Forschungsdrang und Sammlerwut

Von Vanja Budde · 23.09.2010
Berlin feiert 2010 das Wissenschaftsjahr, denn Humboldt-Universität, Akademie der Wissenschaften, Charité und Max-Planck-Gesellschaft begehen ihre Gründungsjubiläen. Als Höhepunkt ist die die große Panoramaausstellung "WeltWissen" im Martin-Gropius-Bau mit einem Überblick über 300 Jahre Forschungsdrang und Sammlerwut Berliner Wissenschaftler.
Der Martin-Gropius-Bau ist groß, aber angesichts der Fülle der Museen, Sammlungen und Forschungs-Institute in Berlin hatten die vier Kuratoren die Qual der Wahl.

"Die war tatsächlich nicht ganz einfach, das Problem hat sich natürlich gestellt und wir sind uns gewahr, dass da einiges an Kritik auf uns zukommen wird: ‚Warum zeigt ihr das nicht?’ Warum erzählt ihr die Geschichte nicht?’ Schier unmöglich! Wir haben versucht, das Ganze in ein Konzept zu gießen, das uns das Exemplarische erlaubt."

Kurator Patrick Kleinschmidt und Kollegen wühlten zwei Jahre lang in den Beständen von 150 Leihgebern, um solch exemplarische Exponate zusammen zu tragen. Den Lichthof des Gropiusbaus nimmt nun ein gigantisches Regal ein. Es beherbergt Objekte wissenschaftlichen Forscherdrangs, wie das Skelett des Lieblingspferdes von Friedrich II. oder eine Eisernen Lunge. Patrick Kleinschmidt:

"So beginnt Wissenschaft: Man interessiert sich für ein Objekt, setzt sich damit auseinander, versucht mehr darüber heraus zu finden. Diese Neugier ist es ja auch letztlich, was den Wissenschaftler antreibt."

Und den Betrachter ans Fernrohr, die Exponate im 15 Meter hohen Regal näher ins Visier zu nehmen. Fernrohre, die wissenschaftliche Einordnung liefern, ein guter Einfall der Ausstellungsmacher, um nicht mit der schieren Fülle der Objekte zu erschlagen. Natürlich protzt die Schau mit Berliner Errungenschaften wie der Sichtung des Neptuns, Konrad Zuses erstem Computer oder dem Chemie-Nobelpreis von 2007 für Gerhard Ertl. Aber dass mancher Forscher ethische Fragen vernachlässigt, wird nicht verschwiegen. Patrick Kleinschmidt:

"Robert Koch ist ein gutes Beispiel dafür, der viele Entdeckungen gemacht hat, der aber auch dafür über Grenzen gegangen ist, indem er nicht nur in Deutschland geforscht hat, sondern ins Ausland gegangen ist und dort mit Menschen Versuche gemacht hat, die er in Deutschland nicht hätte machen können und dürfen."

Der zweite Teil der Ausstellung ist als historischer Rundgang angelegt: Von den Anfängen der Wissenschaft am Königlichen Hof über den rasanten Aufstieg Berlins zur Wissenschaftsmetropole bis zum großen Bruch 1933. Kuratorin Nikola Doll:

"Die Vertreibung von jüdischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erzählen wir an sechs Beispielen. Darunter die Geschichte der Physikerin Lise Meitner, die mit Otto Hahn an der Kernspaltung forschte, als Jüdin emigrieren musste und an dem geglückten Versuch der Kernspaltung nicht mehr teilnehmen konnte."

Aber aus dem schwedischen Exil die theoretische Erklärung der Kernspaltung lieferte. Lise Meitner schrieb an Otto Hahn viele Briefe und die Ausstellung gibt ihr eine Stimme. Die meisten jüdischen Wissenschaftler kehrten 1945 nicht ins geteilte Berlin zurück, ein Verlust, der bis heute spürbar ist. Wie auch die Mauer, die Universitäten und Forschungseinrichtungen trennte.
Zeitzeugen-Interviews belegen, wie nach der Wende manches Ost-Institut kühl abgewickelt wurde und warum es rund 20 Jahre gedauert hat bis zu dieser ersten gemeinsamen Wissenschafts-Schau. Dafür steht ein Highlight exemplarisch:

"Das ist die Handschrift der 9. Sinfonie von Beethoven, das Original. Das normalerweise in der Staatsbibliothek liegt. Und wir erzählen mit diesem Objekt die Zusammenführung von wissenschaftlichen Sammlungen nach der Wiedervereinigung"," so Patrick Kleinschmidt.

Teil 3 der Ausstellung stellt in Themenräumen Fragen nach der alltäglichen Arbeit von Wissenschaftlern, unabhängig von Epoche oder Disziplin. Nikola Doll:

""Wie materialisiert sich zum ersten Mal ein wissenschaftlicher Gedanke? Wo fängt eine Theorie an? Und hier zeigen wir zum Beispiel ein ganz bedeutendes Objekt: Das Züricher Tagebuch von Albert Einstein im Original mit der Seite aufgeschlagen, auf der er zum ersten Mal die Relativitätstheorie niederschrieb, zu einem Zeitpunkt als er selbst diese Theorie noch gar nicht erklären konnte."

Die Faszination historischer Dokumente und Objekte in allen Ehren: Die heutige Forschung wird nur kurz abgehandelt. Die Welt der Computersimulationen schien wohl nicht sinnlich genug oder die Spitzenforschung des 21. Jahrhunderts nicht mehr vermittelbar. Dennoch: "WeltWissen" bietet einen grandiosen Rückblick auf 300 Jahre Wissenschaftsgeschichte nicht nur in Berlin. Eine Ausstellung, für die man viel Zeit mitbringen sollte.

Link: "WeltWissen" im Martin-Gropius-Bau
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