Flüchtlingsdebatte in Frankreich

Gestrandet in Paris

Flüchtlinge stehen, sitzen und liegen vor dem Verwaltungsgebäude des 18. Arondissements in Paris.
Flüchtlinge stehen, sitzen und liegen vor dem Verwaltungsgebäude des 18. Arondissements in Paris. © Deutschlandfunk / Ursula Welter
Von Ursula Welter · 11.09.2015
Seit Monaten leben in der französischen Hauptstadt Flüchtlinge auf der Straße - ohne Hilfe, ohne Perspektive. Doch die Bilder des ertrunkenen syrischen Jungen und der Politikwechsel in Deutschland haben auch in Frankreich zu einem Stimmungsumschwung geführt.
Auch dieser junge Sudanese ist mit einem Boot über das Meer gekommen. Via Italien nach Frankreich. Gestrandet ist er in der französischen Hauptstadt. Seit Monaten lebt der Mann auf der Straße, zuletzt schlief er mit rund 100 anderen Flüchtlingen auf den Stufen des Rathauses im 18. Arrondissement.
"Die haben hier Schiffbruch erlitten", beklagt Marc, ein Bewohner des Quartiers. Schiffbruch in der Stadt der Aufklärung, der Stadt des Lichts und der Sehenswürdigkeiten, Montmartre ist nicht weit.
"Das Asylrecht ist die Seele und das Herz Frankreichs, behauptet unser Präsident, aber darauf warten wir immer noch."

Leben auf der Straße

Francois ist Rentner, er wohnt in diesem Viertel, in dem die Flüchtlinge im Dreck und ohne Perspektive auf der Straße hausen mussten, acht Tage und Nächte allein hier, die Monate zuvor an vielen verschiedenen Stellen von Paris. Anfangs vertrieben von Gendarmen, zum Schluss nur noch bewacht von Polizisten, aber jeweils ohne humanitäre oder sanitäre Unterstützung der Behörden.
"Und genauso ist die Lage am Bahnhof von Austerlitz", beklagt Marc.
"Ja, es leben Menschen auf der Straße", räumt auch der Chef der französischen Hilfsorganisation "Terre d'Asile", Pierre Henry, ein. Sein Büro liegt nicht weit entfernt von diesem Lager aus Pappmatratzen, wo beißender Uringestank den Passanten den Atem raubt.
Ja, es lebten Menschen auf der Straße, aber die Dinge kämen in Frankreich in Bewegung. So versprach die Bürgermeistern von Paris gestern sieben neue Notunterkünfte, für Paris und das angrenzende Departement Hautes-de-Seine - 460 zusätzliche Plätze, der Bedarf ist vermutlich größer, aber die Flüchtlinge aus dem 18. Arrondissement und vom Bahnhof Austerlitz sollen nun Hilfe erhalten.
"Wir müssen weiter ausbauen", fordert der Chef von Terre d'Asile. Die Politik habe sich in Frankreich lange nur halbherzig um das Thema Einwanderung gekümmert, "lau" sei das gewesen, sagt Henry. Auch in Deutschland habe es zuletzt noch Demonstrationen gegen Einwanderung gegeben, aber die klare Position von Angela Merkel habe die Lage verändert.
"... und ich sage, wenn es in diesem Land eine starke Ansage und eine nationale Einheit gibt, dann wird auch die öffentliche Meinung folgen."

Schlechtes Gewissen in Frankreich

Und tatsächlich ergeben Umfragen heute ein anderes Bild als noch vor einer Woche. Da war eine Mehrheit der Franzosen gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge, inzwischen ist eine Mehrheit dafür. Neun Punkte mehr Zustimmung binnen so kurzer Zeit, das sei ein außergewöhnlicher Sprung, sagt der Meinungsforscher Bernard Sananés im französischen Fernsehen. Nicht die Haltung der Staatsspitze, sondern das Foto des ertrunkenen, syrischen Jungen am türkischen Strand habe dazu beigetragen, aber auch:
"Ein schlechtes Gewissen beim Anblick der Bilder aus Deutschland. Die haben überrascht - die entsprachen nicht dem traditionell geltenden Klischee vom harten und rigorosen Deutschland."
Aber der Meinungsforscher warnt vor Illusionen. Die Hilfsbereitschaft in Frankreich nehme zu, aber das Thema spalte das Land. Und entsprechend lebhaft verläuft die politische Debatte. Nachdem die Chefin des Front National am vergangenen Wochenende in Marseille beim Parteitreffen die Fahne der strikten Einwanderungsgegner hoch gehalten hatte und dafür gefeiert worden war, blätterte gestern Nicolas Sarkozy sein Programm auf.
Die Flüchtlingsströme seien unterschiedlich, erklärte der frühere Staatspräsident und Chef der Partei "Die Republikaner". Wirtschaftsflüchtlinge könne Frankreich nicht mehr oder nur in geringem Umfang empfangen, politische Flüchtlinge aufzunehmen gehöre indes zur humanistischen Tradition Frankreichs, aber für Kriegsflüchtlinge müsse es einen Sonderstatus geben, der klar mache, dass sie zurück müssten, sobald der Krieg vorüber sei.
Premierminister und Innenminister kritisierten diesen Vorschlag scharf, das französische Asylrecht werde nicht aufgespalten, sagten Manuel Valls und Bernard Cazeneuve. Der Chef der Flüchtlingsorganisation von "Terre d'Asile" sieht es so: Ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien sei zwar wünschenswert, aber er glaube nicht daran. Frankreich müsse sich darauf einstellen, sagt Pierre Henry: "Die Flüchtlinge werden bleiben!"
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