Flugbranchen-Vertreter Matthias von Randow

"Das Ziel muss CO2-neutrales Fliegen sein"

29:35 Minuten
Flugzeuge mit dem blaugelben Logo der Lufthansa stehen dicht gedrängt hintereinander. Im Hintergrund eine dörfliche Landschaft.
Lufthansa Maschinen stehen dicht gedrängt am Terminal 2 in München. © Imago / Sven Simon
Moderation: Annette Riedel · 30.03.2019
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Fliegen ist die klimaschädlichste Fortbewegung. Zwar sinkt der Spritverbrauch der Maschinen – das bringt aber nichts, weil immer mehr geflogen wird. Der Chef des Brachenverbands BDL ist dennoch überzeugt: klimaschonendes Fliegen ist möglich.
Immer mehr Menschen reisen mit dem Flugzeug. Nicht zuletzt das stetig wachsende Angebot an Billigflügen trägt erheblich dazu bei. In den kommenden beiden Jahrzehnten dürfte sich die Zahl der Passagiere weltweit noch einmal verdoppeln, schätzen Experten.
Das mag gut für die Branche sein, ist aber definitiv schlecht für das Klima. Flugzeuge produzieren nicht nur in erheblichem Maße CO2. Wolkenbildung kann in großer Höhe die Treibhauseffekte erheblich verstärken.
Ist nachhaltiges Fliegen möglich? Was ist mit der Kompensation für CO2-Emissionen durch die Finanzierung von Klimaschutz-Projekten wie Aufforstungen gewonnen? Sind alternative Agrar-Treibstoffe oder synthetisches Kerosin, das aus Wasserstoff erzeugt wird, die Lösung? Oder muss das Fliegen begrenzt werden? Was lässt sich national oder international politisch durchsetzen?
Wir reden Tacheles mit Matthias von Randow vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft.

Matthias von Randow ist seit dem 1. Juli 2011 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Vor seiner Ernennung war er von Januar 2009 bis Juni 2011 Vorstandsbevollmächtigter bei Air Berlin. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte, sowie der Soziologie und der Politischen Wissenschaften in Bonn und Rom, folgten Anstellungen beim DGB und beim SPD-Vorstand. Von 2008 bis 2011 war er im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung beschäftigt, zuletzt als beamteter Staatssekretär.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Wir reden Tacheles heute mit Matthias von Randow, dem Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft.
Herr von Randow, das Flugzeug gilt gemeinhin als das klimaschädlichste Transportmittel überhaupt. Kann man klimaschonend fliegen?
Matthias von Randow: Was wir uns schon sagen müssen, ist, dass auch angesichts des Wachstums im Luftverkehr, auch weltweit, die Frage, wie wir das Fliegen CO2-neutral organisieren, wie wir es wirklich nachhaltig hinbekommen, schon eine der zentralsten Zukunftsfragen des Luftverkehrs ist. Da sind Dinge möglich. Ich halte das auch für in der Tat einen ganz entscheidenden Punkt, Schritte zu gehen, die in diese Richtung, wie es unser Ziel ist, eben CO2-neutrales Fliegen, auch tatsächlich gegangen werden kann.
Deutschlandfunk Kultur: Wobei CO2-neutrales Fliegen heißt ja nicht klimaneutral. Denn neben den CO2-Emissionen gibt es ja auch Zusatzeffekte, die das Fliegen klimarelevant machen. Es kommt auf die Höhe an. Es kommt kauf die Wolkenbildung an. Also, klimaschonendes Fliegen ist über verschiedene Treibstoffe werden wir gleich noch reden – an sich aber gar nicht möglich?
von Randow: Wir sehen drei wesentliche Elemente, die angegangen werden können, sicherlich über unterschiedliche Zeitläufe. Das erste Element dieser Strategie ist, dass wir schauen, dass der Energieeinsatz pro Flug weiter reduziert werden kann.
Deutschlandfunk Kultur: Das passiert ja schon, wird aber aufgebraucht dadurch, dass die Passagierzahlen steigen.
von Randow: Genau. Es geht in erster Linie bei diesem ersten Element darum, dass mit Investitionen in neue Technologie, neue energieeffiziente Flugzeuge der Energieverbrauch gesenkt werden kann. Um mal eine Zahl zu nennen: Seit den 90er Jahren ist mit diesen massiven Investitionen erreicht worden, dass wir die CO2-Emission pro Flug um 43 Prozent haben senken können.

