"Fördern und Fordern ganz konsequent umgesetzt"

Joachim Burg im Gespräch mit Nana Brink |
Bildungs- und Ausbildungsdefizite sind das größte Hindernis bei der Vermittlung junger Menschen in den Arbeitsmarkt, sagt Joachim Burg von der ARGE Mannheim. Vor allem das Selbstbewusstsein junger Menschen müsse gefördert werden.
Nana Brink: Das Reizthema Hartz IV hat nicht zuletzt durch FDP-Chef Westerwelle in der Vergangenheit Wellen geschlagen - soziale Hängematte oder spätrömische Dekadenz? Immer wieder wird darüber diskutiert, was gerade junge Hartz-IV-Empfänger leisten müssen, um staatliche Unterstützung zu beziehen. Jetzt hat eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Empfänger untersucht.

Darüber habe ich mit Joachim Burg gesprochen, er leitet das Job-Center "Junges Mannheim", das betreut junge Hartz-IV-Empfänger, und ich habe ihn gefragt, wie Jugendliche ohne Job in Mannheim betreut werden.

Joachim Burg: Wir haben in Mannheim ein ganz spezielles Programm für die unter 25-Jährigen, mit dem haben wir bereits vor Hartz IV begonnen, das heißt, bei uns wird das Prinzip Fördern und Fordern ganz konsequent umgesetzt, aber in der Weise, dass wir jedem Jugendlichen sofort, wenn er zu uns kommt, möglichst am gleichen Tag noch ein Förderangebot unterbreiten.

Brink: Wie geht das, wie muss ich mir das vorstellen? Sie können ihnen doch bestimmt nicht sofort einen Job anbieten.

Burg: Ja, gut, wir schauen zunächst mal ganz intensiv bei den Jungen: Welche Potenziale haben sie? Bringen sie zum Beispiel eine Berufsausbildung mit, und haben wir dann vielleicht schon ein geeignetes Stellenangebot? Ist das nicht der Fall, zum Beispiel, wenn ein Jugendlicher noch keine Ausbildung hat, haben wir ein System aufgebaut, es nennt sich bei uns Jump plus, das sind vorbereitende Qualifizierungsmaßnahmen als Vorbereitung und dann Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung.

Brink: Das heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, dass die Betreuung doch sehr dicht ist, das heißt, es ist ein hoher Personalaufwand?

Burg: Also, unsere Fallmanager betreuen maximal 75 Jugendliche, und wir haben hier in Mannheim eine Kooperation mit allen ortsansässigen Beschäftigungsträgern, das sind in der Regel Träger der freien Wohlfahrtspflege, und hier haben wir ein System aufgebaut mit Praktikumsplätzen in allen Berufszweigen, sodass wir jedem Jugendlichen nach seinen Neigungen und Fähigkeiten – das ist ganz, ganz wichtig – ein Angebot unterbreiten können.

Brink: Das heißt, ein Angebot unterbreiten bedeutet ja auch: Die Jugendlichen sind beschäftigt, sie fühlen sich sinnvoll beschäftigt, sie sind damit weg von der Straße?

Burg: Genau, so ist es. Wir haben 80 Prozent unserer Praktikaplätze bei regulären Betrieben. Da können die Jugendlichen mal was ausprobieren, wobei uns es wichtig ist, dass keine Frustration durch zum Beispiel Abbruch eingeleitet wird.

Jeder Jugendliche hat auch die Chance, irgendetwas mal auszuprobieren, das heißt, wenn er mal im Möbelbereich arbeiten will, dann kann er das ausprobieren, wenn er dann sagt, ach komm, da fühle ich mich doch nicht wohl, kann ich mal was anderes ausprobieren. Das heißt, wir wollen ihnen verschiedene Möglichkeiten zunächst mal eröffnen: Er soll das finden, wo er sich ... was er dann am liebsten macht.

Ich kann Ihnen hier ganz kurz mal ein Beispiel sagen: Wir hatten einen Jugendlichen, der hat die Schule abgebrochen, hatte allerdings schon den Realschulabschluss und ist dann zu uns gekommen. Wir haben ihm ein Angebot gemacht im Bereich Lager, Logistik, da ist er dann gekommen nach vier Wochen, hat sogar ein Jobangebot gekriegt und hat gesagt, nein, da komme ich nicht zurecht.

