Flüchtlingsandrang bei den Tafeln

"Es wird eine Lebensmittel-Obergrenze geben"

Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter gibt am 30.12.2015 in Flensburg (Schleswig-Holstein) im Verteilraum der Flenburger Tafel Lebensmittel unter anderem an syrische Asylbewerber aus. Foto: Markus Scholz/dpa (zu dpa: " Unter meiner Leitung gibt es keinen Aufnahmestopp" vom 15.01.2016)
Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter gibt am 30.12.2015 in Flensburg (Schleswig-Holstein) im Verteilraum der Flenburger Tafel Lebensmittel unter anderem an syrische Asylbewerber aus. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Jochen Brühl im Gespräch mit Ute Welty · 06.02.2016
250.000 Flüchtlinge sind Kunden der Tafeln in Deutschland - mancher Stammkunde sieht darin eine unliebsame Konkurrenz um knappe Lebensmittel. Man werde dennoch niemanden aufgrund seiner Herkunft oder Religion ausschließen, sagt der Vorsitzende des Tafelverbandes.
Dass die Tafeln in Deutschland inzwischen auch etwa 250.000 Flüchtlinge zu ihren Kunden zählen, gefällt nicht jedem Stammkunden. Auch für den Tafelverband insgesamt bedeutet der starke Flüchtlingsandrang eine große Herausforderung, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes der Tafeln, Jochen Brühl.
"Wir können natürlich nur das verteilen, was wir haben. Das heißt, kommen mehr Menschen zu uns, bekommen die Gruppen derer, die zu den Tafeln kommen, insgesamt weniger", räumt Brühl. "Es wird eine Lebensmittel-Obergrenze geben."
Brühl: Wir brauchen finanzielle Unterstützung seitens der Politik
Man werde aber niemanden wegen seiner Herkunft oder Religion ausschließen: "Für uns steht der Mensch im Vordergrund, wir werden alle Bedürftigen gleich behandeln."
Flüchtlinge seien Teil einer wachsenden Gruppe von Menschen, "die abgehängt sind", betont der Tafel-Vorsitzende. "Und da erwarten wir von der Bundesregierung, vom Staat, von der Gesellschaft ganz deutliche Maßnahmen, dass das nicht auf dem Rücken einer Ehrenamtsbewegung ausgetragen wird." So habe man die Bundesregierung und die Landesregierungen um finanzielle Unterstützung für Sprachschulungen oder Maßnahmen "Wie gehe ich mit Konflikten um?" gebeten.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es sind keine guten Nachrichten, die uns aus Sachsen-Anhalt erreichen, dort macht sich nämlich die steigende Zahl von Flüchtlingen auch bei den Tafeln bemerkbar. Immerhin ein Viertel der Menschen, die die Tafeln dort in Anspruch nehmen und in Anspruch nehmen müssen, sind eben Menschen, die noch nicht so lange in Deutschland sind. Und das führt offenbar zu komplizierten Situationen, denn verteilt werden kann auch nur bei den Tafeln das, was da ist. Wie gesagt, diese Meldung erreicht uns aus Sachsen-Anhalt. Wie die Lage sich bundesweit gestaltet, das kann ich jetzt mit Jochen Brühl besprechen, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutsche Tafel. Guten Morgen!
Jochen Brühl: Guten Morgen, Frau Welty!
250.000 Flüchtlinge bei den Tafeln: eine "große Herausforderung"
Welty: 25 Prozent Flüchtlinge unter denen, die eine Tafel in Sachsen-Anhalt in Anspruch nehmen – ist das eine Zahl, die sich übertragen lässt, oder ist das eine Ausnahme?
Brühl: Also es ist so, dass die Tafeln in Deutschland eine große Aufgabe bewältigen. Wir haben gerade circa 250.000 geflüchtete Menschen, die zusätzlich zu den Tafeln kommen und natürlich die Tafeln bundesweit vor eine große Herausforderung stellen. Und wie Sie gerade schon gesagt haben, wir können natürlich nur das verteilen, was wir haben. Das heißt, kommen mehr Menschen zu uns, bekommt die Gruppe derer, die zu den Tafeln kommt, insgesamt weniger.