"Wir brauchen einen Ersatz des heutigen Kraftstoffs"

Deutschlandfunk Kultur: Das ist super und das muss auch sein. Aber wir wissen, dass sich in den kommenden zwei Jahrzehnten die Passagierzahlen wahrscheinlich sogar verdoppeln werden.
von Randow: Genau. Das ist absolut richtig. Wir haben die Situation, dass diese enormen Erfolge natürlich durch das Wachstum aufgefressen werden. Deswegen sagen wir, wir brauchen mittelfristig tatsächlich einen Ersatz des heutigen Kraftstoffs. Das ist das zentrale zweite Element einer Klimaschutzstrategie für den Luftverkehr, ohne die es nicht funktionieren wird.
Und das dritte Element – und das hat damit zu tun, dass eben der Einsatz eines alternativen Kraftstoffs kurzfristig nicht möglich ist – ist: Wir brauchen eine Klimaschutzabgabe, eine weltweite Klimaschutzabgabe für den Luftverkehr, mit der die CO2-Emission des Luftverkehrs kompensiert werden kann.
Deutschlandfunk Kultur: Dann lassen Sie uns mal dabei bleiben. Das hat die UN-Luftfahrtorganisation ICAO so beschlossen. Da sind drei Viertel der Fluggesellschaften weltweit immerhin organisiert. Ab 2021 wird es solch eine Abgabe für Klimaschutzprojekte freiwillig geben, ab 2027 dann verbindlich. Damit soll Aufforstung betrieben werden, Wasserkraftwerke gebaut werden, Windenergie unterstützt werden – jedoch den CO2-Ausstoß kompensierend, der ab 2020 zusätzlich entsteht. Also, es wird nicht alles ausgeglichen.
von Randow: Zunächst einmal, in der Luftfahrtorganisation der UNO und der ICAO sitzen natürlich die Weltstarken dabei. China gehört mit dazu. Und es ist unser Ziel als internationale Luftfahrtorganisation gewesen, die ICAO davon zu überzeugen – und das war 2016 – die Staaten davon zu überzeugen, dass sie diese international verbindliche Klimaschutzabgabe einführen. Ich glaube, das ist schon recht selten in der internationalen Politik gewesen, dass eine Branche die Politik auffordert, eine zusätzliche Abgabe einzuführen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber, wie gesagt, nicht auf alle CO2-Emissionen, die entstehen, sondern nur für diejenigen über die hinaus, die wir zurzeit haben.
von Randow: Also internationale Luftfahrt hätten wir uns auch mehr vorstellen können. Was wir aber gesehen haben, ist, dass in der Weltorganisation der Staaten, also in der UNO dieses nicht mehrheitsfähig war. Aber was wir damit erreichen werden, ist natürlich ein im Vergleich zu heute ganz erheblicher Schritt, dass wir mit einer solchen Abgabe – und drei Viertel des Welt-Luftverkehrs werden damit bereits abgedeckt sein – natürlich eine deutliche Verbesserung bekommen gegenüber dem Status quo. Und ich denke, dass es schon unser gemeinsames Interesse sein muss, auch solche schrittweisen Erfolge herbeizuführen.
Aber ich habe ja eben auch gesagt, es ist das Ziel und muss es auch sein, dass wir im Fliegen tatsächlich umfassend CO2-neutral werden. Das wird ohne Einsatz eines alternativen Kraftstoffes nicht möglich sein.

"Dem Klima ist es egal, an welcher Stelle CO2 reduziert wird."

