Flüchtlinge

Willkommen in Wittstock?

Begleitet von Polizisten marschieren Rechte bei einer Demonstration in Wittstock zu den Wohnungen der Flüchtlinge.
Begleitet von Polizisten marschieren Rechte bei einer Demonstration in Wittstock zu den Wohnungen der Flüchtlinge. © Presseservice Rathenow
Von Gerhard Richter · 08.03.2015
Im letzten Herbst kamen fünfzig Flüchtlinge nach Wittstock im Land Brandenburg. Fünf Familien sind geblieben, darunter drei Familien aus Syrien. Der Krieg hat sie aus ihrer Heimat vertrieben, in der nordbrandenburgischen Kleinstadt hoffen sie auf Schutz und Frieden.
Eine gespannte Stimmung liegt in der Stadthalle Wittstock. Wo sonst die Schüler des Gymnasiums Handball und Basketball spielen, suchen sich an diesem Dezemberabend die Bürger einen Platz in den aufgebauten Stuhlreihen. 250 Wittstocker sind gekommen. Sie alle wollen Informationen zu den Flüchtlingen bekommen, die seit einem Monat in der Stadt sind. Ein heikles Thema. Sogar die Verstärkeranlage scheint nervös, als Waltraud Kuhne zum Mikro greift.
"Ja wir sind heute Abend hier, um sie über das Konzept des Landkreises zur Unterbringung ausländischer Flüchtlinge zu informieren. Ich wird´ jetzt weiter ausholen, weil ich annehme, dass ein paar von Ihnen…" (Ein lautes Krachen)
Waltraud Kuhne ist Dezernentin für Gesundheit und Soziales beim Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Sie musste kurzfristig 335 Flüchtlinge in der dünnbesiedelten Region im Norden Brandenburgs unterbringen. In Wittstock konnte sie knapp 50 Flüchtlinge in einem Bowlingcenter mit Pension einmieten, die meisten sollen aber bald umziehen. Zum Teil in Flüchtlingsheime, einige Familien aber sollen eigene Wohnungen bekommen. Das soll helfen, sie schneller zu integrieren.
"Wir sind allerdings darauf angewiesen, die Menschen vor Ort, in den Städten und Gemeinden, wo die Flüchtlinge leben, sich ehrenamtlich engagieren, ob das Sportvereine sind, oder ob das die Feuerwehr ist, um den Menschen die Eingewöhnung hier bei uns zu erleichtern."
Tatsächlich sind viele der Bürger hier in der Stadthalle auch guten Willens, und sagen das auch.
"Ich bin Herr Thieme aus Wittstock, ich hab auch nichts gegen Flüchtlinge. Wir könnten noch viel mehr aufnehmen, weil in der Kyritzer Straße ist ein Block ziemlich leer, da könnten noch viel mehr Flüchtlinge hin, ich hab damit kein Problem. Danke."
Nicht alle applaudieren bei solchen Willkommensbezeugungen. Links hinten sitzt eine Gruppe junger Männer und Frauen, denen die Integration von Flüchtlingen wenig am Herzen liegt. Ganz im Gegenteil.
Michel Schuhmann: "Wenn hier immer mehr Asylanten herkommen, wer sorgt denn für die Sicherheit für unserer Kinder und Frauen, damit sie mal abends wieder auf die Straße gehen können?"
Die Gruppe links hinten lehnt die Ankunft der Flüchtlinge ab. Die Bürger seien nicht gefragt worden, ob man das überhaupt will. Und dann gäbe es noch ein paar Gerüchte in der Stadt. Man bekomme keine Kindergartenplätze mehr und in dem Viertel, in dem die Flüchtlinge wohnen, seien die Mieten bereits gestiegen. An allem seien die Flüchtlinge schuld. Mit solchen Behauptungen machen die etwa 20 Rechten ausländerfeindliche Stimmung, gegen die dann jemand aufsteht. Andrew Förster ist Bäcker und Kaufmann. Seit drei Jahren lebt er in der 15.000 Einwohner Stadt, die früher viel größer war.
