Flüchtlingspolitik

Das politische Geschäft mit dem Vorwurf des Rechtsbruchs

07:37 Minuten
Auf einer Demonstration rechter Gruppen in Berlin am 30. Juli 2016 hält ein Demonstrant ein Plakat mit der Aufschrift "Mutti zerstoert Vaters Land" hoch. Unter den Teilnehmerm sind viele Neonazis, Mitglieder vom HoGeSa, NPD und Teilnehmer der Baergida und von Pegida, Patriotische Europaeer Gegen die Islamisierung des Abendlandes.
Auf rechten Demonstrationen spielte der Vorwurf des Rechtsbruchs eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik. © imago
Stephan Detjen im Gespräcvh mit Ute Welty  · 20.04.2019
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Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung warfen ihr 2015 Rechtsbruch vor. In ihrem Buch "Die Zauberlehrlinge" gehen Maximilian Steinbeis und Stephan Detjen der Frage nach, wem diese Behauptung nützt und wie sie die Demokratie gefährdet.
Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung im Jahr 2015 sei ein Rechtsbruch gewesen: Mit diesem Vorwurf setzen sich die Autoren Stephan Detjen und Maximilian Steinbeis in ihrem neuen Buch " Die Zauberlehrlinge" auseinander. "Wir haben nachgezeichnet, wie mit diesem Vorwurf politisch jongliert wurde, Geschäfte gemacht wurden", sagte der Historiker und Jurist Detjen, der in Berlin das Hauptstadtbüro von Deutschlandradio leitet.
Die beteiligten Politiker, Juristen, Staatsrechtler und Journalisten hätten erst viel zu spät gesehen, dass sie "Geister" herbei riefen: Rechtspopulisten, die AfD, die Pegida-Bewegung und andere hätten diesen Vorwurf dann übernommen und damit das große politische Geschäft ihres Lebens gemacht.
Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandradio in Berlin, aufgenommen am 17.03.2016 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema "Feilschen um die Flüchtlinge - was bringt Merkels Türkei-Plan?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden. Foto: Karlheinz Schindler | Verwendung weltweit
Stephan Detjen ist Leiter des Berliner Hauptstadtstudios von Deutschlandradio. © Karlheinz Schindler/dpa
Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer sei im Sommer 2015 zornig gewesen und mit der Entscheidung der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht einverstanden gewesen, die Grenzen nicht zu schließen. "Er hat in diesem Zorn nach Wegen gesucht, die Bundesregierung unter Druck zu setzen", sagte Detjen. Andere hätten solche Argumentationen dann übernommen.

Kein Anhaltspunkt für Rechtswidrigkeit

"Es gibt eigentlich keinen wirklichen Anhaltspunkt, zu sagen, da sei nun eindeutig rechtswidrig gehandelt worden", sagte Detjen. Man könne lange darüber diskutieren, ob die Bundesregierung andere Handlungsoptionen gehabt hätte.
Die Behauptung des angeblichen Rechtsbruchs sei in Verschwörungstheorien und Ideologien verpackt gewesen. Sie sei zu einer Art "politischem Dietrich" geworden. Dieses Instrument habe es der AfD und anderen Rechtspopulisten ermöglicht, sich den Zugang zu bürgerlichen Milieus zu öffnen – zu Ärzten, Juristen und anderen Akademikern. Sie seien sich zwar zu fein gewesen, gegen die Flüchtlinge auf die Straße zu gehen, aber dazu bereit, sich zu empören, dass die Regierung angeblich das Recht gebrochen habe.
Zusammen mit seinem Mitautor Steinbeis, der das Verfassungsblog betreibt, kommt Detjen zu dem Schluß, dass die Rechtskultur in Deutschland in den vergangenen Jahren dadurch gelitten habe. Es gebe eine Erosion des Rechtsbewusstseins: Die "Instrumentalisierung dieses Rechtsbruchvorwurfs" habe "eine unheilvolle Wirkung entfaltet."
(gem)

Stephan Detjen, Maximilian Steinbeis: "Die Zauberlehrlinge. Der Streit um die Flüchtlingspolitik und der Mythos vom Rechtsbruch"
Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2019
176 Seiten, 18 Euro

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