Welty: Bekommen Sie denn im Umkehrschluss auch mehr Spenden, wenn die Zahl der Bedürftigen gestiegen ist, oder führt das tatsächlich dazu, dass jeder nur noch drei Äpfel bekommt und nicht vier?
Brühl: Wir sind eigentlich ganz froh, dass die Zahl der Spenden stabil geblieben ist und auch an der ein oder anderen Stelle steigt, aber es ist jetzt so, dass so eine Freiwilligenorganisation wie die Tafel natürlich wie gesagt von freiwilligen Spenden lebt und deswegen wir auch nur das verteilen können, was wir bekommen. Und das führt zu Spannungen, das ist aber nichts Neues für die Tafel-Bewegung, denn damals, als viele Übersiedler nach Deutschland gekommen sind, hatten wir die Situation auch schon. Viele Leute denken ja, dass die Gruppe der von Armut Betroffenen eine homogene Gruppe ist, das stimmt aber nicht, die ist sehr individuell, und deshalb führt es immer, wenn neue Gruppen dazukommen, zu Konflikten.
Verteilungskämpfe nicht auf dem Rücken der Tafeln austragen
Welty: Wie drücken sich diese Spannungen, wie drücken sich diese Konflikte aus?
Brühl: Also wenn ich wenig habe und wenn ich auf Hilfe und Unterstützung angewiesen bin, wenn ich Kinder zu Hause habe oder wenn ich merke, ich verlasse mich auch auf die Unterstützung der Tafel – das möchte ich auch noch mal betonen, wir versorgen nicht, sondern wir unterstützen mit dieser freiwilligen Hilfe –, dann führt das einfach zu Konflikten. Und dann kann es so sein, dass die, die neu kommen, dann von denen, die schon länger da sind, eben halt auch diskreditiert werden, aber wir achten bei diesen Konflikten immer sehr darauf, dass nicht eine bestimmte Gruppe den Schwarzen Peter zugeschoben bekommt, sondern wir achten darauf, dass alle, die zu uns kommen, auch unterstützt werden, aber eben halt mit den Möglichkeiten, die wir haben.
Welty: Wie gehen die vielen Helferinnen und Helfer damit um, dass sie womöglich auch dafür kritisiert werden, wenn die Ressourcen weniger werden?
Brühl: Ja, das ist ein gesellschaftliches Problem, was natürlich auch nicht vor den Tafeln haltmacht. Wir haben das Problem, dass dieser gesellschaftliche Konflikt, der ja zum Teil auch politisch, populistisch ausgenutzt wird, dann auch in die Tafeln getragen wird. Wir lassen halt nicht zu, dass auch sich eine Spaltung ergibt in dem Bereich der Menschen, die von Armut betroffen sind. Deswegen versuchen wir mit Aufklärung, mit Integration, dass zum Beispiel auch Flüchtlinge in Tafeln helfen, mithelfen, als Mitarbeiter dabei sind, indem wir zum Beispiel Sprachführer in arabischer Sprache herausbringen, aber eben halt auch bisher zu den Tafeln kommende Menschen darüber informieren, Konflikte zu minimieren.
Aber ich kann nur ganz deutlich sagen, es ist natürlich auch schwierig, dass eine Ehrenamtsbewegung die Dinge, die vom Staat nicht geklärt werden, klären soll. Wir versuchen aber, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Hilfen zur Hand zu geben, damit am Ende es nicht einen Konflikt gibt zwischen denen, die sowieso schon wenig haben.
Spezielle Unterstützung für Tafeln mit hohem Flüchtlingsaufkommen
Welty: Wie sehen diese Hilfen aus?