"Ich möchte mal anmerken zu den kritischen Stimmen, die es hier gibt. Wir haben ja in den letzten zwanzig Jahren massiven Abbau hier gehabt. Also viele Leute haben den Landkreis verlassen. Haben Wittstock verlassen. Es gibt die Frage, welche Schule lohnt sich noch. Wir haben die Ausdünnung des öffentlichen Personennahverkehrs, alles begründet mit dem Wegzug von Leuten. Jetzt kommen mal ein paar gut ausgebildete Leute, engagierte Leute, Leute die hier ihre Zukunft suchen. Es kommen junge Leute hierher und das ist für uns einfach eine Chance, und das seh ich total positiv, also von Asylflut kann hier keine Rede sein."
Andrew Förster engagiert sich auch außerhalb der Bürgerversammlung für die Flüchtlinge. Als einer der ersten ist er in das Bowlingcenter zu den Flüchtlingen gegangen und hat ihnen geholfen.
"Die kamen ja plötzlich alle an hier, so Bus hier Flüchtlinge, große Aufregung, was tun, wohin? Und ich hab ein bisschen Zeit und spreche fließend englisch, und kenn mich auch mit arabischer Kultur so ein bisschen aus und türkischer, bin viel gereist und lange in Kreuzberg gewesen, und da hab ich mich berufen gefühlt, zu helfen, so gut es geht. Erstmal zu gucken, hallo, was kann ich tun."
Bürokratische Hürden in Deutschland
Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, Wohnungen zu finden, und den Flüchtlingsfamilien zu helfen, sie zu beziehen. Für jemanden, der fremd ist in Deutschland erscheinen die vielen bürokratischen Schritte dahin unüberwindbar, und das liegt nicht nur an der Sprachbarriere, erzählt Andrew Förster. Damit es schneller geht, hat er einer fünfköpfigen Familie aus Syrien bei den Behördengängen geholfen.
"Jetzt sollen die eine Wohnung haben. Dann gibt’s natürlich eine Wohnbaugesellschaft, die sagt: ´Ja die können sie haben`. Aber da brauch ich erst ne Kostenübernahme vom Sozialamt. Das Sozialamt macht Kostenübernahmen erst in Abstimmung mit der Ausländerbehörde, dann gibt’s den Mietvertrag, dann ist die Wohnung noch nicht im richtig renovierten Zustand. Und wenn man den Vorgang dann versteht, kann man das besser hinnehmen, wenn man das nicht versteht, fühlt man sich sehr hilflos und ausgeliefert, und genau da konnte ich ansetzen, und das war für die Familie eine große Hilfe letztendlich. Ein Halt."
Nach ein paar Wochen ist es geschafft. Die syrische Familie zieht von der Pension über der Bowlingbahn in eine eigene Wohnung in einer modernen Neubausiedlung am Rande Wittstocks. Im geräumigen Treppenhaus stehen Fahrräder und Rollatoren. Vom dritten Stock haben sie einen weiten Blick auf Wald und Felder. Tische und Stühle bekommen sie günstig in der Gebrauchtmöbelbörse, genauso Töpfe, Teller und Toaster. Mit Sofas und Sesseln wird die Wohnung schnell gemütlich für die beiden Syrer mit ihren drei Kindern. Wenn sie den neuen Nachbarn begegnen, werden sie freundlich begrüßt, erzählt Hamil:
"Wir haben bis jetzt nur nette Leute getroffen, hilfsbereite Leute. Sie kommen an unserer Wohnung vorbei und wollen bei allem helfen. Was auch immer das sein kann. Sie wollen uns was geben, oder die Hand schütteln oder irgendwas anderes."
Hamil ist Ingenieur, er trägt sein kariertes Hemdlässig über der Jeans. Ein freundlicher bedächtiger Typ. Er hat zuletzt in Dubai gearbeitet für eine deutsche Logistik-Firma. Sein Visum dort ist abgelaufen und nach Syrien konnte er wegen des Bürgerkriegs nicht zurück. Also haben sie sich entschieden nach Deutschland zu kommen. Er, seine Frau und seine drei Kinder. Mit den Kindern geht Andrew Förster an die Schulen, sorgt dafür, dass sie schnell eingeschult werden. Er ebnet Wege, öffnet Türen, und hilft ihnen, wo er kann. Zum Beispiel sucht er mit ihnen in den Einkaufsmärkten nach typisch arabischen Lebensmitteln, wie Kreuzkümmel, Kichererbsen und Okraschoten.
"Diese Nahrungsmittel bekommt man gar nicht in Wittstock, das heißt, ich fahr mit der Familie nach Berlin, kauf das Fleisch, das sie essen Halal geschlachtet und blablabla und dann kochen wir hier gemeinsam, das ist auch eine Art von Willkommenskultur, fand ich. Und das war auch ganz nett. War schön."
