Flutkatastrophe und Klimaschutz

Zwischen Wahlkampftaktik oder berechtigter Forderung

04:38 Minuten
Ein Feuerwehrmann steht im Dorf Mayschoß vor einem völlig zerstörten Haus.
Die Flutkatastrophe hat schreckliches Leid verursacht. Aber ist es Instrumentalisierung, wenn man jetzt mehr Klimaschutz fordert? Keineswegs, meint Pauline Pieper. © dpa / Boris Roessler
Ein Kommentar von Pauline Pieper · 25.07.2021
Audio herunterladen
Die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands war noch in vollem Gange, da wurde schon über die Lehren daraus diskutiert: Wer jetzt mehr Klimaschutz fordere, instrumentalisiere das Leid der Menschen, so der Vorwurf. Was ist davon zu halten?
Als der Grünen-Politiker Konstantin von Notz am Tag der Hochwasserkatastrophe bei Twitter ein Bild der Fluten teilte und in polemischem Tonfall die Klimapolitik der anderen Parteien bemängelte, erntete er heftige Kritik. Angesichts eines solchen Desasters sei es unangemessen, für die eigene Partei zu werben.
Jetzt sei nicht der Moment für Schuldzuweisungen – so auch die Reaktion von Horst Seehofer auf die Kritik am unzureichenden Katastrophenschutz. Das sei "billige Wahlkampfrhetorik". Immer wieder war vergangene Woche der Vorwurf zu hören, die Katastrophe werde von Politikerinnen und Politikern für den Wahlkampf instrumentalisiert.

Strategisches oder kommunikatives Handeln

Unterstellt wird hier, dass Politikerinnen und Politiker kein aufrichtiges Interesse am Leid der Menschen haben, sondern sich die Katastrophe für ihre eigenen Zwecke zunutze machen. Die hier angeprangerte Handlungsweise ließe sich mit Jürgen Habermas als eine strategische bezeichnen. Im Unterschied zum kommunikativen Handeln soll beim strategischen Handeln ein rein eigennütziger Zweck erreicht werden. Andere Menschen werden dabei nur als Mittel benutzt.
Wer kommunikativ handelt, will mit Argumenten überzeugen, sich mit anderen Menschen verständigen. Wer dagegen strategisch handelt, will andere manipulieren und ist letztlich nur am eigenen Erfolg interessiert. Mit Blick auf die gegenwärtige Debatte hieße das: Politikerinnen und Politiker handeln strategisch, wenn sie die Flutkatastrophe instrumentalisieren, um auf ihre eigene politische Agenda aufmerksam zu machen.
Pauline Pieper steht in einem Park, im Hintergrund in der Unschärfe sind Bäume zu sehen, und schaut lächelt in die Kamera.
Pauline Pieper studiert Philosophie in Berlin.© Birte Mensing
Wie soll man aber unterscheiden, ob jemand ein sachliches Argument äußert oder eine strategische Manipulation im Schilde führt? Nach der Flutkatastrophe eine wirksamere Klimapolitik zu fordern, ließe sich ja durchaus als berechtigtes Anliegen bewerten. Für Habermas zeichnet sich eine kommunikative Handlung dadurch aus, dass wir mit ihr drei Ansprüche erheben: Wir behaupten, dass unsere Aussage wahr ist, dass sie normativ richtig ist und dass wir sie wahrhaftig äußern.

Klimawandel und Unwetter hängen zusammen

Wird jetzt eine andere Klimapolitik gefordert, kann man also fragen: Ist es wahr, dass die Flutkatastrophe mit dem Klimawandel zusammenhängt? Sind klimapolitische Forderungen normativ richtig, wenn im Angesicht der Verwüstung konkrete Hilfe dringlicher erscheinen mag? Und schließlich: Wird die Forderung mit Wahrhaftigkeit geäußert? Ob die kommunikative Handlung gelingt oder als strategisch enttarnt wird, erweist sich dann in der öffentlichen Bewertung dieser Fragen.
Wenn sich beispielsweise CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet am Ort des Geschehens erst bestürzt zeigt und im nächsten Moment fröhlich lachend zu sehen ist, dann wirkt seine Betroffenheit nicht wahrhaftig, sondern rein strategisch. Wenn die Grünen hingegen schon seit Jahrzehnten auf den nachgewiesenen Zusammenhang von Klimawandel und Unwetterkatastrophen hinweisen und nun wirksamen Klimaschutz verlangen, ist das – so könnte man argumentieren – keine Instrumentalisierung der Katastrophe, sondern eine berechtigte Forderung.

Ist der Vorwurf selbst ein strategisches Manöver?

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob nicht der Vorwurf der Instrumentalisierung selbst ein strategisches Manöver ist, um begründete Kritik zu disqualifizieren. Wer lauthals klagt, die Flutkatastrophe werde nur instrumentalisiert, will womöglich von den Fehlern der eigenen Politik ablenken. Man sollte den Instrumentalisierungsvorwurf also skeptisch betrachten.
Sicher ist es im Wahlkampf Ziel der Politik, Stimmen zu gewinnen. Es liegt in der Natur der repräsentativen Demokratie, dass Politikerinnen und Politiker gewählt werden wollen. Das macht aber nicht jede inhaltliche Debatte über die Flutkatastrophe zu einer unlauteren Instrumentalisierung.
Bei Kritik an der eigenen Position wäre ein gutes Gegenargument angebracht – und nicht der Vorwurf eines unsachlichen Wahlkampfes.

Pauline Pieper studiert Philosophie im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Sozialphilosophie und Kritische Theorie.

Mehr zum Thema