Deutschlandfunk Kultur: Ich möchte noch einen Moment bei der Kompensation bleiben. Papst Franziskus hat über das, was da geplant ist, also die Kompensation für zusätzliche CO2-Emissionen, gesagt, dass das eine Art Ablasshandel ist – und das aus der Katholischen Kirche – Zitat: "Das ist Heuchelei", hat Franziskus gesagt. "Treibe man die Logik auf die Spitze, werde es noch so weit kommen, dass Rüstungskonzerne Krankenhäuser für jene Kinder einrichten, die ihren Bomben zu Opfer gefallen sind". Letztendlich ist das wahrscheinlich nicht verkehrt, solch eine Kompensation zu machen, aber sie vermittelt den Eindruck, dass man mit besserem Gewissen genauso viel – also zu viel – fliegen kann wie bisher.
von Randow: Wenn man heute CO2-neutrales Fliegen technologisch nicht hinbekommt, aber die Menschen diesen Luftverkehr ja massiv weiter nachfragen, müssen wir uns doch Gedanken darüber machen, wie wir die CO2-Emissionen trotzdem runterbringen. Ich halte das für ein ganz wichtiges Ziel.
Und wenn das nur dadurch erreicht werden kann, dass an anderer Stelle in dem Ausmaß kompensiert wird, CO2 also gesenkt wird, wie sie es produzieren, dann ist damit ja etwas erreicht. Denn dem Klima ist es völlig egal, an welcher Stelle es reduziert wird, Hauptsache, es wird reduziert. Und der wichtige Schritt, der hier gegangen wird, ist, dass der Luftverkehr für dieselbe erzeugte CO2-Emission diese internationale Abgabe zahlen muss, um eben die CO2-Emission an anderer Stelle senken zu können.
Für das Klima ist das ein erheblicher Effekt, für den Klimaschutz. Und das ist das, was zählt. Auf Dauer, und da bin ich völlig bei Ihnen, geht es natürlich da drum, das ist ein Mittel- bis Langfristziel, dass wir den Kerosin-Einsatz, den wir heute haben, natürlich ersetzen.

Ziele auf Zettel zu schreiben, hilft dem Klimaschutz nicht

Deutschlandfunk Kultur: Wäre es nicht dann in einer Übergangszeit oder vielleicht auch langfristig wichtig zu sagen: Es gibt verbindliche CO2-Reduktionsziele für den Luftverkehr, wie wir es auf der Straße ja inzwischen kennen. Auch für den Lastverkehr kommt das.
von Randow: Ziele gibt es längst. Das Wichtige ist doch, wie wir die Ziele erreichen. Wir müssen sie auch erreichen. Denn alleine, dass wir irgendwo auf Zettel oder sonst wo Ziele aufschreiben, ist dem Klimaschutz noch nicht geholfen. Deswegen sprechen wir über konkrete Umsetzungsmaßnahmen.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben schon mehrmals angesprochen: alternative Treibstoffe. Es gibt eine Nichtregierungsorganisation, die sich sehr kritisch mit dem Fliegen auseinandersetzt. Sie heißt "Stay Grounded". In Deutschland gibt es seit 2018auch eine Schwesterorganisation "Am Boden bleiben". Und die warnen davor, dass alternative Treibstoffe, wenn es Agrartreibstoffe sind, also aus Biomasse, dass die letztendlich die Probleme nur verlagern. Denn sie sind eine Gefährdung für die Nahrungsmittelproduktion, eine Gefährdung für die Artenvielfalt. Es entstehen auch neue Emissionen, wenn für den Anbau solcher Pflanzen Wälder gerodet, Moore trocken gelegt werden.
von Randow: Das ist absolut zutreffend. Deswegen würden wir den Einsatz solcher Biokraftstoffe auch für falsch halten wegen genau dieser Probleme. Die Zukunftsperspektive kann nur darin liegen, dass es ein synthetischer Kraftstoff ist, der durch regenerative Energie erzeugt wird. Das ist der sogenannte PTL-Kraftstoff.

Synthetisches Kerosin aus Wasserstoff ist die Zukunft

Deutschlandfunk Kultur: PTL steht für Power-to-Liquid. Das ist ein Verfahren, mit dem wird mit Hilfe von Strom Wasserstoff aus Wasser erzeugt. Und der wiederum sollte dann logischerweise aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
von Randow: Der muss aus erneuerbaren Energien kommen. Denn nur dann bekommen Sie tatsächlich einen regenerativen Kraftstoff. Und das ist die Zukunft, auf die gesetzt werden muss, und eben nicht auf die herkömmlichen Biokraftstoffe.
Deutschlandfunk Kultur: Allerdings kommen wir dann immer noch nicht an die schon angesprochenen Zusatzeffekte ran. Denn der Treibstoff ist dann vielleicht CO2-neutral, aber die klimaschädliche Wirkung, die das Fliegen in großer Höhe bei bestimmten Wetter-Verhältnissen hat – daran ändert sich ja nichts. Und das ist zum Teil klimaschädlicher noch als der CO2-Ausstoß.
von Randow: Dass er klimaschädlicher ist, ist sicherlich nicht der Fall. Der regenerativ erzeugte PTL-Kraftstoff bringt nicht nur eine CO2-Reduktion, sondern auch andere klimaschädliche Emissionen reduziert er, NOX zum Beispiel. Von daher hat er eine sehr gute Klimabilanz. Das, was verbleibt, worüber man noch nachdenken muss, ist, ob solche Kraftstoffe nicht auch diese Wolkenbildung herbeiführen, sage ich einmal un-technisch, die sich gegebenenfalls unter bestimmten Wetterbedingungen beim Luftverkehr dann noch bilden kann. Da gibt es im Moment auch noch unterschiedliche wissenschaftliche Einschätzungen dazu, welche Rolle tatsächlich diese Bildung der Wolken oder, technisch genannt, der Zirren tatsächlich haben.
Das würde durch einen solchen Treibstoff nicht aufgefangen werden. Dann muss über weitere Dinge nachgedacht werden, die gegebenenfalls in Angriff genommen werden können.

