Flüchtlinge in der Mainzer Fastnacht

Integration ins närrische Treiben

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Die "Schwellköpp" dürften nicht das einzige Element der Mainzer Fastnacht sein, das auf Flüchtlinge etwas befremdlich wirkt © Fredrik von Erichsen dpa/lrs
Von Anke Petermann · 02.02.2016
Schon für viele Norddeutsche sind die Fastnachtsbräuche vom Rhein schwer nachvollziehbar - wie muss es dann erst Flüchtlingen gehen? In Mainz helfen Polizei und Fastnachtsvereine mit Schunkelkurs, Rucki-Zucki und Infoflyern.
Lektion Nummer eins: Klatschen, Hände wedeln, Kniebeugen - Rucki-Zucki – "der neuste Tanz" klappt schon ganz gut in der Mainzer Gemeinschaftsunterkunft Zwerchallee. Dort bereitet der Närrische Überwachungsverein, kurz NÜV, Flüchtlinge schonend auf die anstehende Eskalation der fünften Jahreszeit vor.
Fastnachts-Training mit bunten Hütchen und Luftschlangen
Die tollen Tage also, in denen erwachsene Deutsche kollektiv infantil werden, sich seltsam anziehen und unter Alkoholeinfluss zuweilen die Contenance verlieren. Bei der Polonäse zum Narhalla-Marsch schauen die Fastnachtsneulinge noch leicht befremdet zu. Beim Schunkelkurs aber legen sie sich schon ins Zeug, inzwischen ritusgetreu ausgestattet mit Luftschlangen um den Hals, bunten spitzen Hütchen auf dem Kopf und beim Nachbarn untergehakt
"Helo, helo, helo"
Die Armbewegung der syrischen Fastnachterin ist schon perfekt, am närrischen Helau noch ein wenig zu arbeiten. Der Trainingstermin ist für die meisten schon klar, so die Arabisch-Übersetzerin:
"Sie werden definitiv zu dem Umzug gehen und da auch mitmachen."
Feiern ohne anzuecken
Der Rosenmontagsumzug in Mainz mit einer halben Million Besucher. Das kann sich kein Flüchtling vorstellen, der noch nicht dabei war. 2016 dürfte das Publikum noch internationaler sein als üblich. Weshalb neben den Fastnachtsvereinen auch die Polizei in Flüchtlingsunterkünften darüber aufklärt, wie sich feiern lässt, ohne anzuecken. Eine der Botschaften birgt Wiederholungsstoff auch für einheimische männliche Narren: nicht irritieren lassen von Krankenschwestern in knappen Mini-Röckchen und Hexen mit tiefem Dekolletee. "Freizügige Kleidung und fröhliches Feiern sind keine Aufforderung zu Intimitäten", erläutert erst ein Beamter, dann ein Arabisch-Übersetzer.
"Eine Frau kann jederzeit Nein sagen, wenn sie etwas nicht möchte, wie anfassen oder ansprechen, und das muss akzeptiert werden."
Für Frauen sind polizeilich bewachte Rückzugsräume eingerichtet
Die Übergriffe auf Frauen an Silvester haben Öffentlichkeit und Polizei sensibilisiert. Sechs polizeilich bewachte Rückzugsräume für Frauen gibt es an Rosenmontag in Mainz. Mobile Eingreiftruppen sind ansprechbar – immer, betont der Einsatzleiter. Flüchtlinge über seltsame Bräuche zu informieren, ohne sie unter Generalverdacht zu nehmen, ist der Spagat, den die Ordnungshüter vollführen müssen. Der Mainzer Polizeipräsident Reiner Hamm:
"Die erste Botschaft ist, es ist ein Volksfest, nehmen Sie daran teil. Aber es gehört dazu, dass wir auch über die Konsequenzen informieren", wenn Regeln verletzt werden. Straftaten zu begehen, "kann direkte Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus in Deutschland haben", stellt die Polizei klar. Und: "Täter riskieren das Gastrecht!" Nicht zu viel trinken, weil "Alkohol aggressiv machen kann", so ein Tipp zur Vorbeugung im Infoflyer, Auflage 16.000. Narren witzeln derweil, am Grad der Trunkenheit von Flüchtlingen könne man messen, wie integriert sie schon seien.
Zu viele Militäruniformen für Kriegsflüchtlinge?
Hans-Peter Betz alias "Guddi Gutenberg", Protagonist der politischen Fastnacht, ergreift unterdessen Partei, pro Flüchtlinge, contra Pegida und Co.
"Alle diese Typen wollen die Errettung des christlichen Abendlandes. Und sie tragen schwarz-rot-goldene Keuz vor sich her. Und an Weihnachten haben sie alle eine Krippe unterm Bäumchen. Aber in einer Krippe, da sind doch Juden, Araber, Flüchtlinge, das ist sogar'n ganz schwarzer Schwarzer dabei. Die müssen alle raus? Wer bleibt denn da übrig? Die, die Pegida hinterherlaufen: Ochsen und Esel." (Lachen, Applaus)
Viele Asylsuchende fliehen vor Militär-Schergen in der Heimat. Ablachen über die militarisierte Obrigkeit gehört zum historischen Ursprung der närrischen Sitten, die damit zur Völkerverständigung durchaus taugt. Allerdings hat so mancher Gardist, der mit heiligem Ernst die Goldknöpfe seiner Uniform poliert, den subversiv-ironischen Unterton der Fastnacht vergessen. Insofern haben auch Einheimische noch Nachholbedarf in Brauchtumskunde.
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