Forschen für Vertreibungen

Von Jens Brüning |
Viele der während der NS-Diktatur tätigen deutschen Wissenschaftler behaupteten nach dem Krieg, sie seien vom Regime "missbraucht" worden. Dass diese Schutzbehauptung eine glatte Lüge war, dokumentiert die Ausstellung "Wissenschaft - Planung - Vertreibung". Sie zeigt, wie viele Wissenschaftler in vorauseilendem Gehorsam sich an menschenverachtenden Experimenten beteiligten oder durch Teilnahme an Projekten wie dem "Generalplan Ost" zu Schreibtischtätern wurden.
"Himmler hat sich in dieser Zeit der Hoffnung und weitgehenden Überzeugung hingegeben, den Ostraum zu behalten, den Ostraum zwangszusiedeln, und langsam ganz bestimmte Gruppen, die er von Volksfremden aufsaugt, dort verbunden mit Deutschen anzusiedeln. Das war sein ewiger Plan, und war seine Überzeugung noch in einer Zeit, wo es schon sehr absurd gewesen ist."

Eine Aussage Karl Gebhardts, Leibarzt und Schulfreund Heinrich Himmlers, im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47. Der hier knapp zusammengefasste "Generalplan Ost", entwickelt von Wissenschaftlern vieler Fachgebiete, sah vor, mit Mitteln von 45,7 Milliarden Reichsmark und etwa 500.000 Arbeitskräften das "Ingermanland" in der Gegend von Sankt Petersburg oder den "Gotengau" auf der Krim zu errichten. Wenigstens 3,4 Millionen "Germanen" oder "rassisch erwünschte Fremdvölkische" sollten hier siedeln. Letztlich sollte das Siedlungsgebiet bis zum Ural reichen. Gefördert wurden die Forschungen für diesen "Generalplan Ost" von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Historikerin Sabine Schleiermacher:

"Eine Forschungsförderereinrichtung hat sich an dieser Politik in Osteuropa schuldig gemacht und eben durch ihre Forschung dazu beigetragen, dass Menschen deportiert und ermordet wurden."

Die Vorarbeiten zum "Generalplan Ost" waren schon vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten getan: Die nun besonders geförderten Wissenschaftler stellten sich bereitwillig in den Dienst der neuen Machthaber.

"Das, was Sie dort an Anträgen sehen können, ist ja nur eine kleine Auswahl, die wir ausgesucht haben, um die Breite zu verdeutlichen, die sich eben nicht nur auf 'Rassenhygiene', also das, was man mit 'Wissenschaft im Nationalsozialismus' identifiziert, wie 'Rassenhygiene' oder 'Rassenanthropologie', sondern eben auch Betriebswirtschaft, Architektur, Städtebau, das sind ja Wissenschaften, die letztlich nicht mit Nationalsozialismus und Verbrechen in Verbindung gebracht werden."

Die Folgen der Arbeiten von Baumeistern, Betriebswirten und Städteplanern: Ganze Landstriche wurden entvölkert, die abtransportierten Menschen oft in Konzentrationslagern vernichtet oder zur Zwangsarbeit verschleppt. Dass eine der treibenden Kräfte hinter dem "Generalplan Ost", der seit 1934 in Berlin lehrende Agrarwissenschaftler und SS-Oberführer Konrad Meyer, nach 1945 mit nur kurzer Unterbrechung seine Karriere als Universitätslehrer fortsetzen konnte, ist ein Hinweis auf die Dimension, die mit dieser Ausstellung eröffnet wird.

Sabine Schleiermacher: "Es geht in dieser Ausstellung um Schreibtischtäter. Also um Wissenschaftler, die nicht an der Rampe standen und Menschen selektierten, wie Mengele, Leute aussortierten und dann in entsprechende Forschungsprogramme "einspeisten", so kann man das vielleicht sagen, sondern es geht um Schreibtischtäter, Wissenschaftler, die am Schreibtisch planten und bei ihren Planungen eben dazu beitrugen und voraussetzten, dass Menschen umgebracht oder umgesiedelt werden."

Service:
Die DFG-Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung - Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten" ist noch bis zum 23.2.2008 im Foyer der Humboldt-Universität Berlin zu sehen.