Nationale Alleingänge bringen nichts

Deutschlandfunk Kultur: Da frage ich gleich nochmal nach, aber noch eine kleine Sekunde beim Treibstoff bleibend: Der ist jetzt erstmal sehr viel teurer im Moment noch. Es entsteht eine erste größere Anlage in Norwegen 2020, die diesen Power-to-Liquid, PTL, produzieren soll. Das ist um ein Zehnfaches teurer im Moment noch als Kerosin.
Wie kommt man da ran? Indem man Kerosin teurer macht? Oder erwarten Sie von der Politik Subventionen, um diesen alternativen Kraftstoff erstmal in den Markt zu bringen?
von Randow: In der Tat, wenn Sie einen Treibstoff haben, der dreimal, fünfmal, zehnmal so teuer ist, dann wird er nicht vertankt. Das ist klar. Deswegen muss das Ziel sein, einen Treibstoff zu erzeugen, der auch tatsächlich preislich marktfähig ist. Da gibt es zwei Wege. Der eine Weg ist, dass Sie auf dem Markt natürlich genügend Nachfrage organisieren und damit Massennachfrage entsteht, die dann auch zu einer Preissenkung beitragen wird. Das ist der eine Weg. Der zweite Weg ist, dass es tatsächlich zu einer industriepolitischen Initiative auch der EU kommt, um hier marktfähige Preise zu ermöglichen. Das sind die zwei Wege.
Wir glauben aber, dass das in der Tat eine mittelfristige Perspektive ist. Warum ist das so wichtig, dass wir einen marktfähigen Preis haben? Luftverkehr ist internationaler Wettbewerb. Achtzig Prozent des Luftverkehrs sind grenzüberschreitend, sind im internationalen Luftverkehr. Wenn Sie hier mit nationalen Einzelmaßnahmen, Alleingängen kommen, kommt das nicht zum Einsatz. Deswegen brauchen wir in der Tat auch international abgestimmte Strategien auf der einen Seite oder eben begleitend auch international wettbewerbsfähige Preise.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben schon gesagt, dass dieser alternative Treibstoff, wenn er dann irgendwann wettbewerbsfähige Preise hat, nicht verhindern wird, dass beim Fliegen, vor allen Dingen in größeren Höhen, unter bestimmten Bedingungen – also Luftfeuchtigkeit spielt eine Rolle, Sonneneinstrahlung usw. – schädliche Wolkenbildung mit sich bringt.
Es gibt eine Studie, die hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst für Lufthansa Systems gemacht, die ergeben hat, dass sich, wenn man eine bestimmte Routenführung hat, sogar positive Effekte ergeben können, dass also das Klima sogar gekühlt werden kann. Allerdings muss man möglicherweise bestimmte Routen meiden, Umwege in Kauf nehmen. Ist das auch ein gangbarer Weg, der nicht alternativ, aber zusätzlich beschritten werden sollte?
von Randow: Auf jeden Fall. Dieser Weg wird ja auch bereits in Praxistests versucht, wie tatsächlich durch bestimmte optimierte Flugwege im internationalen Luftverkehr vermieden werden kann, dass an Stellen geflogen wird, wo es eben wetterbedingt solche Zirren gibt. Das hat eine ganz solide realistische Grundlage und wird tatsächlich auch entsprechend von den Fluggesellschaften mit wissenschaftlicher Unterstützung derzeit erprobt.

