Australien nach der Jahrhundertflut

"Wir sind an einem Wendepunkt"

22:46 Minuten
Ein Mädchen paddelt in einem Kanu durch die Fluten am 24. März 2021 in South Windsor Sydney, Australien.
Infolge des Klimawandels ist Australien besonders anfällig für extremes Wetter. © Getty Images / Flavio Brancaleone
Von Andreas Stummer · 05.04.2022
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Katastrophenzustand in Australien: Ende Februar bringt ein Tiefdruckgebiet Rekord-Regenfälle an die Ostküste. Flüsse laufen über, 22 Menschen sterben, Zehntausende fliehen. Auch für Premier Morrison ist die Lage bedrohlich. Denn im Mai wird gewählt.
Sie kommen noch immer fast ohne Pause. Ein Kipplaster nach dem anderen. Sie rollen im Schritttempo in Position und laden ab, was das Hochwasser unbrauchbar und unbewohnbar gemacht hat.
Zerschmetterte Möbel, aufgeschwemmte Matratzen und Teppiche, verbeulte Kühlschränke, Schutt und Schrott.
Wo man auch hinsieht: Der Wertstoffhof im Tweed Valley im Norden von New South Wales ist voller Trümmer und ramponierter Seelen.
“Viele Menschen haben aufgegeben. Sie fragen sich: Warum plage ich mich eigentlich noch? Wir können einiges einstecken, aber was sollen wir noch ertragen? Wir sind am Boden zerstört.“
Luftaufnahme vom Hochwasser überluteter Häuser in Lismore, Australien.
Es ist noch nicht vorbei: Betroffen sind aktuell wieder Südost-Queensland und Nord-New South Wales. Hier in Lismore sind gerade Evakuierungen für 27.000 Menschen angeordnet worden.© Getty Images / Dan Peled
Meg Reilly und ihr Mann Stan hatten ein Elektrogeschäft in Lismore, eine Autostunde weiter nördlich. Mitten in der Hauptstraße der 30.000-Einwohner-Stadt.

"Die ganze Stadt existiert nicht mehr"

Bis es anfing zu regnen und es einfach nicht mehr aufhörte. Auch in Gegenden flußaufwärts. Lismore liegt in einer Niederung zwischen dem Wilson River und dem Leycester Creek. Das Wasser stieg und stieg, bis auf 14 Meter über normal. Die Reillys mussten hilflos mitansehen, wie die Innenstadt unterging, der Laden, ihr Haus und Teile Lismores, die noch nie überschwemmt waren.
„Die Straßen, alle Infrastruktur – die ganze Stadt existiert nicht mehr“, sagt Meg Reilly. Ihr Mann ergänzt:
„Wir können nicht jedes Jahr während der Wirbelsturmsaison für sechs Monate in Angst vor Hochwasser leben. Die Stadt muss woanders hin verlegt werden, wo sie sicher vor Überflutung ist. Dafür brauchen wir Geld der Staats- und der Bundesregierung. Denn die Lokalbehörde ist nach dieser Katastrophe pleite.“
Wie es weiter geht, wissen Meg und Stan Reilly nicht. Fürs erste sind sei bei ihrer Tochter Emma Harrison im 260-Seelen-Ort Crystal Creek untergekommen. Sie hatte Glück. 20 Zentimeter höher und auch ihr Haus wäre überflutet worden.

"So sieht der Klimawandel aus"

Zwei Drittel des Ortes aber stand das Wasser bis zum Hals. Wieder einmal. Das Wort „Jahrhunderthochwasser“ kann Emma nicht mehr hören.
“Wir haben so viele Überschwemmungen erlebt, wir können diese Katastrophen nicht mehr Jahrhundertereignis nennen. Das letzte verheerende Hochwasser gab es 2017. Wann passiert das nächste? Wieder in fünf Jahren oder schon in zwei?
So sieht der Klimawandel aus. Gemeinden wie unsere zerbrechen daran. Wir können nicht immer wieder und wieder von vorne anfangen.“
Ein überflutetes Straßenschild im Vorort Windsor, nordwestlich von Sydney.
Ein überflutetes Straßenschild im Vorort Windsor, nordwestlich von Sydney. © picture alliance / Anadolu Agency / Steven Saphore
Es begann Ende Februar. Tagelang schüttete es entlang der ganzen australischen Ostküste wie aus Eimern. Pausenlos. Rekordniederschläge. Als ob der liebe Gott die Dusche aufgedreht und dann vergessen hätte, sie wieder abzustellen.