Die Familie kommt langsam in den eigenen vier Wänden an. Alltag stellt sich ein. Die beiden anderen syrischen Familien wohnen ganz in der Nähe. Sie kommen zwar aus unterschiedlichen syrischen Städten, aber sie teilen Schicksal und Sprache. Das verbindet. Deshalb besuchen sie sich oft. Die Kinder spielen dann zusammen, die Eltern trinken Tee und reden. Wie auch Tamin, sein neuer Nachbar, ein gelernter Konditor, hatte Hamil große Hoffnungen in die anfangs noch friedliche Revolution in seiner Heimat gesetzt:
"Die Leute haben ohne Waffen in den Straßen demonstriert. Es war noch ungefährlich. In ihren Händen hatten sie Blumen und Olivenzweige. Die haben sie von den Bäumen geschnitten, das ist in Syrien ein Symbol für Frieden."
Hamil sitzt in seiner neuen Wohnung auf dem Sofa. Draußen scheint die Sonne auf die verschlafene Wittstocker Siedlung. Hamil sucht auf seinem Handy nach einem Foto seiner alten Wohnung in seiner syrischen Heimatstadt.
"Actually nothing left there. Mostly it is totally bombed and knocked down."
Ein neues Zuhause in Wittstock
Schnell findet er das Bild, ein modernes vierstöckiges Beton-Gebäude. Das Zuhause von Hamils Familie ist eine Ruine. Keine Fenster, keine Wände, man kann von vorn bis hinten durchgucken.
"Das war vor mehr als zwei Jahren. Mein Neffe war dort. Er hat für die Opposition gearbeitet. Er hat Fotos gemacht und auf Facebook gepostet. Er hat sich geweigert, aus seiner Stadt wegzugehen. Also hat er alles fotografiert, ich hab auch Videos bekommen. Von anderen Wohnungen, die meiner Eltern, meiner Geschwister, meiner Freunde."
Hamil zeigt noch mehr Bilder von Darya, die Stadt bei Damaskus ist ein Trümmerfeld, eine einzige Ruinenlandschaft. Von den 250.000 Menschen sind fast alle geflohen. Mit einer Fingerbewegung wischt Hamil das Bild seiner verwüsteten Geburtsstadt vom Handydisplay. Das Telefon ist jetzt das Stück Heimat, das ihm noch geblieben ist, hier hat er die Telefonnummern seiner Familie gespeichert. Seine Eltern und seine Schwester sind in Jordanien, ein Bruder ist im Libanon, einer in Ägypten. Ein weiterer Bruder ist in einem syrischen Gefängnis eingesperrt und könnte jederzeit von den Schergen Assads umgebracht werden.
Deshalb will er seinen echten Namen nicht im Radio erwähnen. Wir nennen ihn aus diesem Grund Hamil. In Deutschland fühlen sich Hamil und Tamin einigermaßen sicher vor dem langen Arm des Geheimdienstes. Deutschland, sagt Tamins Frau Hanan, sei weit genug weg. Sie ist Architektin und hat in Syrien an einer Universität gelehrt. Hanan trägt eine weiße Strickjacke, einen modischen blauen Rock und dazu passend ein Kopftuch. Sie lächelt oft.
"Wenn ich mich hier nicht gut und sicher fühlen würde, wäre ich nicht gekommen. Ich bin in dieses Land gekommen, weil ich das Gefühl hatte, meine Kinder sind hier sicher. Deswegen bin ich in diesem Land."
Damit dieses Land auch weiter sicher für Hanan, Tamin, Hamil und deren Kinder bleibt, gehen ein paar Tage später andere auf die Straße. Auf dem kleinen Platz vor der katholischen Kirche singen fünfzig Gläubige gegen die Kälte an. Das Bündnis "Wittstock bekennt Farbe" hat zu einem Freiluft Gottesdienst eingeladen. Im schwarzen Talar stehen die Geistlichen der Wittstocker Gemeinden vereint in einem Anliegen. Pfarrer Markus Seefeld fasst es in Worte.
"Darum sind wir zusammen: Um an diese Menschen zu denken. Und einzutreten für eine offene Gesellschaft. Für eine Gesellschaft, die einfach da ist für andere Menschen. Die unter Not und aus Angst vor Terror flüchten mussten. Und sich auf den Weg gemacht hat, und in den verschiedenen Ländern versucht, Unterkunft zu finden, und Frieden und Ruhe."
