Forscherin Brockmann

Von Glückskindern lernen

Lachendes kleines Mädchen, Juni 2014
© picture alliance / dpa / ZB / Patrick Pleul
Hilke Brockmann im Gespräch mit Nana Brink |
Ein ausbalanciertes Leben mache uns glücklich, sagt die Soziologin Hilke Brockmann. Sie warnte vor dem ständigen Zwang zur Selbstoptimierung, zu dem uns wirtschaftliches Denken abgerichtet habe: "Mehr" sei nicht immer besser und führe zu Vereinseitigung.
Was macht Menschen zufrieden? Und welche Faktoren sind dafür entscheidend, welche sind eher abträglich? Der Mensch sei am glücklichsten, wenn er ein ausbalanciertes Leben führe, sagte die Soziologin und Glücksforscherin Hilke Brockmann im Deutschlandradio Kultur:
"Dazu gehört natürlich die Liebe und das Zwischenmenschliche. Das ist ganz, ganz wichtig. Dazu gehört auch Gesundheit. Und ein bisschen Geld ist auch nicht schlecht."
Über die bestimmenden Faktoren für ihr Glück wüssten die meisten Menschen ganz gut Bescheid, meinte Brockmann. Dieses Bewusstsein stamme aus bestimmten Erfahrungen, die dann positiv abgespeichert werden würden. Sie warnte allerdings vor einem ständigen Zwang nach Selbstoptimierung. "Mehr" sei nicht immer besser:

"Die Ausrichtung in unserer Wirtschaft hat uns so ein bisschen darauf abgerichtet, dass wir immer nach einer Optimierung suchen. Und das führt einfach oft zu einer Vereinseitigung unserer Optimierungsbestrebungen. Und das führt dann in der Summe nicht zum besseren Ergebnis."
"Man kann sich auch einmal nach unten orientieren"
Das Glück sei nicht an eindeutigen, objektiven Kriterien messbar, sondern es sei eine individuelle Reaktion jedes Einzelnen. Dafür brauche man in der Regel bestimmte Bewertungsmaßstäbe:
"Und da können wir eine ganze Menge drehen. Mit wem vergleiche ich mich? Woran bewerte ich mich? Und da, glaube ich, sind die Glückskinder diejenigen die den sicheren Griff haben, sich auch einmal nach unten zu orientieren. Denn das ist ein guter Tipp, um glücklich zu sein."
Hilke Brockmann ist Professorin für Soziologie an der Jacobs University in Bremen. Sie ist auch Autorin des Buches "Human Happiness und the Pursuit of Maximization. Is more always better?" Heute stellt die OECD den neuen "Better life index" mit dem Titel "How's life 2015?" vor.


