Folgen der Pandemie

Mietschulden in der Coronakrise

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Mieter werden aus einem Haus vertrieben (Illustration)
Viele Mieterinnen und Mieter sind durch die Coronakrise in Zahlungsschwierigkeiten geraten - eine Kündigungswelle ist zu befürchten. © imago/Ikon Images/Oivind Hovland
Von Jonas Ochsmann · 18.08.2020
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Wenn das Einkommen durch Corona schrumpft, wird Miete zahlen schnell zum Problem. Den bis 30. Juni gültigen Kündigungsschutz für Mieter hat die Bundesregierung nicht verlängert. Welche Folgen sind nun abzusehen?
Genaue Zahlen, wie viele Haushalte tatsächlich Corona-bedingte Mietschulden haben, gibt es nicht. Der Verein Haus & Grund, Interessenvertreter privater Vermieter, hat im April eine Umfrage in Auftrag gegeben, der zufolge 1,6 Millionen Haushalte durch Corona ihre Miete nicht mehr zahlen können.
"Die Ergebnisse waren, dass so sieben, acht Prozent gesagt haben wir werden wegen Corona unsere Miete nicht mehr zahlen können. Und etwa 15 und 16 Prozent sagt, wir wissen nicht genau, es könnte sein, dass wir die Miete nicht mehr zahlen können."
Rückblickend muss Alexander Wiesch, Pressesprecher von Haus & Grund, die Ergebnisse aber relativieren. Man sei von einem schlechteren Krisenverlauf ausgegangen. Die Umfrage, so Wiesch, "hat die Situation im Rückblick gesehen sehr dramatisch dargestellt, was sich jetzt eben als nicht so dramatisch mehr herausstellte."

Alles halb so schlimm?

Ist also alles halb so schlimm? Zu Besuch bei Jakob in Berlin-Neukölln. Mietsteigerungen haben das Budget vieler Bewohner in diesem Viertel schon vor Corona belastet.
Jakob wohnt seit 2011 in Berlin, mittlerweile studiert er Psychologie im Master. Er finanziert sich durch etwas Unterhalt von seinem Vater und einem 450-Euro-Job in einer lokalen Kneipe. Diese musste im März aber schließen.
"Das heißt für die Leute, die auf 450 Euro angestellt waren, einfach, dass wir nicht mehr arbeiten konnten und auch keinerlei Kurzarbeitergeld oder Sonstiges bekommen haben. Sprich das Einkommen ist einfach komplett weggebrochen."
Um seine Miete zu bezahlen, hat Jakob sich verschuldet.
"Ich habe durch Dispo bei der Bank, bisschen Geld von Eltern und Geld von Freunden die Miete zusammenbekommen."
Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund schätzt die Situation von Mieterinnen und Mietern in der Coronakrise als gravierend ein. Sie stützt sich auf eine aktuelle Umfrage.
"Wir haben eine Umfrage gemacht bei unseren Mietervereinen und die hat deutlich gezeigt, dass es einen hohen Beratungsbedarf gibt bei unseren Mitgliedern. Dass ungefähr zehn Prozent der Beratung sich um das ganze Thema Zahlungsschwierigkeiten wegen Corona dreht."

Kündigungswelle ab 2022

Im April hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das Mieterinnen und Mieter vor der Kündigung durch Mietausfälle schützen soll. Von April bis Juni galt dieser Kündigungsschutz für alle, die nachweislich durch Corona Einkommensausfälle hatten. Dieses Moratorium wurde nach dem 30. Juni nicht verlängert. Nun müssen alle nicht gezahlten Mieten bis 2022 zuzüglich Zinsen nachgezahlt werden.
Jakob sieht den Beschluss kritisch. Für ihn sind die Zugeständnisse eine Verklausulierung von Verschuldung.
"Weil ein Großteil der Leute einfach so lebt, dass alles, was an Lohn reinkommt, eben auch direkt wieder ausgegeben wird."
Auch Jutta Hartmann hat für diese Regelung kein Verständnis.
"Ich muss meine monatliche Miete bezahlen und muss dann eben die ausgefallenen Mieten plus Verzinsung nachbezahlen. Deswegen ist zu befürchten, dass dann spätestens nach Juni 2022 hier auch eine Kündigungswelle kommt."
Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Ausfall von Aufträgen, das Wegbleiben der Kundschaft, der Verlust von 450-Euro Jobs, das Wegbrechen von Unterstützung – es gibt genügend Gründe, warum die Einkommen vieler Haushalte derzeit geringer werden.
"Also das Problem ist für die Mieter noch nicht vorbei."
Alexander Wiesch vom Verein Haus & Grund begrüßt dagegen die Regierungsentscheidung.
"Was wir auf jeden Fall nicht brauchen, ist ein weiteres Moratorium. Das bringt nur Unsicherheit und verlagert letztendlich die Probleme nur weiter auf die Vermieterseite. Hier sind wir eigentlich der Meinung, dass hier der Staat dann auch entsprechend einspringen muss."