Flüsse treten über die Ufer

Die Flüsse traten über die Ufer. Anfang März liefen die Trinkwasserdämme von Brisbane bis Sydney voll und dann über. Die Wassermassen bahnten sich ihren Weg. Über Schutzwälle und Sandsäcke. So schnell und so hoch, dass vielen nur noch der Weg auf ihr Dach blieb. Die Schuldfrage war schnell geklärt.
Für die Meteorologen war La Niña die Mutter aller Unwetter. Das Wetterphänomen, das warmes Wasser über den Pazifik treibt und Starkregen im Osten Australiens auslöst. Jetzt schon den zweiten Sommer hintereinander. Umweltgruppen aber machten die australische Regierung indirekt mitverantwortlich.
„Weiter Kohle exportieren und ein hoher Energieverbrauch bei niedrigen Schadstoffgrenzen – das ist eine Anti-Klimapolitik“, glaubt der Umweltaktivist Damon Hall von der Klimakoalition Nord-New South Wales.

"Jetzt ist die Zeit zu handeln"

Der extreme Starkregen der letzten Monate sei nicht aus heiterem Himmel gekommen.
“Jetzt ist die Zeit zu handeln. Wir sind an einem Wendepunkt. Australien heizt sich schneller auf als andere Länder der Erde. Seit 1920 ist es bei uns im Schnitt um eineinhalb Grad wärmer geworden.
Australien ist bei einem Klimawandel extrem verwundbar. Die Hochwasser sind eine Vorschau darauf, wieviel mehr an Zerstörung uns möglicherweise in Zukunft erwartet.“  
Menschen mit Regenschirmen laufen in Richtung einer überfluteten Straße in Richmond, nordwestlich von Sydney.
Richmond, nordwestlich von Sydney - die Menschen in den Vororten werden zur Evakuierung aufgefordert, da weitere Überschwemmungen und Erdrutsche drohen.© picture alliance / AA
In Australien gilt: Nach dem Hochwasser ist vor dem nächsten Hochwasser.
Schon im Jahr 2014 brachte der Dachverband der Versicherungsunternehmer eine Risikostudie über die bewohnten Flußregionen an der Ostküste heraus.

Verbesserungsvorschläge nicht umgesetzt

Darin stand, welche Orte und Gebiete wo und warum besonders gefährdet sind, und was man tun könne, um sie besser vor Hochwasser zu schützen: mehr und höhere Schutzwälle, bessere Frühwarn- und Alarmsysteme, strengere Bauvorschriften.
Zehn Vorschläge wurden gemacht. Umgesetzt wurde nicht einer. Auch nicht entlang des Brisbane und des Tweed Rivers. Gegenden die schon immer und jetzt wiederüberflutet wurden.
Der australische Premierminister Scott Morrison inspiziert von einem Hubschrauber aus die durch die Überschwemmungen entstandenen Schäden in den betroffenen Gebieten bei Sydney.
Der australische Premierminister Scott Morrison inspiziert von einem Hubschrauber aus die durch die Überschwemmungen entstandenen Schäden in den betroffenen Gebieten bei Sydney. © Getty Images / Lukas Coch
Der Weg zum Haus von Beth Cox in Byangum führt weg vom Ufer des Tweed River über eine steile, ausgetretene Holztreppe bis auf eine bewaldete Anhöhe.
Es ist kein Zufall, dass die Akademikerin hoch über dem Fluss und nicht direkt am Wasser gebaut hat. Als Umwelthistorikerin beschäftigt sie sich seit Jahren mit Überschwemmungen – den Ursachen und den Folgen.