Emissionshandel im Luftverkehr global noch nicht durchsetzbar

Deutschlandfunk Kultur: Man könnte es natürlich nochmal mehr unterstützen, indem man die Klimawirksamkeit oder -schädlichkeit von Flugrouten auch in den Emissionshandel mit einbeziehen würde. Dann hätte man einen wirtschaftlichen Anreiz, tatsächlich diese Flugrouten zu wählen, die weniger klimaschädlich sind.
von Randow: Das Problem ist ja zunächst einmal, dass der Emissionshandel im Luftverkehr sich international leider nicht durchsetzen ließ. Das ist ja leider gescheitert. Sie wissen, dass die Luftverkehrsunternehmen dieses ja sogar grundsätzlich befürwortet haben, dass dieser Emissionshandel im Luftverkehr international reglementiert wird. Das haben die Staaten dieser Welt nicht mitgemacht.
Deutschlandfunk Kultur: Jetzt geht’s ans Eingemachte. Wir haben jetzt über Möglichkeiten geredet, wie man das Fliegen unter Umständen umweltfreundlicher, klimaschonender machen kann. Aber: 244 Millionen Passagiere allein an deutschen Flughäfen, vier Prozent mehr als 2017 im vergangenen Jahr. Und es wird weiter in diesem Maße steigen. Da wird vieles von den klimaschonenden Maßnahmen aufgebraucht. Muss Fliegen begrenzt werden?
von Randow: Was wir feststellen: Es ist genau das Gegenteil passiert. Wir haben eine wachsende Nachfrage auf der Welt nach Luftverkehr. Das hat auch damit zu tun, dass wir natürlich Staaten haben, in denen viele Menschen leben – denken Sie an China, denken Sie an Indien, denken Sie an Südamerika – in denen Menschen jetzt zu erstem Wohlstand kommen und selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, auch fliegen zu wollen, wie wir das hier in Europa, auch in den USA ja schon seit Jahrzehnten kennen – und ja nicht nur Fliegen für Geschäftstermine, sondern genauso natürlich für private touristische Ziele. Das ist der Nachfragedruck, der dort ist.
Alle Maßnahmen, die getroffen werden können, um den Luftverkehr tatsächlich nachhaltig zu organisieren, müssen Maßnahmen sein, die vor diesem Hintergrund auch international gängig sind. Denn es nutzt ja nichts, dass wir uns hier in Deutschland etwas überlegen, was wir in Deutschland praktizieren, und der Weltluftverkehr richtet sich nicht danach. Deswegen setzen wir als internationale Luftverkehrswirtschaft darauf, dass wir tatsächlich an den Schritten arbeiten, diesen Luftverkehr nachhaltiger hinzubekommen und eben CO2-neutral und perspektivisch auch klimaneutral hinzubekommen. Ich glaube, das ist die realistische Perspektive. Luftverkehr zu verbieten, wer sollte das tun?
Deutschlandfunk Kultur: Nicht verbieten, aber möglicherweise begrenzen – und zwar da, wo er schon übermäßig ist. Ich meine, es macht wahrscheinlich keinen Sinn, die neunzig Prozent der Weltbevölkerung anzusprechen, die überhaupt noch nie in einem Flugzeug gesessen haben. Es geht um diejenigen, die in einem Maße fliegen, das unter dem Aspekt der globalen Gerechtigkeit – wie viel jeder Erdenbürger CO2 tatsächlich emittieren darf oder wieviel Pro-Kopf-Emissionen auf sein Konto gehen dürfen, damit überhaupt dieses Klimaziel, was wir haben – die Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu begrenzen – erreichen zu können.
von Randow: Ich persönlich würde das auch nochmal so sehen: Wir haben nun über Jahrzehnte erlebt, dass wir hier in Europa, jedenfalls die Menschen, die fliegen, das auch prima finden, dass die Nachfrage erhöht wird. Und in dem Ausmaß, wo wir erkennen, dass das nun auch weltweit zunimmt, wir darüber nachdenken: Ja, das geht aber jetzt nicht. Die anderen dürfen nicht fliegen.