Fackelzug gegen die herrschende Asylpolitik
Direkt neben den Gläubigen stehen dutzende Polizisten, sie tragen dunkelblaue Uniformen. Am Gürtel baumeln, Pistole, Helm und Schlagstock. Sie sichern den Weg für einen Fackelzug gegen die herrschende Asylpolitik, der gleich hier vorbeikommen wird. Während sich Neonazis, Rechte und ihre Sympathisanten zweihundert Meter weiter am Bahnhof sammeln, erzählt Pfarrer Seefeld von den kleinen Wundern, die er in den letzten Tagen und Wochen mit den Flüchtlingen und den Wittstockern erlebt hat.
"Säcke voller Schuhe für große und für kleine Füße wurden gesammelt, Säcke voller Kleidung und die Kinder, die beispielsweise angekommen sind, und teilweise mit Badelatschen aus dem Bus gestiegen sind, haben Schuhe bekommen. Und für mich ist das wirklich ein kleines Wunder, was da passiert ist, dass einfach viele Menschen da waren. Dazu sind wir hier, um das zu pflegen. Und um einzuschreiten für eine Kultur des Mitgefühls. Des Mitgefühls zu Mitmenschen, die es schwer haben auf dieser Welt."
Pfarrer Markus Seefeld und Pfarrer Björn Borrmann singen und beten beim Freiluftgottesdienst.
Pfarrer Markus Seefeld und Pfarrer Björn Borrmann singen und beten beim Freiluftgottesdienst.© Presseservice Rathenow
Eigentlich wollen die Gläubigen den Fackelzug blockieren, aber die Polizei hält mit einer dichten Reihe von Beamten die Straße frei, drängt die Gläubigen auf den kleinen Kirchhof. Markus Seefeld und den Gegendemonstranten bleibt nichts anderes übrig, als lauter zu singen und eine Glocke zu schwingen, aber mit frommem Gesang und Protestrufen lassen sich die 150 Rechtsradikalen nicht aufhalten.
Pfarrer Björn Borrmann kann nur noch ein Gebet hinter her sprechen:
"O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Dass ich Liebe übe, wo man sich hasst. Dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert."
Lichter haben auch die anderen angezündet. Vier Fackeln wurden ihnen von der Versammlungsbehörde genehmigt, damit ziehen sie durch die Stadt. Mit Transparenten und einem Lautsprecherwagen marschieren sie direkt zu den Wohnungen der Flüchtlinge. Schwarze Fahnen mit Ortsnamen in altdeutscher Schrift zeigen, dass sie aus ganz Brandenburg angereist sind, um hier in Wittstock ihren Unmut über Ausländer hinaus zu brüllen. Auch Frauen mit Kinderwagen laufen mit. Begleitet und geschützt wird die freie Äußerung dieser Meinung von vierhundert Polizisten, die die Demonstranten ins Spalier genommen haben. Polizeisprecher Thoralf Reinhard wirkt ruhig, gelassen, angesichts der Übermacht seiner Beamten.
"Die Strecke tangiert möglicherweise mehrere Unterkünfte von Flüchtlingen, die bereits hier untergebracht sind. Wir haben hier entsprechend Sicherheitsmaßnahmen getroffen und werden die Sicherheit garantieren."
In straffem Tempo marschieren die Demonstranten die zwei Kilometer bis zur Siedlung, in der die syrischen Flüchtlinge wohnen. Sie wissen genau, wohin sie wollen. Unter den Fenstern der Flüchtlingswohnungen rufen sie lauter. Es ist dunkel geworden und im spärlichen Licht der vier genehmigten Fackeln, gruppieren sie sich um den Lautsprecherwagen und halten eine Kundgebung ab. In Hörweite der syrischen Familien.
"Wir sind Deutsche. Deutsche, die sich bewusst sind, zusammen zu gehören. Vor allem aber sind wir uns alle gemeinsam bewusst, wer hier nicht hergehört. Wir haben uns heute hier in Wittstock alle zusammengefunden, weil wir gemeinsam ein Licht tragen wollen. Ein Licht gegen die Überfremdung unseres Landes."
Das deutsche Volk, betont der Redner mehrmals, sei in seiner Existenz bedroht. Und schuld daran seien die vielen Ausländer. Solange es aber noch einen Tropfen deutschen Blutes auf der Welt gebe, dürfe man sich nicht geschlagen geben.
