Folge 24

Produktivitätsdruck in der Krise? Theater im hyperaktiven Stillstand

48:45 Minuten
Ein Theater in dem der rote Vorhang zugezogen ist.
In den Theatern bleiben die Vorhänge geschlossen. © Unsplash / Rob Laughter
Von Susanne Burkhardt und Elena Philipp · 07.04.2020
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Die Theater sind geschlossen. Zum Stillstand gekommen sind sie nicht: Produziert wird jetzt fürs Internet, so hektisch wie zuvor für die Bühne. Nur: Setzen die Theater digital fort, worüber sie schon vor Corona klagten?
Die Theater sind zu. Aber die Theatermacher streamen. Die Online-Spielpläne ähneln immer mehr dem analogen Programm: Termine drängeln sich fast unüberschaubar. Das Publikum, das pandemiebedingt zu Hause bleibt, diskutiert zu Live-Übertragungen. Auf der Suche nach dem Gemeinschaftsgefühl, das die Corona-Krise derzeit verunmöglicht.

Wir sind da, wir spielen noch

Jede – auch die kleinste Bühne – lässt ihre Mitarbeiter vor Bücherregalen, am Frühstückstisch, beim Schachspiel mit dem Hund auf Instagram sichtbar werden. Ein Overkill an Memes, Stories und Audios. Es ist wie ein verzweifeltes Rufen im Wald: Wir sind noch da. Wir spielen noch!
Moderatorin Susanne Burkhardt im Gespräch mit Theaterregisseur Christopher Rüping.
Moderatorin Susanne Burkhardt im Gespräch mit Theaterregisseur Christopher Rüping.© Deutschlandradio - Philipp Eins
Es scheint, als setzten die Theater einfach digital fort, worüber sie im Alltag vor Corona ständig klagten: Überproduktion, neoliberales Heißlaufen, ein Zuviel von Allem. Christopher Rüping, Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich, hat schon einige Experimente auf den Weg gebracht. Dennoch findet er "abgefilmte Theaterinszenierungen ohne jeden Kontext" wirkten wie ein "enigmatisches Kunstprodukt". Leute, die bisher kein Theater besucht haben, würden durch solche Streams eher abgeschreckt.

"Dann ist da einfach nichts"

Während die Stadttheater neue Formate und Formen entwickeln, kämpfen viele Freie wie die Künstlerin Monika Gintersdorfer und ihre internationale Truppen Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur darum, finanziell und künstlerisch über die Runden zu kommen. "Wenn wir nicht spielen können, dann ist da einfach Nichts". Ins Digitale verlagern möchte Monika Gintersdorfer ihre Produktion aber nicht: ihr geht es um den Erhalt des öffentlichen Raums und darum, mitzuverfolgen was im Kontext von Corona "auf der Strecke bleibt." Gleichzeitig wünscht sie sich mehr Selbstbestimmung und Entscheidungshoheit für freie Gruppen.

Bitte keine Klopapierkostüme

Und was, wenn die Theater in ein paar Wochen oder Monaten irgendwann einmal wieder öffnen? Dann, so Christopher Rüping, ist es wichtig, "dass in allen zentralen Fragen in den nächsten Wochen und Monaten die "Kultur und die Künstler mitsprechen". Und dass diese Fragen nicht nur von Politikern und Leuten beantwortet werden, "die aufs Bruttoinlandsprodukt gucken müssen".
Monika Gintersdorfer mit Mitgliedern ihres Kollektivs Gintersdorfer/Klaßen: Gotta Depri und Hauke Heumann
Monika Gintersdorfer mit Mitgliedern ihres Kollektivs Gintersdorfer/Klaßen: Gotta Depri und Hauke Heumann© Monika Gintersdorfer
Und bitte: Keine "künstlerische Auseinandersetzung mit einer stumpfen Reproduktion der Insignien der Coronakrise": Klopapierkostüme sind tabu!

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Einmal im Monat greift Der Theaterpodcast die wichtigen Debatten rund um das Theater und seine Macher und Macherinnen auf. Über die Kunst und den Betrieb, in dem immer noch zu wenig Frauen das Sagen haben, sprechen zwei Theaterredakteurinnen, Susanne Burkhardt vom Deutschlandfunk-Kultur-Theatermagazin "Rang 1" und Elena Philipp vom Online-Portal nachtkritik.de.


Die Stimmen: Susanne Burkhardt studierte Kulturwissenschaft, Betriebswirtschaft und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und in London (Middlesex University). Sie ist Diplom-Medienberaterin und begann ihre Radiokarriere als Hörspielregieassistentin beim Sender Freies Berlin (später RBB). Nach einem Volontariat beim Deutschlandradio ist sie seit 2001 Redakteurin, Autorin und Moderatorin beim Deutschlandfunk Kultur ("Fazit", "Rang 1 – Das Theatermagazin").


Elena Philipp studierte in Freiburg Politik und Soziologie, entschied sich nach einer Regiehospitanz aber für ein Studium der Theater-, Film und Literaturwissenschaft in Berlin. Dort arbeitete sie für Tanzfestivals, gründete ein Literaturmagazin und ein Text-Ton-Festival mit und etablierte beim Literaturwettbewerb Open Mike das Livebloggen. Seit 2006 schreibt sie für Tageszeitungen und Fachmedien über Theater und Tanz. 2017 wurde sie Redakteurin beim Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de.

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