Luftverkehr zu verbieten, wird nicht funktionieren

Deutschlandfunk Kultur: Nein, darum geht es nicht. Es geht schon um die, die jetzt in einem Maße fliegen, das weit über eine gerechte Verteilung dessen, was jeder pro Kopf an CO2-Emissionen verursachen darf, hinausgeht.
von Randow: Genau. Deswegen halten wir es für erforderlich darüber nachzudenken: Wie können wir Luftverkehr so organisieren, dass er CO2-neutral oder eben klimaneutral organisiert werden kann.
Ich glaube nicht, dass es perspektivisch funktionieren wird, im Weltluftverkehr Luftverkehr zu verbieten. Dafür sehe ich in der weltweiten Zusammenarbeit der Staaten derzeit überhaupt keine absehbaren Mehrheiten. Im Gegenteil. Was wir doch gesehen haben, auch bei den Diskussionen in der UNO-Luftfahrtorganisation ICAO, ist, dass die Bereitschaft gewachsen ist, Strategien anzugehen, wie wir das Fliegen klima- und CO2-neutral organisieren können. Dafür zeichnen sich Mehrheiten ab. Und es lohnt sich, diesen Weg auch weiter zu verfolgen.
Deutschlandfunk Kultur: Ich habe auch gar nicht vom Verbieten geredet, sondern vom Begrenzen. Fakt ist doch, dass die Fliegerei noch immer gegenüber anderen Massentransportmitteln – der Bahn, den Bussen – bevorzugt wird, etwa was steuerliche Unterstützung angeht. Wenn man so will, gibt es indirekt rund zwölf Milliarden, sagt das Umweltbundesamt, jährlich für den Flugverkehr an Subventionen, indem auf Mehrwertsteuer auf Ticketpreise und auf eine Energiesteuer auf Kerosin verzichtet wird. Also, da ist ja auch ein regelndes, ein beeinflussendes Element, was jetzt erstmal noch nichts mit Verbieten zu tun hat.
von Randow: Wir als Luftverkehrswirtschaft halten überhaupt nichts von der Subventionierung von Luftverkehr. Und es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass der Luftverkehr im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern subventioniert wird. Die Entscheidung, die allerdings getroffen worden ist von den internationalen Staaten, ist, dass der Luftverkehr für seine Kosten nicht über Steuern aufkommt. Das hängt damit zusammen, dass die Staaten sich nicht in ihre nationale Kompetenz der Steuerpolitik hineinreden lassen wollen, sondern über andere Abgaben organisiert wird, die an den Flughäfen zu zahlen sind, die für die Flugsicherung zu bezahlen sind, die für die Luftsicherheit zu zahlen sind, da trägt der Luftverkehr eben jährlich mit den Beträgen, die er dafür bereitstellen muss, zu einer kompletten Finanzierung der Kosten des Luftverkehrs bei.