"Herangehensweise grundlegend ändern"

Das jüngste Hochwasser hat Beth Cox‘ Befürchtung bestätigt: Behörden und die Regierung hätten nichts aus vergangenen Katastrophen gelernt, sagt sie.
“Wenn es immer häufiger zu immer stärkeren Überschwemmungen kommt, dann müssen wir unsere Herangehensweise grundlegend ändern. Im Moment verwenden wir fast alle unsere Energie und unser Geld darauf, um hinterher wiederaufzuräumen.
Dabei sollten wir viel mehr dafür ausgeben, um zu verhindern, dass es erst gar nicht zu so großen Schäden kommt.“
Ob bei Hochwasser, Buschfeuern oder Wirbelstürmen: Von jedem Dollar für den Katastrophenschutz werden 97 Cent darauf verwendet, die Folgeschäden zu beseitigen, aber nur ganze drei Cent für Prävention. Geld wäre genug da.
In einem eigenen Desasterfonds der australischen Regierung liegen mehr als drei Milliarden Euro. Nicht ein Cent wurde bisher angerührt. Nicht einmal nach den verheerenden Buschfeuern vor zwei Jahren.
Ein Wallaby leckt seine verbrannten Pfoten, nachdem es einem Buschfeuer entkommen ist.
Australien, der Kontinent des Extremwetters - ein Wallaby leckt seine verbrannten Pfoten, nachdem es einem Buschfeuer entkommen ist. © Getty Images / The Sydney Morning Herald / Wolter Peeters
„Hochwasserschutz ist teuer“, meint Beth Cox. Deshalb stünden gefährdete Regionen auch weiter im Regen. 
“Australien hat unbeständige Flußsysteme“, sagt die Umwelthistorikerin, weshalb es immer wieder zu ausufernden Überflutungen und Milliardenschäden käme. Dabei gäbe es für Beth Cox Lösungen. Etwa Häuser in Flussniederungen zurückkaufen, abreißen und die Bewohner umsiedeln.

"Wir müssen anders bauen"

Wasserfeste Materialien für Gebäude unterhalb der Hochwasserlinie zur Pflicht machen und essenzielle Infrastruktur – Strom, Gas, Kommunikation – ins Trockene bringen.
“Wir müssen anders bauen. Mein Haus steht auf Stelzen, das Wasser kann unten durchfließen. Wir müssen besser planen und für hochwassergefährdete Gebiete keine Baugenehmigungen mehr erteilen.
Ich bin sehr traurig darüber, wieviel Leben und Besitz bei den Überschwemmungen verloren wurden, aber gleichzeitig denke ich: Es wird Zeit, dass wir ein paar harte Entscheidungen treffen.“
Menschen starben, Existenzen wurden ruiniert, das Hab und Gut Zehntausender einfach weggespült. Viele müssen entscheiden, ob sie bleiben oder aus den Hochwassergebieten weggehen und woanders neu anfangen wollen. 
Das Wasser ist längst zurückgegangen, nass rausgewischt wird aber noch immer. Emma Harrison hat einer Arbeitskollegin ihren Hochdruckreiniger geliehen. Anders geht die Schlammschicht nicht ab, die fingerdick auf allem klebt, das überschwemmt wurde.
Die Australier taten das, was sie bei Naturkatastrophen immer tun. Retten, helfen, zusammenrücken, spenden und füreinander da sein. Die Regierung tat, was sie den Umständen entsprechend tun konnte: in betroffenen Gebieten den Notstand ausrufen, das Militär zum Aufräumen mobilisieren und Hilfsgelder bereitstellen.

Kein Kurswechsel in der australischen Klimapolitik

Emma Harrison fühlt sich trotzdem alleine gelassen. „Erst die riesigen Buschfeuer und jetzt das Hochwasser“, sagt sie. Es sei frustrierend, dass es weiter keinen Kurswechsel in der australischen Klimapolitik gebe.
“Wir brauchen den politischen Willen, Schadstoffemissionen noch in diesem Jahrzehnt stark zu reduzieren. Bevor die Auswirkungen des Klimawandels uns noch stärker treffen.
Diese Naturkatastrophen werden immer häufiger, trotzdem finanzieren unsere Politiker weiter neue Projekte rund um fossile Brennstoffe.“ 
Eine Gesamtansicht des Stahlwerks und der Kohleverladeanlage in Port Kembla am 01. Februar 2021 in Wollongong, Australien. Der Kohleabbau in der Region Illawarra soll ausgeweitet werden, nachdem kürzlich die Wiedereröffnung der ältesten Mine in der Region beschlossen wurde.
Stahlwerk und Kohleverladeanlage in Port Kembla in Wollongong in New South Wales. Der Kohleabbau in der Region Illawarra soll ausgeweitet werden.© Getty Images / Brook Mitchell
Gerade hat die Regierung den Bau eines 400 Millionen Euro teuren Gaskraftwerks nördlich von Sydney genehmigt, finanziert durch Steuergelder.
Kohle wird weiter so viel gefördert, wie andere Länder bereit sind zu kaufen. Zu Rekordpreisen. Kohlestrom aber spielt bei Australiens Energiegewinnung eine immer kleinere Rolle. 

