Flüchtlinge in Niedersachsen

Als Bittsteller Bürger zweiter Klasse

Ein Flüchtling begutachtet am 11.12.2014 in Hannover Winterkleidung in einem Zelt eines provisorischen Flüchtlingscamps.
Ein Flüchtling im provisorischen Flüchtlingscamp in Hannover, in dem sudanesische Flüchtlinge für ein Bleiberecht in Deutschland demonstrieren. © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Alexander Budde · 05.01.2015
In Hannover demonstrieren seit Mai letzten Jahres sudanesische Flüchtlinge in einem Protestcamp für ein Bleiberecht in Deutschland. Darunter sind ein Arzt und ein Laborwissenschaftler - sie leiden unter den Asylbedingungen und mischen sich ein in die Politik.
Sie wollen den Hooligans keinen Raum lassen. "Bunt statt Braun": Unter diesem Motto haben Gewerkschaften, Kirchen, die Fraktionen des Landtags zum bürgerlichen Protest aufgerufen. Mit dabei im November vorigen Jahres ist auch Politprominenz wie Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen.
"Da geht´s ja nicht um Salafismus, den sogenannten Hooligans, sondern, das ist eine rechtsextreme, rassistische, islamophobe Truppe, die sich ein Thema gesucht hat – und da sollen wir ganz klar die rote Karte zeigen!"
Am Ende öden sich 3000 Hooligans auf dem ihnen zugewiesenen Versammlungsplatz, dem auch zu gewöhnlichen Zeiten kaum belebten Zentralen Omnibusbahnhof von Hannover.
Mohamed Tag Elsir Hassan Ali schaut hinüber zu den eingepferchten Hooligans. Sie recken zornig ihre Fäuste. Viele tragen Vollglatzen unter schwarzen Kutten. Und – es ist ein Rätsel – Sonnenbrillen im fahlen Winterlicht.
Tag, der Sprecher der Sudanesen vom Weißekreuzplatz, wendet sich zur Linken. Flankiert von einer Phalanx aus Uniformierten naht der Protestzug aus der Innenstadt. Rote Fahnen flattern im Wind, lautstarke Hitzköpfe schwenken Che-Guevara-Poster, offensichtlich auf Krawall gebürstet. Doch im Flüchtlingscamp ist die Freude groß:
"Das Volk gegen die Hooligans! Ich sage mal, wir sehen hier das Antlitz des besseren Deutschlands …"
… triumphiert Tag – und der Sudanese stimmt in den Schlachtruf seiner Gefährten ein: "Kein Mensch ist illegal!"
Polizisten in Kampfmontur schützen das kleine Camp von rund 80 sudanesischen Flüchtlingen, das an diesem Samstag im November genau zwischen den Fronten liegt.
Bislang wenige Sudanesen als Flüchtlinge anerkannt
Tag, 43 Jahre, gebürtig aus Khartoum, ein erfahrener Wirbelsäulenchirurg mit internationalen Kontakten, fühlt sich in seiner Zuflucht dennoch nicht sicher. In ihren Zelten in Hannover wollen die Sudanesen auf die Situation in ihrem von Despotie und Bürgerkrieg zerrissenen Heimatland aufmerksam machen. Nach ihrer Ansicht verschließen die deutschen Behörden im Asylverfahren die Augen vor der Willkürherrschaft und der latenten Gewalt im Sudan, weshalb bislang nur wenige Sudanesen als Flüchtlinge anerkannt wurden. Der Bunderegierung wirft der streitbare Flüchtling Tag vor, sie pflege mit den Machthabern im Sudan Kontakte, dabei habe doch der Internationale Gerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Präsident Omar al Bashir wegen Verdacht auf Völkermord ausgestellt.
Wochen später treffen wir ihn wieder. Zum Interview in einem benachbarten Szene-Café hat Doktor Tag einen Kampfgefährten aus dem Camp mitgebracht, Maissara Saeed. Seit sieben Monaten harren sie nun schon in ihrem Zeltlager aus, sagt der 41-jährige Laborwissenschaftler. Er trägt ein müdes Lächeln im Gesicht. Anwohner am Weißekreuzplatz und weitere Unterstützer aus ganz Deutschland haben warme Kleidung, Decken, Geld gespendet.
"Wir erfahren viel Zuspruch. Die Leute kochen für uns, sie laden uns zum Essen ein. Viele Helfer haben Tränen in den Augen, wenn sie uns hier in Wind und Kälte sitzen sehen. Die Polizei verbietet uns, das Camp zu beheizen, es winterfest zu machen. Unser Protest wird aber weitergehen!"