Legitime Frage, ob Fliegen auf jeder Strecke sinnvoll

Die Frage ist aber ja durchaus legitim: Muss tatsächlich auf jeder Strecke geflogen werden? Nehmen Sie zum Beispiel den innerdeutschen Luftverkehr. Es ist ja so, dass unsere Fluggesellschaften immer wieder mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen versucht haben gute Angebote für die Kunden zu organisieren, mit denen der Kunde im innerdeutschen Verkehr von der Luft beispielsweise auf die Schiene umsteigen kann. Das funktioniert nicht überall gut. Das hängt auch damit zusammen, dass die Fluggäste natürlich einen hohen Anspruch an den Service haben, den sie dann auch erwarten – was Gepäcktransport anbelangt – den sie vom Luftverkehr her kennen. Wenn sie mit der Bahn zu einem Flughafen anreisen, von dem sie dann umsteigen auf das Flugzeug, weiterreisen wollen, dann erwarten sie einen solchen Service eben auch von der Bahn, die sie dorthin transportiert.
Das funktioniert noch nicht so, wie es sollte, aber gleichwohl, Sie finden beispielsweise bei unserem Mitgliedsunternehmen Lufthansa Angebote für die Kunden, mit denen die Anreise an den Flughafen mit der Bahn organisiert werden kann.
Trotzdem haben wir weiterhin innerdeutschen Luftverkehr. Wir haben innerdeutschen Luftverkehr da, wo noch lange Strecken sind, wo die Bahn vier bis fünf Stunden oder mehr braucht. Da steigen eben die Passagiere vielfach ins Flugzeug. Und wo es darüber hinaus noch innerdeutschen Luftverkehr gibt, das sind eben Umsteiger-Passagiere. Nehmen Sie zum Beispiel den Fall von Nürnberg über München nach Hongkong. Da haben wir heute im Flieger weit über neunzig Prozent Umsteiger-Passagiere. Da könnte man auch die Frage stellen: Warum nutzen die Passagiere nicht die Bahn? Denn das Bahnangebot besteht auch.
Deutschlandfunk Kultur: Vielleicht nutzen sie die Bahn schlicht deshalb nicht, weil die Bahn teurer ist. Also, da stimmt doch einfach am Preisgefüge etwas nicht. Noch mal: Muss Fliegen, müssen Tickets teurer werden, indem man entweder mit progressiver Ticketbesteuerung – also, je häufiger ich Tickets kaufe, desto teurer wird die Steuer, die ich drauf zahle. Oder müssen wir eine CO2-Steuer haben, um das Wettbewerbsmoment innerdeutsch zwischen Fliegen und Bahnbenutzung verändern? Sonst wird sich da nichts ändern.
von Randow: Es ist ja so, dass wir durchaus uns ja dafür eingesetzt haben als Luftverkehrswirtschaft, dass staatlicherseits, gerade vor der Herausforderung des Klimaschutzes, eine Klimaschutzabgabe gezahlt wird. Und das ist keine kleine Klimaschutzabgabe. Ich will Ihnen mal Größenordnungen nennen. Die Klimaschutzabgabe, die wir jetzt auch tatsächlich in der UNO-Organisation ICAO durchgesetzt haben – das verursacht Kosten in den ersten Jahren von jährlich drei bis sechs Milliarden Dollar. Das sind nennenswerte Beträge.
Wichtig ist dabei, wenn Sie wirklich etwas erreichen wollen über eine solche Verteuerungsmaßnahme – denn das ist sie –, dass sie international eingeführt wird. Ich glaube, diese Mühe müssen wir uns alle miteinander machen. Und da müssen wir uns auch ehrlich machen. Es wird nicht funktionieren mit nationalen Alleingängen. Mit nationalen Alleingängen erreichen Sie lediglich, dass Luftverkehr von anderen Unternehmen geflogen wird. Das bringt dem Klima überhaupt nichts.
Deswegen verfolgen wir weiterhin die Strategie zu sagen: Ja, lasst uns diese Maßnahmen organisieren. Lasst uns auch tatsächlich die Staaten in der UNO dafür gewinnen, das mitzumachen. Das war kein Spaziergang 2016 in der UNO-Organisation die Mehrheiten zu organisieren, dass eben Staaten wie China, wie Indien, wie Russland, das tatsächlich auch mitmachen. Das sah am Anfang so nicht aus. Da haben viele, die es für richtig angesehen haben, eine solche Klimaschutzabgabe einzuführen, erhebliche Überzeugungsarbeit leisten müssen. Und von Seiten der Airlines haben wir intensiv daran gewirkt, diese Staaten zu überzeugen. Aber dieser Arbeit müssen wir uns auch stellen.

