Flüchtlingslieder von Jim Kroft

Hippie-Utopien lösen keine Probleme

Schlamm und Regen setzen den schutzsuchenden Menschen in Idomeni zu.
Das inzwischen aufgelöste Lager in Idomeni: Hier hat sich Kroft unter anderem Ideen für seine Songs geholt © dpa / picture-alliance / Valdrin Xhemaj
Von Ina Plodroch · 20.07.2016
Der Songwriter Jim Kroft hat ein Album über die Flüchtlinge, die nach Europa wollen, verfasst. Ina Plodroch hat tolle, eingängige Songs gehört - kann aber mit Krofts Perspektive auf das Flüchtlingsproblem wenig anfangen.
"Sara ist das Mädchen, das in dieser Nacht auf Lesbos ankam."
Und in Jim Krofts Armen landete. Er weiß nicht, ob das kleine Mädchen erfriert, oder diese Flucht überleben wird. Harter Stoff für einen Folkpopsong, den er auf seinem Album "Journeys #3" veröffentlicht hat.
"In diesem Projekt geht es mir darum, die Stimmung der Welt zu erkunden."
Jim Kroft – Schotte, der seit sieben Jahren in Berlin lebt - ist als Dokumentarfilmer und Musiker bereits durch Russland und Ost-Afrika gereist. Dabei hat er Filmmaterial gesammelt und Songs geschrieben.
"Als ich von meiner Reise nach Russland zurück gekommen bin, wusste ich: Meine nächste Reise wird mich nach Europa führen. Denn je länger ich unterwegs war, desto mehr dachte ich an die Ereignisse in Europa und die sogenannte Flüchtlingskrise."

Kroft reiste nach Lesbos und Idomeni

Deshalb ist Jim Kroft Anfang des Jahres an die – zu dieser Zeit - zentralen Punkte der Fluchtroute gereist: Lesbos und Idomeni. Eigentlich wollte Jim Kroft nur als Filmemacher auf Reise gehen, und mit Bildern zeigen, was er in den Flüchtlingslagern sah. Erst unterwegs beschloss er, auch ein Musikalbum daraus zu machen. Nicht ohne Zweifel.
"Ich hatte keine Bedenken was das Filmen oder das Schreiben angeht. Aber was die Musik betrifft schon. Auf den anderen Reisen habe ich Songs geschrieben und bin damit unterwegs aufgetreten. Aber mir war einfach nicht klar, welche Rolle Musik in dieser Situation überhaupt spielen kann."
Wenn Menschen aus ihrem Heimatland fliehen mussten und mit dem überfüllten Boot in Griechenland ankommen, scheint es schwer vorstellbar, dass ihnen Musik in diesen Momenten und Tagen überhaupt etwas bedeutet. Aber Kroft machte Erfahrungen wie diese:
"Ich erinnere mich an einen Musiker, der fast nur seine Tambura dabei hatte. Als er mit dem Boot auf Lesbos ankam, hat er sofort gespielt."
Doch Jim Kroft ist selbst nicht geflohen. Und er hat keine Songs mit den Menschen in den Flüchtlingslagern geschrieben, oder sich von ihrer Musik beeinflussen lassen. Viele seiner Stücke sind eher ein abstrakter, künstlerischer Bericht, andere hippie-esk mit Wir-sind-alle-gleich- und Zusammen-schaffen-wir-das-Utopien.

Wir-sind-alle-gleich-Utopien

Seinen Beitrag zum "Gemeinsam sind wir stark" verteilt er dann aus sicherer Entfernung: Berlin, dort hat er das Album in 48 Stunden produziert für ein Crowdfunding-Aktion, die immerhin fast 20.000 Euro für die Rettungshelfer aus Lesbos zusammen brachte.
Jim Kroft ist nicht der erste Musiker, den dieses Thema beschäftigt. Doch ist es nicht naiv, wenn Tony Allen, mittlerweile ein Weltbürger, seine nigerianischen Landsleute in einem Song aufruft, nicht mehr zu fliehen? Oder arrogant, wie M.I.A. in hübschen Kleidern vor einem Grenzzaun tänzelt und dabei über die schlimme Krise singt? Helfen diese Songs nicht vor allem den Künstlern? Jim Krofts Album "Journeys #3" hat jetzt schon mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen als die anderen beiden EPs aus Russland und Afrika.
"Ich habe mir schon den Kopf darüber zerbrochen, dass es bei Musik ja immer auch darum geht, sie zu promoten und zu verbreiten. Aber ich wusste einfach: Ich habe die Welt gesehen und muss damit an die Öffentlichkeit gehen und das nicht weiter hinterfragen. Denn ich kenne meine Motive."

Die eigenen Motive reflektieren

Und genau die gilt es zu hinterfragen. Meint die australische Hilfsorganisation "RISE", die im letzten Jahr ein Manifest veröffentlicht hat: Künstler sollten ihre Privilegiertheit beachten, ihre Motive bedenken. Jim Krofts "Journeys #3" hat tolle, eingängige Songs. Doch die sind Stoff für den verträumten Europäer, der ein Haus für alle will, und doch wissen müsste, dass sich die Probleme nicht mit pauschaler Hippie-Utopie lösen lassen.