Die Stadt Hannover argumentiert, das Zeltlager sei zwar bislang als dauerhafte Kundgebung toleriert worden, zum Wohnen dürften sich die Protestierenden dort aber nicht einrichten. Immerhin hätten ja alle Beteiligten eine feste Unterkunft in einem städtischen Flüchtlingsquartier.
"Das ist eine politische Entscheidung. Sie wollen uns zermürben, vielleicht sogar einen Konflikt provozieren, der ihnen dann als Vorwand für eine gewaltsame Räumung dient. Sie glauben, wir sind schwach, aber wir wissen das Recht auf unserer Seite!"
Sagt Saeed, eine dampfende Tasse Kaffee vor der Nase. Vor vier Jahren hat er sich aus der Krisenregion Darfur über Ägypten bis nach Deutschland durchgeschlagen. Mittlerweile hat er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Doch der Weg dorthin, sagt Saeed, führte ihn durch das kalte Herz der Bürokratie.
Maissara Saeed: "Die Haltung der Bundesregierung, auch des Bundesamtes, ist ganz klar: Ihr seid hier nicht willkommen!"
Nicht zu arbeiten als eine Art von Folter
Mohamed Tag Elsir Hassan Ali: "In Braunschweig habe ich meinen Asylantrag gestellt. Nach anderthalb Monaten Wartezeit wurde ich dann zu einer persönlichen Anhörung zitiert. Mir kam sie vor wie ein Polizeiverhör. Flüchtlinge nehmen gefährliche Routen in Kauf, lassen sich auf Schlepper ein, die Korruption ist allgegenwärtig. Doch mein Eindruck war, die Entscheider glauben einem kein Wort, fordern stattdessen immer neue Beweise. Die Leute im Bundesamt wissen wenig über andere Kulturen, die Ursachen von Konflikten. Die sind gar nicht qualifiziert!"
Tag, der Orthopäde, kämpft noch um sein Aufenthaltsrecht. Ärzte wie ihn, sagt er, beobachten die Machthaber in Khartoum mit Argusaugen. Tag sagt, er habe Aktivisten der Opposition medizinisch versorgt. Auf einem Fachkongress in München sei er von einem Kollegen gewarnt worden, die Rückkehr in den Sudan würde ihn das Leben kosten.
Als Asylbewerber darf der gefragt Spezialist in Deutschland nicht arbeiten. Ein Zustand, den er als Folter empfindet. Um sich zu wehren, sucht Tag die politische Bühne. Er ist den Grünen beigetreten, und nicht allein – auch Saeed und acht weitere sudanesische Flüchtlinge sind mittlerweile nicht stimmberechtigte Mitglieder im Regionalverband der Partei. Saeed sagt, er wolle mehr als nur eine Nummer unter all den Geduldeten sein.
"Im Grunde ist der Konflikt nicht politisch, sondern sozial. Die Europäer sorgen sich um ihren Wohlstand. Und ihre Politiker machen immer neue Gesetze, die uns Flüchtlinge abwehren sollen. Der Flüchtling darf sich nicht bewegen, er darf nicht arbeiten. Wie soll ich da Teil der Gesellschaft werden? Tag ist Arzt, ich selbst kenne mich im Labor aus. Es ist idiotisch, Menschen, die sich selbst versorgen könnten, in Abhängigkeit zu halten! Als ewige Bittsteller sind wir Bürger zweiter Klasse! Die Verfassung sagt, die Würde des Menschen sei unantastbar. Aber das stimmt nicht: Die Würde der Deutschen ist unantastbar!"
Tag rührt in seinem Kaffee und nickt zustimmend. Selbst die CDU habe eingesehen, dass sie mit harter Asylpolitik mehr Wähler vergrault als gewinnt, bemerkt er, zumal das Land auf große demographische Verwerfungen zusteuert, die Wirtschaft in aller Welt händeringend um die dringend benötigten Fachkräfte wirbt.
Der Flüchtling begrüßt die klaren Worte, mit denen sich Bundeskanzlerin Merkel von der rechtspopulistischen Welle im Land distanziert hat. Doch die Veranstalter antimuslimischer Demonstrationen namens Pegida finden immer mehr Zulauf. Auch die AfD warnt recht erfolgreich vor der Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme. Tag fürchtet, dass die Stimmung im Lande kippen, dass mit stark steigenden Flüchtlingszahlen auch wieder die Aversion gegen Flüchtlinge hochkochen könnte.
"Immer mehr Leute gehen zu diesen Kundgebungen. Ich hoffe, dass wird hier nicht zum großen Konflikt, der die kommenden Jahre beherrscht. Politiker sollten doch über Generationen hinweg denken. Deutschland ist ein starkes Land. Aber mit dieser Politik der Ausgrenzung, kann es kein gutes Ende nehmen!"
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