"…es ist nicht nur unser gegebenes Recht, sondern auch unsere verdammte Pflicht, uns gegen die Vernichtung unseres Deutschen Volkes zur Wehr zu setzen."
"Jawoll!""
Zehn Minuten dauert die martialische Rede, dann formiert sich der Fackelzug wieder und marschiert zurück zum Bahnhof. Lautstark aber friedlich und wiederum gesäumt von zwei dichten Reihen Polizisten. Gesperrte Straßen werden freigegeben, die bereitstehenden Rettungswagen fahren zurück. Der Polizeisprecher gibt am Abend noch eine Meldung über den erfolgreichen Einsatz heraus. Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit sei auftragsgemäß geschützt worden. Wittstock kehrt wieder in den Normalzustand zurück. Bei Hamil, dem syrischen Familienvater hat der Aufmarsch jedoch Spuren hinterlassen.
Mit den Ängsten anderer umgehen
"Der Eindruck ist in unserem Herzen oder unserem Kopf, dass ein paar Leute uns wirklich hassen. Wir haben das verstanden. Wenn du nicht bei allen Willkommen bist, dann gibt dir das zu denken."
Der abendliche Fackelzug ist noch Tage später Gesprächsthema bei den drei syrischen Familien. Alle haben es gesehen, auch die Kinder. Sie toben fröhlich durchs Wohnzimmer. Zum Glück haben sie nichts davon verstanden, sagt Tamin:
Tamin: "Meine Kinder haben zugeschaut, aber sie wissen nicht, was das bedeutet. Ich hab´s ihnen nicht gesagt. Sie sagten, das ist wie in Syrien, eine Demonstration. Ja genau, hab ich gesagt. Wofür sind sie? hat meine Tochter gefragt. Sie wollen, dass die Regierung was tut, hab ich gesagt, da hat sie gelacht, ja das ist ok."
Hanan, die Architektin mit Kopftuch und den wachen dunklen Augen, rührt in ihrem Tee und hört zu.
Hanan: "Ich glaube, die Leute die auf der Straße waren, haben gesagt, was sie fühlten. Das ist ihr freies Recht, aber nicht gefährlich, finde ich."
Für Hamils und Tamins Familien ist das, was sie gerade in Wittstock erleben eine neue Erfahrung in Deutschland, mit den Deutschen. Sie haben von Pegida gehört, und den ausländerfeindlichen Parolen. Ängste gegenüber Fremden finden sie normal. Das würde es auch in Syrien geben. Von Nazis hatten sie auch schon gehört, man hatte sie vor ihnen gewarnt, aber so richtig ernst hatten sie das Thema bisher nicht genommen. Der Aufmarsch der Rechten in Wittstock vor ihren Wohnungen hat ihr Bild von Deutschland verändert. Jetzt wissen sie, dass es auch hier Extremisten gibt. Die Reaktionen der Wittstocker haben sie wieder ein wenig beruhigt.
Hamil: "Die Leute haben sich dafür entschuldigt. Unseren Kindern in der Schule haben sie gesagt, sagt euern Eltern, es tut uns leid, was da auf der Straße passiert ist. Da haben wir verstanden, dass die Deutschen das auch nicht mögen."
Für Hamil und die anderen ist das Thema erledigt. Sie wollen das so schnell wie möglich abhaken, den Kopf freibekommen. Keine Angst zu haben, das haben sie sich regelrecht vorgenommen. Zumal es andere erfreulichere Dinge gibt. Laila hat in der ersten Klasse ein Lied gelernt, auf Deutsch. Stolz singt sie allen vor.
Aufrechte Bürger
Für Pfarrer Markus Seefeld und das Bündnis "Wittstock bekennt Farbe" dagegen ist der Fackelzug der Rechten keineswegs abgehakt. Zur nächsten Sitzung im Gemeinderaum der evangelischen Kirche sind zehn aufrechte engagierte Bürger gekommen. Auf dem Tisch stehen Tee, Kaffee und Kekse. Auf der Tagesordnung: die Auswertung der Proteste und Strategien für die Zukunft. Alle sind sich mit Pfarrer Markus Seefeld einig, dass die Route der jüngsten Rechten-Demo mehr als unglücklich war.