Brühl: Diese Hilfen sehen ganz praktisch so aus, dass wir einen neuen Fonds aufgelegt haben, "Tafeln – Leben – Integration", wo wir eben speziell Tafeln unterstützen, die ein hohes Maß an Flüchtlingen zu bewältigen haben. Wir sprechen auch nicht von einer Flüchtlingskrise, sondern wir sprechen davon, dass das Thema Armut in Deutschland, das ja jahrelang nicht behandelt wurde oder auch nicht im Fokus war, durch dieses Thema jetzt noch mal konkret auf die Tagesordnung kommt.
Und wir weisen darauf hin, dass die Flüchtlinge ein Teil einer wachsenden Gruppe von Menschen sind, die abgehängt sind, und da erwarten wir von der Bundesregierung, vom Staat, von der Gesellschaft ganz deutliche Maßnahmen, dass das nicht auf dem Rücken einer Ehrenamtsbewegung ausgetragen wird.
Welty: Wenn jetzt noch mehr Menschen kommen – und damit ist ja zu rechnen –, müssen Sie dann irgendwann den Zugang oder die Berechtigung stärker steuern, müssen Sie so was einführen wie eine Obergrenze?
Brühl: Na ja, ich habe bei diesem Begriff Obergrenze so ein bisschen Gänsehaut, im negativen Sinne. Wir sagen, dass wir dann die Lebensmittel, die wir zur Verfügung haben, auch alle gleich verteilen, wir werden keine Gruppe aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihrer besonderen Lebenssituation ausschließen. Für uns steht der Mensch im Vordergrund. Wir werden alle Bedürftigen gleichbehandeln.
Tafeln am Rande der Belastbarkeit
Wir haben allerdings jetzt auch die Bundesregierung und auch die Landesregierungen ganz deutlich darum gebeten, Ehrenamtsorganisationen, die am Rande der Belastbarkeit stehen, auch finanziell temporär zu unterstützen mit zum Beispiel Maßnahmen, wie gehe ich mit Konflikten um, Sprachschulungen und so weiter. Also das erwarten wir schon, denn 250.000 Flüchtlinge zusätzlich zu unterstützen, das ist für Leute, die das ehrenamtlich machen und die eigentlich zum Tennis gehen könnten oder was auch immer mit ihrer Freizeit anfangen könnten, eine Riesenherausforderung. Es gibt teilweise Helferinnen und Helfer, die eine 30- bis 40-Stunden-Woche ehrenamtlich bei den Tafeln haben.
Welty: Stellen Sie fest, dass in dieser Situation, die wir jetzt seit einem halben Jahr etwa verzeichnen, dass immer mehr Flüchtlinge kommen, dass den Deutschen das Teilen zunehmend schwerfällt?
Brühl: Also wir haben seit zwei bis drei Jahren auf diese Problematik hingewiesen, deshalb ist das für uns jetzt nicht erst seit einem halben Jahr ein Problem. Ich glaube, dass die Deutschen in einer großen Masse bereit sind, solidarisch zu sein mit Menschen, die aus schwierigen, konfliktbeladenen Situationen kommen. Und ich glaube, dass wir uns nicht blenden lassen dürfen von denen, die sehr lauthals andere Positionen vertreten, ich glaube nur, dass die Menschen, die Unterstützung geben, nicht alleingelassen werden dürfen.
"Es wird halt weniger werden"
Und ich glaube, Obergrenze heißt für mich, wir können weniger an Lebensmitteln verteilen, es wird eine Lebensmittelobergrenze geben, und dann werden Menschen weniger bekommen. Aber noch mal: Wir sind eine Freiwilligenbewegung, und bei uns wird das abgegeben, was wir haben, und das ist kein Unterschied für uns, wer da kommt. Es wird halt weniger werden, wenn wir nicht mehr Spenden bekommen, und jeder, der Lebensmittel zur Verfügung stellen kann, darf das natürlich sehr gerne bei den behördlichen Tafeln abgeben.
Welty: Jochen Brühl vom Bundesverband Deutsche Tafel über die Tafeln, die auch immer mehr von Flüchtlingen in Anspruch genommen werden. Ich danke für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Brühl: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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