Föhr versyltet

Von Elin Rosteck · 16.05.2013
Die nordfriesische Insel Föhr ist seit Jahren in Mode. Immer mehr Häuser und Wohnungen werden von wohlhabenden Festländern aufgekauft - und der Platz für Einheimische wird knapp.
Die Sicht ist gut von hier oben, dreieinhalb Meter über Normal Null - nur Brar Lorenzen hat gerade nicht viel Zeit, seinen Blick vom Dach aus über den Horizont schweifen zu lassen. Er steht auf einem wackeligen Gerüstbrett an einem Reetdachhaus am Rande des Dorfes Midlum auf Föhr und hat alle paar Sekunden ein neues Bündel Reet aufzufangen, das ein Kollege ihm von unten in hohem Bogen zuwirft. Sieht schwierig aus.

Brar Lorenzen: "Gripen as ei so swaar üüs smitjen. Smitjen as swaarer."

Das Fangen sei nicht so schwer, sagt er und grinst breit; das Werfen sei schwieriger. Brar Lorenzen spricht Föhrer Friesisch. Er ist auf der Insel geboren und aufgewachsen, ein Baum von einem Kerl mit riesigen Pranken. Ein Handwerker durch und durch; Schlachter hat er gelernt, dann als Aushilfszimmerer gearbeitet. Auf die Arbeit mit dem Reet kam er eher zufällig, erzählt er. Sein damaliger Chef aus der Zimmerei hatte ihn auf die Idee gebracht.

"Diar hee üüs damals üüs ual Chef üüb broocht. Do kaam en mase deensken auer heer tu werken an haa det taagen maaget; (...) do saad hi al immer, det skal en paar hiesigen maage, wat faan heer uk kaam - an do haa wi üs diar am komert, nü maage wi det al en ganse sküür."

Zu der Zeit kamen viele dänische Firmen nach Föhr, um hier die Reetdächer zu decken, sagt er. Auf der Insel gab es damals kaum noch Handwerker, die das konnten. Sein Chef hat gesagt, das sei doch eine Föhrer Arbeit, die sollten Föhrer machen. Und so kümmerte sich Brar Lorenzen, lernte, was es zu lernen gab und gründete mit einem Kompagnon seine eigene Reetdachdecker-Firma. Das war vor fast 20 Jahren.

Lorenzen schneidet die Reetbündel auf und verteilt die Halme ordentlich, nein fast schon liebevoll dicht an dicht auf den Dachlatten. Damals gab es noch Zuschüsse für Reetdächer aus dem Dorferneuerungsprogramm und es waren vor allem Einheimische aus den Dörfern, die ihn riefen. Heute ist das anders. Heute ist Föhr in Mode. Anwälte aus Berlin, Geschäftsleute aus Düsseldorf, momentan will hier jeder gerne hin. Am schlimmsten war es 2010, da gab es nicht eine alte Kate mehr auf dem Markt, alles weggeschnappt. Man wollte Betongold statt Aktien. Die Krise ließ grüßen. Aber auch jetzt gehen die besten Lagen noch weg wie warme Semmeln, zu Preisen, die sich in den letzten paar Jahren fast verdoppelt haben.

Aber Reetdachhäuser kaufen sich Liebhaber, die etwas ganz besonderes wollen, und die die Häuser auch selbst nutzen. Zwar nur ein paar Wochen im Jahr, aber immerhin, sagt Brar Lorenzen, die Fremden renovieren die Häuser. Die Dörfer sehen schmuck aus; man müsse beide Seiten sehen.

"Jo rede a hüsing ap, a tarpen sä gud üjt - ham skal bial waier säl… Wi kön diar nooch wat fertiinst uun maage, föör üüs jongen wurd det wat swaareer weningen tu hualen, wat tu betaalin san."

Seine Generation kann noch verdienen an den Fremden, sagt er und zurrt das Reet mit einem Edelstahldraht auf den Dachlatten fest. Für die Kinder wird es schwierig, die Häuser in den Familien zu halten. Föhr versyltet - das befürchten hier viele. Wenn in der Inselhauptstadt Wyk neu gebaut wird, ein Appartmenthaus in bester Lage, mit Strandblick, dann sind die Sahnestücke schon vor dem ersten Spatenstich verkauft. Mietwohnungen sind hier immer schon Mangelware, klar, auf einer Ferieninsel wie Föhr wird vorwiegend an Feriengäste vermietet. Aber jetzt, wo die Nachfrage nach Immobilien so hoch ist wie nie zuvor, stehen die Aussichten auf Wohnraum zur Miete noch viel schlechter. Wahrscheinlich werden Lorenzens drei Kinder ewig im Haus mitwohnen, auch wenn sie längst erwachsen sind.

550 Euro für einen Quadratmeter Bauland

Norbert Nielsen, Lorenzens Kompagnon, hockt jetzt ganz oben auf dem Giebel und schneidet das Kokostau durch, das das alte Reet gut 40 Jahre lang zusammenhielt. Reet war früher was für arme Leute. Wer heute einen Neubau mit Reet decken lassen möchte, braucht viel Geld. Weil er einen besonders großen Abstand zu den Nachbarhäusern nachweisen muss, wegen der Brandgefahr. In bester Lage kostet ein Quadratmeter Bauland auf Föhr schon mal 550 Euro.

Unten wirft Brar Lorenzen die Strohpresse an. Sie verschenken das alte Reet - als Einstreu für das Vieh ist es noch gut genug. Die erste Ladung rutscht vom Dach, es stinkt und staubt. Die kleinen Fitzel haben sie heute Abend noch in den Socken und Unterhosen stecken. Lorenzen sticht mit der Mistforke in den Haufen und stopft das Zeug in die Presse. Er kann sich eine schönere Arbeit vorstellen.

"Al, det kön´k mi nooch. Det heer as ei so´n ned werk. Det as det ringst bi´t driiwwerk, oober det halept ja niks, det skal uk maad wurd."

Das hier sei das schlimmste beim "driiwwerk", im Reetdachdeckerhandwerk, aber es hilft ja nichts, sagt er und zuckt mit den Schultern, muss ja auch gemacht werden. Arbeit hat er mehr als genug, Lorenzen sucht ständig nach neuen Mitarbeitern, zu acht sind sie aktuell. 60 bis 70.000 Bündel Reet verbauen sie pro Jahr, das reicht für etwa 20 große Häuser. Dazu kommen kleinere Reparaturen und natürlich Schuppen und Garagen, selbst die lassen sich die Festländer mit Reet decken. Es war richtig, sich selbstständig zu machen als "driiwer", als Reetdachdecker. So kann er weiter auf Föhr leben und arbeiten.

"Ik san temelk feerig, ik wal uk lefst heer bliiw. Wan´t irgendhü gungt al."

Er ist "föhrig", sagt er und möchte gerne hier bleiben, wenn´s irgendwie geht.
Morgen früh fangen sie hier an zu isolieren. Und in einer Woche hat der neue Besitzer dieses alten Hauses im Friesenstil ein leuchtend gelbes, wind- und wetterfestes neues Reetdach über dem Kopf. Auch er kommt nicht von hier, es ist ein Rechtsanwalt aus Berlin.