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Und leicht ist das Leben schon, vor allen Dingen, wenn man ein bisschen verknallt ist. Das macht glücklich, zumindest sagt man das. Vielleicht ist es ein Klischee, aber wahrscheinlich macht es das richtig. Und das schreibt man dann ja auch gern auf Geburtstagskarten, wenn man jemandem gratulieren will, auch auf Facebook. Da wählen wir ja dann immer die Worte "Viel Glück!" – und vielleicht überlegt man sich auch mal, was eigentlich dahintersteckt.
Was ist denn Glück? Ist es Gesundheit, Geld, Familie, Karriere? Ist Glück für einen 20-Jährigen nicht was ganz anderes als für eine 70-Jährige? Oder für einen Deutschen etwas ganz anderes als für einen Kongolesen? Was für ein Glück, dass es Menschen gibt, die sich mit unserem Glück beschäftigen, ganz wissenschaftlich, so wie Hilke Brockmann. Sie ist Professorin für Soziologie an der Jacobs University in Bremen. Guten Morgen, Frau Brockmann!
Hilke Brockmann: Guten Morgen!
Brink: Wann sind wir denn am glücklichsten?
Brockmann: Wir sind am glücklichsten, wenn wir ein ganz gut ausbalanciertes Leben haben. Und dazu gehört natürlich die Liebe und das Zwischenmenschliche, das ist ganz, ganz wichtig. Dazu gehört auch Gesundheit. Und ein bisschen Geld ist auch nicht schlecht.
Brink: Also dann ist das eigentlich schon ganz richtig, was wir auf die Geburtstagskarten immer schreiben?
Brockmann: Ja, ich glaube, das ist ganz richtig, weil wir unser eigenes Glück auch ganz gut kennen. Das ist nämlich letztendlich unsere eigene Erfahrung. Was uns glücklich macht, ist das, was wir tagtäglich erleben, und was wir dann als positiv abspeichern. Und das ist so eine gute Mischung oft.
Das Leben nimmt einen U-förmigen Verlauf
Brink: Ich habe aber im eigenen Leben – und jeder hat das wahrscheinlich, unsere Hörerinnen und Hörer auch –, festgestellt, dass es ja ganz unterschiedliche Phasen gibt, man Glück auch unterschiedlich empfindet. Ist das wirklich so oder ist das nur so ein individueller Eindruck, den man hat?
Brockmann: Aufgrund von empirischen Daten kann man das sehr wohl feststellen, dass es so einen U-förmigen Verlauf über das Leben gibt, dass wir in bestimmten Phasen glücklicher sind als in anderen. Und wir sind besonders glücklich im jungen erwachsenen Leben und auch im jüngeren Alter. Und besonders unglücklich offensichtlich in der Mitte des Lebens.
Brink: Also richtig so ein "U" muss ich mir vorstellen, es gibt dann so einen Knick nach unten und dann geht es wieder nach oben? Das ist ja immerhin positiv.
Brockmann: Genau. Das ist eigentlich ein ganz schöner Ausblick, und es scheint so zu sein, ja. Wir haben mit den Daten, die uns zur Verfügung stehen, auch mit internationalen Daten, das immer wieder rekonstruieren können.
Brink: Weil Sie sagen, internationale Daten – funktioniert denn, sage ich jetzt mal salopp, das "U" in allen Kulturbereichen so? Ich habe manchmal die Vorstellung, dass wir vielleicht Glück ganz anders empfinden als die Menschen in Afrika.
Brockmann: Wir empfinden das Glück nicht anders, aber es sind zum Teil andere Dinge, die für unser Glück wichtig sind. Das Glück, das eine gute Mischung ist, ist natürlich in Ländern – Sie sprachen den Kongo an –, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, ganz stark geprägt von Sicherheit. Aber auch dort natürlich vom sozialen Miteinander. Und in Ländern, die sicher und wohlhabend sind, spielen dann vielleicht auch Tätigkeiten eine besondere Rolle, die man sich im Kongo nicht leisten kann, wie zum Beispiel, die Freizeit zu genießen.
Gefahr der Vereinseitigung bei der Optimierung
Brink: Sie haben ein Buch geschrieben, das heißt "Human Happiness and the Pursuit of Maximization. Is more always better?". Das ist ein ganz interessanter Titel, wie ich finde, denn ich habe manchmal das Gefühl, wenn ich in den bekannten Ecken der Buchläden schmökere, da gibt es so eine Art Glücksterrorismus. Also es gibt eine Fülle von Büchern, die mir einreden wollen, wie ich glücklicher wäre, wie ich mich selbst optimiere, das ist immer so das Wort, das dann immer sofort kommt. Ist denn mehr immer besser, wie Sie sagen?
Brockmann: Nein, es ist eben nicht immer besser, insbesondere wenn ich mich beim Mehr irgendwie auf eine bestimmte Sache konzentriere. Das wissen wir ja beim Essen, das wissen wir in vielen anderen Dingen. Aber die Ausrichtung in unserer Wirtschaft hat uns so ein bisschen darauf abgerichtet, dass wir immer nach einer Optimierung suchen. Und das führt einfach oft zu einer Vereinseitigung unserer Optimierungsbestrebungen. Und das führt dann in der Summe nicht zum besseren Ergebnis.
Brink: Ist denn Glück – also wenn wir das jetzt mal umdrehen –, ist Glück denn nur denkbar auch mit Unglück? Unglück wird ja immer so verteufelt. Ist das immer schlimm? Ich meine jetzt nicht Krieg und Terror oder Verlust von Menschen, sondern das, was wir manchmal als Unglück empfinden.
Zum Glück gehört auch das Unglück
Brockmann: Nein, ich glaube, was wir in der empirischen Forschung - also wenn wir die Leute fragen, sind Sie glücklich, und dann gleichzeitig andere Dinge abfragen - und sehen, mit welchen Dingen das sehr eng zusammenhängt, dann ist es natürlich sehr wohl so, dass zum Glück auch das Unglück gehört.
Das Glück ist nicht eine Erfahrung, die man sich ständig bewahren kann, sondern das sind eben Erlebnisse, Realisierungen – das war jetzt ein ganz besonders glücklicher Moment oder das hat mir sehr gut gefallen –, die natürlich davon abgelöst werden, dass da auch wieder unglückliche Erlebnisse und Beurteilungen irgendwie sich anschließen. Ich glaube nicht, dass die Glücksforschung sich nur auf das eine orientiert, sondern natürlich gleichzeitig auch das Unglück der Leute mit im Blick hat.
Brink: Also man muss durch das Unglück durchgehen, man muss es aushalten?
Brockmann: Es gibt jedenfalls keine Möglichkeit, auch unglückliche Momente vollständig immer auszuschließen. Und insofern ist das ein Teil des Lebens, ja. Und es hilft uns, ehrlich gesagt, natürlich auch, unsere Aufmerksamkeit oder auch uns zu motivieren, sich umzuorientieren, etwas anderes zu machen. Für uns ist diese Beurteilung, ob glücklich oder unglücklich, ein innerer Kompass, der uns anleitet, nach dem Glück zu suchen.
Das Glücksgen ist noch nicht gefunden
Brink: Es gibt ja so Menschen, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht in Ihrem Umfeld, also man hat manchmal Menschen in seinem Umfeld, das sind Glückskinder. Das ist auch so ein interessanter Begriff. Denen scheint irgendwie alles zu gelingen. Gibt es so was wie ein Glücksgen, wenn ich das mal so formulieren kann?
Brockmann: Es ist noch nicht gefunden worden. Aber man kann sich natürlich von diesen Glückskindern einige Techniken abschauen. Und ich glaube, darauf stellt auch diese Ratgeberliteratur ganz stark ab. Das Glück ist ja kein unbedingt an eindeutigen, objektiven Kriterien ablesbares Maß, sondern es ist eine Reaktion, eine individuelle Reaktion jedes Einzelnen.
Und bei dieser individuellen Reaktion oder für diese Beurteilung, die wir da vornehmen, ganz persönlich, brauchen wir in der Regel Bewertungsmaßstäbe. Und da können wir eine ganze Menge drehen. Mit wem vergleiche ich mich, woran bewerte ich das? Und da, glaube ich, sind die Glückskinder diejenigen, die den sicheren Griff haben, sich auch mal nach unten zu orientieren. Denn das hilft, das ist ein guter Tipp, um glücklich zu sein.
Brink: Die Soziologieprofessorin Hilke Brockmann. Danke für das Gespräch! Und wir suchen weiter nach dem Glücksgen.
Brockmann: Wunderbar. Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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