"Ich empfinde da schon so einen Angriff auf die Personen, die da leben. Wenn man mit dem Fackelzug da hingeht und gegen eine sogenannte Flüchtlingsflut oder Asylflut demonstriert oder protestiert, und man geht dann direkt vor die Wohnungen. Und da haben wir hier große Sorge sozusagen."
Alle nicken. Und sorgen sich, dass jetzt alle Teilnehmer des Fackelmarsches wüssten, wo die Flüchtlinge wohnen. Auch die Rechten von außerhalb. Und wer weiß, vielleicht wirft ja mal einer die Fackel, die da schon gebrannt hat. Regelmäßiger Gast des Bündnisses "Wittstock bekennt Farbe" ist Nico Scuteri. Er arbeitet für das mobile Beratungsteam und kennt die rechte Szene in Brandenburg. Er deutet den Aufmarsch der Rechten nicht als Angriff auf die Familien der Flüchtlinge:
"Als Fackelzug, auch wenn nur wenige Fackeln da waren, ist der für mich so zu bewerten, dass der sich nicht an die allgemeine Bevölkerung an sich in erster Linie wandte, sondern an die eigene rechtsextreme Szene, um die sozusagen zu mobilisieren und einzuschwören."
Tatsächlich sind die Fotos von der Demo auf den Facebookseiten der Rechtsradikalen von Wittstock aufgetaucht. Die Gruppe in Wittstock ist etwa 40 Mann stark und nennt sich "freie Kräfte Ost" oder "autonome Nationalisten". Es gibt auch eine "Terrorcrew Weiße Wölfe", von der niemand weiß, wie gefährlich sie ist.
"Also diese Personen sind gewalttätig, und die Gewalt kann sich nach außen richten, gegen die politischen Feinde, aber sie spielt auch innerhalb der rechtsextremen Szene selber und im freundschaftlichen und familiären Umfeld eine Rolle."
Wittstock hat schon einiges an rechter Gewalt erlebt. 2002 warf ein 16-Jähriger aus Fremdenhass einen Brandsatz in einen Dönerimbiss. Ausländer wurden verfolgt und geschlagen, die Gedenkstätte für den Todesmarsch angezündet, Gedenktafeln beschmiert und Nazi-Kameradschaften gegründet. Erst das harte Durchgreifen von Polizei und Justiz und die starke Präsenz hat den Machtanspruch der Rechten in Wittstock gebrochen. Die schlimmsten Fälle liegen zehn Jahre zurück, aber das aktuelle politische Klima könnte eine neue Welle von Übergriffen auslösen, fürchtet Nico Scuteri:
"Durch dieses neue – neu ist es vielleicht nicht – wiederkehrende Qualität, und auch dem Thema, also Migration, Überfremdung, wie sie selber sagen und die steigenden Asylbewerberzahlen, besteht die Gefahr, das sich wieder mehr rechtsextreme Gewalt nach außen gegen vermeintliche Feinde richtet."
Zukünftige Strategie
Nach zwei Stunden Sitzung sind die Tee- und Kaffeekannen leer, die Kekse alle. Das Bündnis !Wittstock bekennt Farbe" ist sich einig über die künftige Strategie. Zum einen sollen die Flüchtlinge weiter im Alltag begleitet werden, sagt Pfarrer Markus Seefeld.
"Und das andere wird sein, dass wir wachsamer sein werden, wieder hier in Wittstock. Also für mich ist immer wichtig, diese Willkommenskultur zu leben. Und auch da ein positives Zeichen zu setzen. Also nicht nur auf das negative zu schauen, irgendwie, dass Rechtsextreme demonstrieren, sondern dass wir auch was Positives setzen."
Positiv denken auch Hamil, Tamin und Hanan. Sie alle haben einen Sprachkurs begonnen. Wenn Sie ihre Kinder früh zur Schule gebracht haben, steigen sie in die Regionalbahn, fahren eine halbe Stunde nach Neuruppin, und gehen noch mal zehn Minuten zu einem Neubau im Gewerbegebiet. Hier setzen sie sich neben Serben, Mazedonier, Georgier, Tschetschenen, Ägypter und Malayen und lassen sich von Lehrer Albert Höllwarth Deutsch beibringen:
"Woher bist du? Woher kommen Sie? Woher sind sie? Alles möglich. Aber: Merken wir uns: Woher kommen Sie? Antwort – na Sie?"
Hanan: "Ich komme aus Syria."
Höllwarth: "Nein, Syrien, Syrien."