Unfaire Preiswettbewerb durch Billigflieger

Deutschlandfunk Kultur: Die Air-Berlin-Pleite 2017 und die Pleite vieler kleinerer Fluggesellschaften in Deutschland und in Europa hat dazu geführt, dass das Angebot von Billigfliegern noch einmal extrem zugenommen hat. Also, über 6700 Starts pro Woche gab es im letzten Sommer in Deutschland. Das ist ein Anstieg von 35 Prozent. Jede dritte Verbindung, 2017 war es noch jede vierte, ist mittlerweile von einem Billigflieger durchgeführt. Kommt alles Übel – was Klimaschaden angeht, das enorme Wachstum an Flugbewegungen, die schlechten Arbeitsbedingungen, was den Konkurrenzdruck angeht, was den überlasteten Luftraum angeht – kommt das alles von den Billigfliegern?
von Randow: Wenn wir von Billigfliegern und Nichtbilligfliegern reden, ist das sicherlich eine Unterscheidung, die vor zehn Jahren vielleicht noch denkbar war. Heute müssen Sie, glaube ich, eher Folgendes sehen: Alle Fluggesellschaften bieten ganz unterschiedliche Leistungen an. Sie können auch mit einer Lufthansa-Gruppe heute Angebote fliegen, wo Sie dem Kunden sehr begrenzten Service zur Verfügung stellen und ihm dafür auch ein billigeres Flugticket anbieten.
Deutschlandfunk Kultur: Entstanden unter dem Druck durch Billiganbieter.
von Randow: Absolut.
Deutschlandfunk Kultur: Lufthansa und andere sind nachgezogen. Und wir haben Ticketpreise von 9,95 €, innereuropäisch 19,95 €, womit wir dann wieder beim Preis sind.
von Randow: Es ist ja so: Der Luftverkehr ist in den 90er Jahren überhaupt in den privaten Wettbewerb überführt worden. Die Luftverkehrsgesellschaften waren im Wesentlichen staatliche Unternehmen. Seit der Privatisierung und Liberalisierung bestimmt natürlich Angebot und Nachfrage den Preis. Und was wir erlebt haben im Zuge der Liberalisierung, ist eben, dass sehr viele Menschen Luftverkehr nachgefragt haben und bei diesen Fluggästen der Anteil derjenigen, die auch gesagt haben, sie verzichten auf bestimmten Service mit dem Interesse, ein preiswertes Ticket zu bekommen, der Anteil hat sicherlich deutlich zugenommen.
Was ich allerdings in der Tat kritisch sehe, ist, wenn es in diesem internationalen Wettbewerb so etwas wie unfairen Wettbewerb gibt. Was wir immer sagen: Es gibt Standards in dem Wettbewerb, die natürlich fair sein müssen. Es ist sicherlich – auch wenn es nicht einfach ist, aber eine gute Tradition – dass Arbeitsbedingungen beispielsweise über Tarifpartner entsprechend gestaltet werden. Da, wo das nicht der Fall ist – und wir haben im Weltluftverkehr da ganz unterschiedliche Bedingungen. Wir haben im Weltluftverkehr auch Fluggesellschaften in Staaten, da werden Gewerkschaften verboten. Da ist hier in Europa nicht der Fall und es ist gut so, dass das in Europa nicht der Fall ist. Dadurch entsteht unfairer Preiswettbewerb. Das ist sicherlich nicht gut und entspricht auch nicht unseren Vorstellungen, wie man wirtschaftliche Rahmenbedingungen fair und sinnvoll gestaltet.
Deutschlandfunk Kultur: Und die Politik ist gefragt an dem Punkt. Denn es geht zum einen um die Standards, die Sie genannt haben – Arbeitsbedingungen, Bezahlung usw. Aber es geht eben auch um diese Frage: Wenn ein Flug 9,99 € oder 19,99 € kostet, dann ist das zwar eine ungeheuer demokratische Angelegenheit, weil sich das dann wirklich fast jeder leisten kann, aber es führt eben dazu, dass mehr sinnlos – in Anführungsstrichen – geflogen wird. Da muss doch die Politik etwas tun. Und sie kann es ja eigentlich nur über den Preis, wenn sie es nicht verbieten will.
von Randow: Aber es sind ja nicht die Fluggesellschaften, die unbedingt billige Tickets verkaufen wollen, sondern im Gegenteil. Fluggesellschaften sind Unternehmen. Die wollen einen vernünftigen Umsatz machen und auch vernünftige Gewinne erzielen. Wenn der Nachfragedruck ist, wie er ist, und der Wettbewerb ist, wie er ist, dann regeln sich Preise tatsächlich auch im Wettbewerb nach Angebot und Nachfrage.
Wir haben einen internationalen Wettbewerbsmarkt, in dem sich Preise nach Angebot und Nachfrage stellen. Und wenn man der Auffassung ist, dass vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsanforderungen an den Luftverkehr, Luftverkehr teurer werden muss, dann ist die Frage legitim. Und dann sind wir wieder bei der Frage: Wie schaffen wir es, international zu entsprechenden Auflagen zu kommen? Wir treten ein für solche international abgestimmten Vorgaben.

"Wir hoffen, dass der BER bald eröffnen kann"

Deutschlandfunk Kultur: Zum Schluss, Herr von Randow, noch ein Wort zum Hauptstadtflughafen BER. Nach der fünften Verschiebung – aller guten Dinge sind sechs – soll er also jetzt im Oktober 2020 eröffnet werden. Das sagt die Flughafengesellschaft, sie glaubt fest da dran, obwohl immer noch Probleme bestehen. Glauben Sie es?
von Randow: Also, wir hoffen, dass der BER bald eröffnen kann.
Deutschlandfunk Kultur: Ja, Hoffen ist das eine. Glauben Sie es?
von Randow: Für mich ist Luftverkehr keine Glaubensfrage.
Deutschlandfunk Kultur: Also gehen Sie davon aus, dass Ihre Mitgliedsunternehmen 2020 im Oktober auf dem BER landen und von dort starten können.
von Randow: Das ist das, was die Planung ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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