Meine Neigungen sind eher im musischen Bereich. Dann haben wir gesagt, gut, okay, wir haben auch Praktikumsplätze in einem Musikgeschäft. Wir haben ihn in das Musikgeschäft in Form eines Praktikums vermittelt, sechs Wochen später hat der Arbeitgeber ihm einen Ausbildungsvertrag gegeben.

Brink: Was machen Sie mit denen, die unwillig sind oder anders gefragt, wann greifen bei Ihnen dann Sanktionsmaßnahmen?

Burg: Wie ich eingangs gesagt habe, müssen wir sanktionieren, wenn der Jugendliche ohne triftigen Grund zum Beispiel die Maßnahme abbricht oder an diesem Prozess nicht mehr teilnimmt. Allerdings haben wir auch ein System implementiert, dass, bevor wir eine Sanktion aussprechen, dass wir den Jugendlichen zu Hause auffordern und ihn befragen, warum er nicht mehr am Hilfsangebot teilnehmen will.

Brink: Das heißt, eine harsche Sanktionspraxis, wie sie gerade üblich ist, ist also für Sie nicht der richtige Weg?

Burg: Also, wir gehen nicht so vor, dass wir vom Schreibtisch aus eine Sanktion aussprechen.

Brink: Sie haben gesagt, dass Jugendliche motiviert werden können, doch Angebote anzunehmen. Was sind denn die Defizite von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt, wie kann man denn Jugendliche am besten motivieren, wie kann man sie erreichen?

Burg: Gut, wir stellen fest: Das größte Problem, Jugendliche in eine reguläre Beschäftigung zu bringen, sind ihre Defizite, die sie mitbringen, teils Bildungsdefizite, teils mangelnde Berufsausbildung, und das ist da, wo wir ansetzen. Über unsere Praktikumstätigkeiten wollen wir ihnen zeigen, dass sie doch Potenziale haben, dass sie was leisten können, dass sie wirklich in der Praxis das zeigen können.

Wir wollen ihnen zeigen, wie reguläres Arbeitsleben funktioniert. Deshalb ist es auch wichtig, dass man Verständnis für die Jugendlichen hat, ihnen das ganze System auch sehr transparent macht, dass man ihnen zuhört, dass man sie ernst nimmt und dass man vor allem Selbstbewusstsein bei ihnen wieder fördert.

Brink: Was passiert aber dann mit den Jugendlichen, die dann wirklich meinetwegen große Probleme mit der Disziplin haben, die trotzdem nicht kommen, die die Unterstützung verlieren, also wirklich sanktioniert werden? Haben Sie die dann endgültig verloren?

Burg: Wir wollen keinen Jugendlichen aufgeben, also, er muss dann schon ganz klar erklären, dass er unsere Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen will, und das kommt eigentlich so viel wie gar nicht vor. Also, wir haben dann auch ganz spezielle Angebote, wir haben hier im "Jungen Mannheim" einen Psychologen, dann bieten wir ihm ein Gesprächsangebot hier an. Bei allen Beschäftigungsträgern ist eine sozialpädagogische Begleitung implementiert.

Brink: Wenn Sie also Ihr Mannheimer Modell, wie ich das mal nennen will, so schildern, das ja sehr erfolgreich arbeitet, fragt man sich natürlich, warum gibt es das nicht überall? Hört Ihnen die Bundesagentur für Arbeit da nicht zu, aus Ihrer Praxis?

Burg: Gut, ich weiß es nicht im Detail, wie die Arbeitsmarktintegration in den anderen Städten oder Gemeinden, Landkreisen umgesetzt wird. Ich weiß nur, dass wir einen regen Austausch haben, viele Leistungsträger uns auch besuchen, unser Modell anschauen, und das auch dann ein Stück weit was mitnehmen und sagen, das finden wir gut, das wollen wir bei uns auch implementieren.

Brink: Joachim Burg war das, Leiter des Job-Centers "Junges Mannheim", und wir sprachen über die Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Empfänger.