Flüchtlinge zeigen ihr Dresden

Die etwas andere Stadtführung

"Refugees welcome" steht in der Dresdener Neustadt auf einer bunt bemalten Hauswand.
Beschriftete und bemalte Hauswand in der Dresdner Neustadt: Das bunte Viertel ist auch ein Teil der Stadtführung. © imago / epd
Von Bastian Brandau · 11.02.2019
Zwinger, Frauenkirche und das Schloss. All das würde eine klassische Stadtführung in Dresden ansteuern. Ein Berliner Verein bietet jetzt Führungen aus anderer Perspektive: Seit einigen Monaten zeigen geflüchtete Menschen "ihr" Dresden.
"Hören mich alle, ja?"
Dresden, in der Nähe des Elbufers. Am Rosa-Luxemburg-Gedenkstein haben sich etwa 20 junge Menschen Kopfhörer aufgesetzt. Die Stadtführerin, dicker Wintermantel und schwarze lange schwarze Haare, nestelt an ihrem Mikrophon.
"Guten Tag! Mein Name ist Loubna Al Azzawi. Ich komme aus Syrien und seit drei Jahren bin ich hier in Deutschland uns seit zwei Jahren hier in Dresden. Ich besuche gerade einen Deutschkurs …"
Loubna Azzawi ist 34, in Syrien hat sie Jura studiert. Sie zeigt heute ihre Lieblingsorte in Dresden. Oder Orte, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Die Gruppe geht an diesem kalten Winternachmittag zunächst einige Schritte hinunter an die Elbe.
"Sind alle hier aus Dresden?"
"Äh, ja fast alle."
"Cool. Dann kennen alle die Elbe. Was machen Menschen hier an der Elbe?"
"Abends sitzen, grillen, joggen, den Tag ausklingen lassen."
Und genauso sei es in ihrer Heimatstadt gewesen. Nur dass der Fluss dort der Euphrat war. Ein erstes Aha-Erlebnis für viele in der Gruppe Freiwilligendienstleistender.
Auch darum gehe es, zu zeigen, dass das Leben überall doch auch ähnlich sei, sagt Dominika Szsyszko. Sie arbeitet für den Verein* Querstadtein. Die vermittelt in Berlin schon seit Jahren Touren mit Geflüchteten oder Obdachlosen. Dresden ist recht neu im Angebot – aber wichtig:
"Das was wir sehen, ist dass Dresden eben auch eine bunte und offene Stadt ist, wo viele geflüchtete Menschen eben auch ihre Zuhause gefunden haben, sich wohlfühlen und sich engagieren wollen. Und das ist eher die Seite, die wir zeigen wollen. Wir erzählen von Projekten, wo Menschen sich begegnen, wo Dialog entsteht. Und zeigen, dass Dresden nicht nur Pegida ist, von der man in den Medien hört."

Stark verbreiteter Alltagsrassismus

Doch Pegida gibt es in Dresden nach wie vor, ebenso einen stark verbreiteten Alltagsrassismus. Auch Loubna Azzawi erzählt von Anfeindungen oder Stereotypen, denen sie immer wieder ausgesetzt ist.
"Der Mann hat mich am Anfang gefragt, woher kommst Du? Und ich habe gesagt, aus Syrien."
"Echt, aus Syrien?"
"Ja, warum?"
"Du sprichst mit mir? Du trägst kein Kopftuch?"
"Okay, was ist Dein Problem?"
Azzawi ist nicht nur Stadtführerin, sie geht auch an Schulen und spricht über Flucht und Rassismus. Dass der zu Toten führen kann, daran erinnert ein Gedenkstein am Jorge-Gomondai-Platz. Der Platz ist benannt nach einem Mozambikaner, der Anfang der 1990er-Jahre von Neonazis getötet wurde.
"Jedes Jahr an seinem Todestag gibt es Demos. Die Menschen kommen, um an Jorge Gomondai zu erinnern und gegen Rassismus. Sie zeigen einfach ihr Interesse. Wart Ihr schon mal auf Demos?"
Anti-rassistische Demonstrationen beginnen und enden in Dresden häufig am Albertplatz direkt gegenüber, im Herzen der Dresdner Neustadt. Die Neustadt ist in Dresden bekannt als buntes Viertel, wo Menschen mit Migrationsgeschichte nichts Ungewöhnliches sind. Und wo sie sich einfach besonders wohlfühlt, erzählt die Stadtführerin aus Syrien.
"Neustadt für mich bedeutet: Alte Gebäude und junge Menschen. Ich mag diese Kombination. Hier gibt es viele Konzerte, man kann einfach gehen."

In Syrien gilt Radfahren als unweiblich

Viele sind mit dem Rad unterwegs, und auch das gefällt Loubna Azzawi sehr. Denn in Syrien gilt Radfahren als unweiblich. Aber auch das ändert sich, sagt sie und hält ein Bild hoch.
"2017 gab es eine Demo in Damaskus. Die Frauen wollen einfach Fahrradfahren. Ihr könnt schauen, es gibt viele Frauen mit Kopftuch. Es ist in Damaskus 2017 und die Frauen kämpfen für ihre Rechte."
Die Tour ist fast am Ende. Doch ein wichtiger Ort fehlt noch: Etwas abseits der Hauptstraße ist der Orient-Basar. Azzawi lässt die Gäste am Kaffee mit Kardamon riechen und erzählt, dass sie regelmäßig mit ihren Eltern in London frühstückt – übers Internet:
"Ich habe zwei Bilder von meinem Lieblingsfrühstück. Zataar: 'Und hier könnt Ihr riechen und auch raten, was drin ist'."
Nämlich Thymian, Sumach, Sesam und Salz.
"Es war schön, aus erster Hand mal zu erleben, wie das Leben so für einen Geflüchteten in Dresden ist. Und was sie so mit der Stadt verbinden. Und auch mit ihrer Heimat."
"Ich finde, es hat ja sowieso jeder Ort eine andere Bedeutung für einen Menschen. Und sie verbindet es mit ihrer Heimat. Zum Beispiel die Elbe, wie mit ihrem Fluss, wie sie uns vorhin erzählt hat, mit ihrer Familie. Ja und für mich ist es auch ein Ort, wo ich gern bin mit der Familie."
*Im Bericht hieß es ursprünglich, dass "Querstadtein" eine Agentur sei. "Querstadtein" weist allerdings noch einmal darauf hin, dass sie ein gemeinnütziger Verein seien. Darum wurde es hier geändert.
Mehr zum Thema