So geht das montags bis freitags von 9 bis 13.30 Uhr. Höllwarth spricht fast nur Deutsch mit seinen Schülern, die nicken zwar und lächeln, schreiben sich auch immer mal was auf, aber anfangs verstehen sie kaum etwas. Auch Hanan tut sich schwer, dem Unterricht zu folgen.
"Weil wir noch am Anfang sind, soll der Lehrer langsam sprechen, wir können nichts verstehen, wenn jemand schnell spricht."
Ein paar Worte hat sie sich schon gemerkt. Und in ihrer Wittstocker Wohnung hat sie Zettel an Türen und Schränke geheftet, mit deutschen Vokabeln. Vor allem die langen Worte gehen schwer über die Zunge, sowas wie "Staatsangehörigkeit" Ganz mühelos Deutsch lernt die jüngste Tochter, nach drei Monaten in der ersten Klasse spricht sie fast akzentfrei.
"Ich heiße Leila, ich komme aus Syrien, ich wohne in Wittstock."
Tamin: "Wenn meine Frau Probleme mit der Aussprache hat, dann fragt sie Leila. Wie sagt man das? Sie sagt dann nein, das spricht man so aus. Sie ist ziemlich gut."
Wie ein Schwamm würde sie alles aufsaugen, sagt Tamin. Er bittet sie, ihr Zeugnis zu holen. Stolz zeigt Leila ihre Beurteilungen, Noten gibt es in der ersten Klasse noch nicht, aber das Zeugnis ist voller Smileys, das heißt alles Gut. Besonders in Deutsch und Mathe. Aber es gibt auch eine sehr traurige Nachricht aus der alten Heimat, aus Syrien. Hamils Bruder ist tot, er wurde im Gefängnis ermordet. Hamil zeigt auf seinem Handy eines der letzten Fotos von ihm. Der fröhliche junge Mann, ein weiteres Opfer des Assad Regimes. Hamil ringt um Worte, schüttelt traurig den Kopf.
"Sie haben alle getötet. Und sie töten weiter. Das hört nicht auf."
Sein Leben aber geht weiter. In Wittstock, Brandenburg. Ein paar Tage später ist Hamil unterwegs durch die Stadt, begleitet von seinen drei Kindern. Er will sein Handyguthaben aufladen. Aber vorher geht er mit seinen Kindern in die Bibliothek.
Für die Schule brauchen sie Informationen und ein paar Ausdrucke. Hamils jüngste Tochter soll ein Plakat machen, mit Rezepten und Gerichten aus ihrer Heimat. Dazu soll sie einen Vortrag halten, über die Schulen in Syrien. Gemeinsam suchen sie im Internet. Bei Google finden sie dutzende farbenfrohe Bilder mit arabischen Leckereien, aber als sie nach Schulen suchen, zeigen die Hälfte der Bilder zerschossene Klassenräume und Ruinen. Und binnen Sekunden ist der Krieg wieder da. Hamil setzt sich an einen anderen Computer und sucht nach aktuellen Meldungen aus Syrien.
Auf youtube wimmelt es von Videos aus Hamils umkämpfter Heimatstadt. Syrer feuern mit einfachen Gewehren auf Kampfflugzeuge der Regierung, Häuser explodieren, Rauchwolken quellen aus Ruinen. Die kleinen Lautsprecher des Wittstocker Bibliotheks-Computers scheppern im fernen Kriegsgedröhn. Wie hypnotisiert starrt Hamil auf den Bildschirm. Niemand weiß, wann es Frieden gibt, und selbst wenn es passiert, kann er sich nicht vorstellen zurückzukehren.
Der Journalist Gerhard Richter
Gerhard Richter, der Autor der Reportage© Privat
"Alles wäre verändert. Ich wäre ein Fremder in meinem eigenen Land. Auch in zehn oder zwanzig Jahren, sehe ich mich dort als Fremden."
Seine Kinder haben ihre Bilder ausgedruckt. Volle Teller mit exotischen Gerichten und intakte Schulen. Die Hausaufgaben für den nächsten Schultag. Hamils Familie richtet sich in Wittstock ein, in einer Kleinstadt, in der viele Menschen still helfen, und ein paar wenige lautstark Stimmung gegen sie machen.
Hamil: "Ja, hier haben wir unser neues zu Hause und ich hoffe man akzeptiert uns für eine lange Zeit."
Mehr zum Thema