Privathaushalte setzen auf Sonnenenergie

Jeder vierte australische Privathaushalt setzt mittlerweile auf Sonnenenergie. Solar, Wind und Wasserkraft: Vor 15 Jahren wurde der Bedarf an Elektrizität landesweit noch zu 87 Prozent durch Kohlestrom gedeckt, heute sind es nur mehr 60 Prozent Tendenz fallend.
Beschleunigt durch den Vormarsch alternativer Energieerzeugung werden bis spätestens 2050 alle 15 Kohlekraftwerke in Australien stillgelegt. Von da an soll nur noch schadstofffrei Energie produziert werden. Man kalkuliert: mehr Solar plus mehr Wind und mehr Hydroenergie ist gleich weniger Kohle.
Wirtschaftswissenschaftler wie der Melbourner Ökonom Alan Moran halten das aber für eine Milchmädchenrechnung.
“Je mehr erneuerbare Energie auf dem Markt ist, desto kostspieliger und unzuverlässiger ist unsere Versorgung mit Elektrizität. Etwa doppelt so teuer wie bei Kohlestrom. Wir verlieren nach und nach unsere Grundlast-Kraftwerke und damit unsere Energiesicherheit.
Blackouts können wir uns nicht leisten. Eigentlich sollten wir mehr Kohlekraftwerke bauen. Vor zehn Jahren hatte Australien enorm günstige Strompreise, jetzt gehören sie weltweit zu den teuersten.“
Das sukzessive Aus für australische Kohlestromkraftwerke hat weniger mit der schlechten CO2-Bilanz des Landes oder einer Energiewende der Regierung zu tun, sondern rein mit Wirtschaftlichkeit.
Kohlekraftwerke, die rund um die Uhr für die Elektrizitätsgrundlast sorgen, sind nicht mehr profitabel, wenn tagsüber enorme Mengen an Wind- und Sonnenenergie ins Netz kommen. Nur noch nachts oder wenn es regnet.
Zurück im Überschwemmungsgebiet am Ortsrand von Crystal Creek im Norden von New South Wales. Brett Ambrose wollte immer eine Solaranlage auf sein Haus. Jetzt, nach dem Hochwasser, ist er froh, dass er überhaupt noch ein Haus hat.

Das nächste Hochwasser kommt bestimmt

Stinkender, matschiger Morast und knöchelhohe Pfützen, die das gestiegene Grundwasser immer wieder auffüllt: Es wird noch Wochen dauern, bis Brett wieder ohne Gummistiefel auch nur durch seinen Vorgarten kommt. Er weiß: Das nächste Hochwasser kommt bestimmt. Das wäre dann sein viertes. Trotzdem möchte Brett, wie so viele andere, nirgendwo anders hin. 
„Hier ist nun mal mein Zuhause. Ich lebe schon lange hier, es ist wunderschön, nur nicht für die paar Tage, wenn es Hochwasser gibt. Du hoffst immer, dass es dich nicht so schlimm trifft.
Wir hatten dieses Mal Glück und sind relativ heil davongekommen. Es gibt noch Einiges aufzuräumen, aber das ist in Ordnung.“

Wahl einer neuen Regierung in Canberra

Noch in diesem Jahr wählen die Australier eine neue Regierung. Eigentlich wurde eine Abstimmung über die Coronapolitik der alten Regierung erwartet. Über den Sinn ewig langer Lockdowns, eine gescheiterte Null-Covid-Strategie und Impfchaos.
Jetzt aber, nach den großflächigen Überschwemmungen, sind auch Katastrophenschutz, Krisenmanagement und Klimapolitik Wahlkampfthemen. Geredet wurde lange genug. Wer an die Regierung kommen will, der muss handeln. Und zwar vor dem nächsten Hochwasser.

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