt oder den Forschern die Publikation bestimmter Ergebnisse verbot. Dann, in der Weltwirtschaftskrise, wurde das Geld plötzlich knapp. Mit dem Krieg übernahm das Pentagon.
"Die USA beteiligten sich am Zweiten Weltkrieg. Das führte zu einem rapiden Wandel, sowohl in den Strukturen als auch der Einstellung dazu, wie man wissenschaftliche Forschung unterstützen soll."
Von staatlicher Zurückhaltung war jetzt keine Rede mehr. An den Unis wurde an militärischen Anwendungen gefeilt, alles richtete sich auf die Frage, wie man den Krieg gewinnen könne. Das neue Radiation Lab des MIT führte geheime Forschungen in der Radartechnologie durch. Angehörige der Armee wurden an der Uni geschult, und die Kriegsthemen sickerten in den Lehrplan ein.
"Nach dem Krieg gab es eigentlich keine Demobilisierung. Erst sah es so aus, als sei das nur ein Modell für den Notfall, aber dann wurde es ziemlich schnell zur neuen Normalität."
Mit dem Lincoln Lab gründete das MIT 1951 eine vom Pentagon bezahlte Forschungseinrichtung. Auf einem eigenen Campus und mit hohem Budget wurde dort an Technologien gegen Luftangriffe gearbeitet. Auch in andere Teile der Uni floss weiter Geld aus dem Verteidigungsetat. Um Waffen und Kriegstechnik ging es dabei oft gar nicht mehr, sagt David Kaiser.
"Die Idee war, dass die Regierung die besten jungen Wissenschaftler und Ingenieure unterstützte und sie erforschen ließ, was immer sie interessierte: Fragen mit offenem Ausgang oder wissenschaftliche Grundlagen. So waren sie gut ausgebildet und standen zur Verfügung für den Fall, dass der Kalte Krieg jemals ausbrach, und die USA wieder in einen offenen Krieg gingen."
Zwei Jahrzehnte lang schoss das US-Militär der Wissenschaft so immense Summen an Geld zu. Doch Ende der 1960er war Schluss damit. Das Pentagon zog Bilanz und stellte fest, dass diese Forschungspolitik einfach zu unrentabel war. Und auch von unten gab es Widerstand. Immer mehr Studenten wurden in den Vietnam-Krieg eingezogen.
"Die Frage der Wehrpflicht machte deutlich, was wirklich hinter der Rolle des Militärs in der Wissenschaft und Bildung steckte, auf eine sehr robuste und intuitive Weise, für eine ganze Generation. Das führte zu einer sehr heftigen Debatte an den amerikanischen Universitäten."

"Gelder von Industrie erscheinen manchmal als schmutzig"

Das Geld des Militärs an den Unis schrumpfte, aber verschwand nie ganz. Das Lincoln Lab gibt es noch heute. Auch die Diskussion über die Verzahnung von Militärtechnologie und wissenschaftlicher Innovation dauert an. Gleichzeitig beobachtet Wissenschaftshistoriker David Kaiser eine Rückkehr zum Modell der 1920er- und 30er-Jahre, in dem private Stiftungen und Unternehmen die Finanzierung übernehmen.
"Jetzt erscheinen Gelder von der Industrie wieder manchmal als schmutzig - so wie für andere Kritiker das Geld vom Militär."
"Das ist also Biogen Sieben, das siebte Gebäude auf diesem Gelände. Das war alles Freifläche in den 70ern und 80ern. Jetzt entsteht hier eines der wichtigsten Labore für die Biotech-Industrie in der Welt."
Phillip Sharp steht an einer Straßenecke nicht weit vom Campus und deutet auf eines der Gebäude. Der Wissenschaftler kennt die dicht bebaute Gegend rund um den Kendall Square wie seine Westentasche. Seit über vier Jahrzehnten forscht Sharp am MIT, mit einer Gruppe internationaler Kollegen gründete er Ende der 70er die Firma Biogen.
Biogen war die erste Firma, die in Cambridge eine Lizenz für die Rekombination von Genen bekam. Die Zentrale liegt nur wenige Blocks vom MIT entfernt, mit einem neuen Gebäude, das Sharps Namen trägt. 1993 bekam der Molekularbiologe den Nobelpreis. Heute arbeitet er nicht mehr für Biogen, die erste seiner drei Firmen.
"Wegen des dichten Verkehrs in Cambridge hat Biogen jetzt Busse, die die Mitarbeiter zur Arbeit bringen. Im Bus kriegen sie Kaffee, können sich ans WiFi andocken und ihren Arbeitstag beginnen. Dann kommen sie an und arbeiten vor Ort, und für den Rückweg nach Hause nehmen sie wieder die Busse. Das ist ein sehr beliebter Weg nach Cambridge zu pendeln."
Der Verkehr dürfte bald noch dichter werden. Am Kendall Square wird gebaut und gebaut. In den letzten Jahren sind hier die Start-Ups der Biotech-Branche nur so aus dem Boden geschossen. Viele der Unternehmensgründer kommen vom MIT.

