Form, Spiel und Illusion

Oscar Wilde prägte als Dandy den Stil seiner Zeit. Mit Mitte 40 hat er eine Reihe von Essays veröffentlicht, die die philosophischen Grundlagen für seine Theaterstücke bildeten. Die Texte sind jetzt erschienen: geschliffene und geistreiche Bemerkungen - ein Lesevergnügen.
In einer Zeit, in der Kunst- und Literaturkritik vor allem als eine Art Serviceleistung wahrgenommen wird, ist ein Essay mit dem Titel "Der Kritiker als Künstler" schon fast eine Provokation. Auch wenn diese Provokation schon über hundert Jahre alt ist. Schon zu ihrer Zeit, anno 1890, richtete sie sich gegen ein Rezensionswesen, in dem die Rezensenten zu "Gerichtsreportern herabgestuft" sind, "die über die Taten der Gewohnheitsverbrecher im Reich der Kunst berichten müssen". Ernsthafte Kritikerinnen und Kritiker unserer Tage werden dem Verfasser da gern und aus vollem Herzen beipflichten.

Oscar Wilde hatte damit allerdings anderes im Sinn als die kulturpessimistisch Klagenden der Gegenwart. Sein Ärger richtete sich gegen jede romantisch aufgeladene Vorstellung von Authentizität im Leben wie in der Kunst.

Die Kritik steht über der Kunst
Der Großteil der modernen Kunst sei "nicht ganz so vulgär wie die Realität", und das sei "das Beste, was man darüber sagen kann". Die Jungen Wilden der 1980er-Jahre hätte er mit Sicherheit ebenso schauderhaft gefunden wie die Young British Artists zehn Jahre später. Für Oscar Wilde war Kunst nichts - oder nicht viel - ohne einen ästhetischen Mehrwert, den allein die Kritik einzuschätzen und einzubringen vermochte: Wenn über dem wirklichen Leben die Kunst steht, steht über der Kunst die Kritik.

Ohne sie ist die Kunst zum Stillstand verurteilt, zur stetigen Wiederholung. Der Kritiker als der wahrhaft wissende, gebildete und distanzierte Betrachter (und Leser) verkörpert also das Streben nach ästhetischer Vollkommenheit.

So wie dieser Essay formal als Dialog in Anlehnung an altgriechische Traditionen gestaltet ist, übernimmt (und vertieft) er inhaltlich die antike Vorstellung, dass Schönheit eine Form der auch moralischen Makellosigkeit sei. Wenn man quer über das 20. Jahrhundert hinweg auf Wildes radikalästhetische Thesen zurückschaut, ist es vor allem das Vergnügen an seinen geschliffenen Apercus und am eleganten Wirbel der Argumente, die einen als gegenwärtigen kritischen Leser überzeugen.

Ähnliches gilt für die beiden anderen Essays in diesem Band, die sich mit einer speziellen Variante der Spekulation um Shakespeares Sonette und um die historische Aufführungspraxis der Dramen drehen: Entscheidend ist die Form, das Spiel, und die, ja doch: Illusion.

Besprochen von Katharina Döbler

Oscar Wilde: Die Wahrheit von Masken. Drei Essays
Aus dem Englischen von Joachim Bartholomae und Volker Oldenburg
Männerschwarm Verlag, Hamburg 2013
190 Seiten, 19,00 Euro
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