Foodwatch-Schmähpreis

Heilig sei uns Brot - aber nicht Babynahrung von Alete

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"Goldener Windbeutel" für eine Alete-Trinkmahlzeit, die fälschlicherweise als babygerecht und gesund angepriesen wurde. © foodwatch/Petra Welzel
Von Arno Orzessek · 05.10.2014
"Der Mensch ist, was er isst". Der berühmte Satz Ludwig Feuerbachs erlangt angesichts diverser Lebensmittelskandale neue Bedeutung. Den Foodwatch-Schmähpreis "Goldener Windbeutel" hätte er Nestlé gewiss gegönnt.
Schade eigentlich, dass der Schmähpreis von Foodwatch ausgerechnet "Goldener Windbeutel" heißt. Denn ob mit Vanille- oder Avocado-Creme gefüllt - ein präzise ausgebackener Windbeutel ist eine sehr anständige, knusprige Leckerei.
Aber sei's drum. Foodwatch hat natürlich den negativen metaphorischen Mehrwert von "Windbeutel" im Auge. Als Windbeutelei wird im Duden leichtfertiges Handeln definiert -, inhaltlich geht's der Organisation um die Lügen in der Lebensmittel-Werbung.
Und das ist grundsätzlich gut so. Denn wenn es um Mittel zum Leben geht, können Falsch-Etikettierungen und Täuschungen krank machen und im äußersten Fall tödlich sein. Wovon genügend Lebensmittel-Skandale zeugen. Anders gesagt: Heute versteht eigentlich jeder, dass die berühmteste Sentenz des Philosophen Ludwig Feuerbach - "Der Mensch ist, was er isst" - trotz polemischer Pointiertheit in vielerlei Hinsicht stimmt.
Körper war niederes Anhängsel des Geistes
Den meisten Menschen wurde es zur Selbstverständlichkeit, dass ihre Existenz nicht von ihrem Körper und dessen Bedürfnissen zu trennen ist. Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings wirkte Feuerbachs These anmaßend und aufmüpfig. Erst allmählich klang das Zeitalter des Idealismus ab, das Hegel mit seiner spekulativen Philosophie des absoluten Geistes, dem der Körper niederes Anhängsel ist, dominiert hatte.
Und überhaupt war es in der abendländischen Philosophie-Tradition seit Platon überwiegend verbreitet, dem Geist - oder auch der Seele - den Primat vor dem Körper einzuräumen.
Laut René Descartes' logisch vertracktem Grundsatz "ego cogito, ergo sum" - ich denke, also bin ich - garantiert der Verstand sogar überhaupt erst die menschliche Existenz. Existenz und Essen in Verbindung zu bringen, auf diese Idee waren nur wenige Liebhaber der Weisheitslehre gekommen - die allerdings schon früh.
Für Epikur, der von den antiken Schülern Platons genauso krass angefeindet wurde wie später von Martin Luther, waren Essen und Trinken wesentliche Bedingungen für den Genuss des Daseins. Wobei es in der Athener Garten-Kommune, in der Epikur über 30 Jahre lang unter seinen Anhängern lebte, keineswegs luxuriös und ausschweifend zuging. Anders als es die landläufige Vorstellung vom epikureischen Saus und Braus suggeriert, kam es dem Meister auf maßvollen Genuss an...
Feuerbach forderte "neue Philosophie"
Erkennbar auch daran, dass er einem Freund schrieb: "Schicke mir etwas Käse, damit ich einmal lecker essen kann, wenn mich die Lust dazu ankommt." Epikur favorisierte wohlverstandenen Hedonismus und steht damit über 2000 Jahre hinweg Ludwig Feuerbachs Sinnlichkeitslehre nahe. Feuerbach forderte nicht weniger als eine "neue Philosophie", in der die "Wahrheit der Sinnlichkeit mit Freuden, [und] mit Bewusstsein" anerkannt wird.
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Porträt des Philosophen Ludwig Andreas Feuerbach (1804-1872).© picture alliance / dpa
Dabei rückte das gute und richtige Essen in den Mittelpunkt. Feuerbach war überzeugt: "Das Sein ist eins mit dem Essen; Sein heißt Essen; was ist, isst und wird gegessen." Eigentlich als großer Religions-, Spekulations- und Hegel-Kritiker bekannt, macht Feuerbach mittlerweile als "Vordenker der Gastrosophie", also der Bauch-Weisheit, Karriere...
So etwa in "Epikur. Journal für Gastrosophie". Dort hat der Philosoph Harald Lemke gezeigt, dass Feuerbachs Hochachtung des Essens mit immer noch aktuellen anthropologischen, politischen und moralischen Erkenntnissen einhergeht.
Man darf darum mutmaßen: Heute fände ein Feuerbach die Lügen in der Lebensmittelwerbung abscheulich und würde Nestlés kaloriensattem Kariesförderungstrunk, den Foodwatch nun angeprangert, den "Goldenen Windbeutel" gewiss gönnen.
Denn der Denker, der Gott zur bloßen Erfindung des Menschen erklärt hatte, erklärte anderes sehr wohl für heilig: "Heilig sei uns [...] das Brot, heilig der Wein, aber auch heilig das Wasser!" Babynahrung von Alete hätte Feuerbach natürlich nie und nimmer in diese Reihe gestellt.