Aufbruchsstimmung auf dem Campus

Die Möglichkeiten rund um den Kendall Square könnten kaum besser sein. Es sind nur wenige Schritte zum Broad-Institut, wo Forscher am Einsatz der neuen Crispr-Technik arbeiten, mit der Gene noch leichter manipuliert werden können. Jungen Firmen können in sogenannten Inkubatoren Labore und Büros nutzen. Auch das Whitehead Institute und das Koch-Institut für Krebsforschung, wo Phillip Sharp sein Büro hat, liegen direkt um die Ecke - genauso wie die kreativen Köpfe des MIT MediaLab.
Eine Aufbruchsstimmung, die auch die Pharmariesen erfasst hat. Die Forschungslabors von Novartis liegen nun direkt am Campus.
"Vor 40 Jahren hast du dich unsicher gefühlt, wenn du hier alleine warst! Und bist sehr schnell weitergelaufen. Ganz anders als unser Spaziergang heute."
Jetzt passiert man schicke Restaurants, hippe Coffee Shops, Galerien und Bars. Auch das beflügelt den Austausch, und er trägt Früchte. Mit Novartis treibt das MIT die Verbesserung der Herstellung von Medikamenten voran. Das Whitehead-Institut arbeitet mit der Firma Biogen an neuen Therapien.

"Interessenkonflikt sind unvermeidbar"

Solche Kooperationen sind am MIT ganz normal. Kann man da die Interessen noch auseinanderhalten? Für finanzielle Interessenkonflikte gibt es Regeln, sagt Phillip Sharp. Doch intellektuelle Konflikte ließen sich kaum verhindern.
"Wenn man den Fortschritt voranbringen und wichtige Probleme lösen will, dann ist dieser Interessenkonflikt unvermeidbar. Man kann ihn versuchen aufzuhalten oder zu verteilen. Aber um Probleme wirklich zu lösen, sind diese Beziehungen äußerst wichtig."
Jedes Jahr füllen die Mitarbeiter des MIT einen Fragebogen aus, um legaler, ethischer finanzielle oder sonstige Interessenkonflikte ausfindig zu machen. Zu den Richtlinien gehört, dass Forscher kein Gelder von Firmen annehmen dürfen, an denen sie finanzielles Interesse haben.
Die räumliche Nähe und die vielen Partnerschaften machen es aber praktisch unmöglich, ganz klare Grenzen zwischen Wissenschaft und Industrie zu ziehen. Das dürfte auch für eine neue Branche gelten, die hier am Kendal Square gerade entsteht:
"Die Gegend hier zieht Microsoft an, Google, Yahoo, Amazon und viele der anderen großen Big-Data-Cloud-Computing-Firmen. Sie wissen, dass diese Technologie dazu beitragen wird, den Gesundheitssektor zu transformieren."
Jeder will bei der nächsten Revolution dabei sein: der Verwertung großer Datenmengen aus der Medizin, wie Patientendaten, Krankheitsverläufen oder genetischer Analysen. Es dürfte ein riesiger neuer Markt werden. Das Geflecht aus Forschern, Firmen und Start-ups am Kendall Square treibt ihn mit an.

"Forschung wird jedes Jahr teurer"

"Jedes Mal, wenn meine Kollegen eine Vereinbarung unterzeichnen müssen oder ein Ergebnis nicht veröffentlichen dürfen aufgrund von geistigen Eigentumsrechten, dann ist da der Eindruck, dass das vielleicht nicht das perfekte System ist."
Viele Hunderte Millionen Forschungsgelder fließen in die amerikanischen Top-Universitäten wie das MIT. Für die Forscher ist es wie ein schneller, breiter Strom. Ein Fluss an Mitteln, der sie und ihre Forschung schnell und mit großer Kraft voranbringt. Doch wer dabei sein will, hat keine Wahl, er muss mitschwimmen.
"Da ist immer noch diese sehr reale Frage, was für Bedingungen hängen an dem Geld. Wir brauchen die Mittel. Wissenschaftliche Forschung ist unglaublich teuer und wird jedes Jahr teurer. Wir brauchen kluge Menschen und oft auch große anspruchsvolle Geräte. Das ist teuer."
Jeder Forscher sorgt mit Anträgen dafür, dass das Geld weiter fließt. Manche beflügelt das. Andere halten inne und versuchen zu bremsen. Und wieder andere entwerfen Strategien, um den Fluss aus Forschungsgeldern vielleicht doch ein bisschen selbstbestimmter herunterzufahren.
Was bleibt, ist die Frage, was dieses System mit Wissenschaft macht - wenn die, die das Geld haben, mit entscheiden können, was überhaupt erforscht wird. Die Freiheit der Forschung muss daher stets aufs Neue gesellschaftlich ausgehandelt werden. Denn die Auswirkungen heutiger Forschung betrifft auch künftige Generationen - nicht nur in den USA.
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