Räumungen finden wieder statt

Johannes Waczkat arbeitet als Sozialarbeiter in Hannover für das Projekt RE_StaRT. Er unterstützt Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Dass seit dem 30. Juni wieder Räumungen stattfinden, bereitet ihm Sorgen.
"Also wir haben, das war jetzt letzte Woche, Personen aufgenommen, acht Leute, innerhalb von drei Tagen. Normalerweise haben wir vielleicht ein bis zwei pro Woche auf‘s ganze Team gerechnet."
Die schlechte wirtschaftliche Lage, fehlender bezahlbarer Wohnraum in den Großstädten und die Aufhebung des Kündigungsschutzes verschärfen das Problem.
"Ich habe da die Befürchtung, dass in den kommenden Wochen ein rasanter Anstieg an wohnungs- und obdachlos werdenden Menschen zu verzeichnen sein wird."
Für Johannes Waczkat ist vor allem eins wichtig: Dass die Arbeit mit den Behörden einfacher wird. So wie in der Hochphase der Corona-Monate, denn da funktionierte die amtliche Unterstützung für Menschen in Wohnungsnot besser.
"Wir leben in Deutschland, wir wissen alle wie schwierig es ist, hier mit der Bürokratie zu leben, über alles muss man immer Rechenschaft ablegen. Und es gab halt einfach die Zeit, da musste man eben nicht immer Rechenschaft ablegen, sondern einem wurde geholfen, bedingungslos teilweise. Und ich denke einfach, dass wir das für uns einfach so beibehalten könnten."

Wohnungswirtschaft muss sich beteiligen

Auch der Mieterbund ist der Meinung, dass es Möglichkeiten gibt, die negative Lage abzumildern.
"Was wir fordern, ist auch die Einrichtung eines Solidarfonds 'Sicher wohnen'. Dass eben die Mieter, die jetzt nicht in der Lage sind, die aufgelaufenen Mieten zurückzuzahlen, das denen eben auch solidarisch geholfen wird, ihre Mietschulden begleichen zu können", so der Mieterbund.
"Natürlich ist uns auch bewusst, dass teilweise Vermieter auf Mieteinnahmen angewiesen sind. Auch diesen kleinen Vermietern soll eben durch diesen Fonds geholfen werden, also für beide Parteien eine solidarische Geld-Leistung."
Der Mieterbund fordert, dass sich die Wohnungswirtschaft an der Finanzierung des Fonds beteiligen muss.
"Da die Wohnungswirtschaft selber laut eigenen Aussagen sehr gut durch die Krise gekommen ist. Man sieht es auch beispielsweise an dem Aufstieg der 'Deutsche Wohnen' in den DAX, an den Dividendenausschüttung, also da werden nach wie vor Gewinne produziert, trotz der Krise auf dem Mietwohnungsmarkt."
Zurück nach Berlin-Neukölln. Jakob denkt, dass man die Sache selbst in die Hand nehmen muss.
"Also zu sagen: Okay, wenn wir kein Einkommen bekommen, dann können wir auch keine Miete zahlen. Und um das zu verhindern, ist es einfach wichtig, sich zu vernetzen."
Er hat zusammen mit anderen Betroffenen die Initiative "Wir zahlen nicht" gegründet. Sie setzen sich für eine Streichung der Mietschulden ein.
"Daher fordern wir, dass, solange unser Einkommen wegfällt, eben auch die Miete ausgesetzt wird."
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