Flüchtige Momente des Glücks

Rezensiert von Michael Opitz |
Theodor Kramer hat bis zu seinem Tod 1958 12.000 Gedichte geschrieben, trotzdem blieb er als Lyriker weitgehend unbekannt. In den jetzt erschienen Liebesgedichten erweist sich Kramer als wehmütiger Melancholiker, der Momente des Glücks beschreibt, indem er an ihre Flüchtigkeit erinnert.
In dem als erweiterte Neuausgabe erschienenen Band mit Liebesgedichten von Theodor Kramer finden sich 35 neue Gedichte des 1897 in Österreich geborenen jüdischen Autors, von dem Thomas Mann sagte, er wäre einer der "größten Dichter der jüngeren Generation."

Doch während eine solche Zahl bislang unveröffentlichter Texte für eine Publikation als beachtlich angesehen werden könnte, verhält es sich bei dem 1938 nach der Annexion Österreichs nach London emigrierten Theodor Kramer gänzlich anders. Der "Hofpoet der Demokratie", so nannte ihn voller Verachtung der Chefideologe der Nationalsozialisten, Alfred Rosenberg, hat bis zu seinem Tod 1958 in Wien 12.000 Gedichte geschrieben, von denen allerdings bisher nur 2000 veröffentlicht wurden.

Mit unpublizierten Versen von Theodor Kramer ließen sich also leicht mehrere Lyrikbände publizieren, doch beließ es der Herausgeber Erwin Chvojka, der das alleinige Herausgeberrecht besitzt, bei der erweiterten Neuausgabe.

In Kramers Liebesgedichten wird selten von den erfüllten Glücksmomenten gesprochen, sondern seine Gedichte setzen überwiegend dann ein, wenn die Augenblicke von innigster Zweisamkeit bereits Vergangenheit sind. Sie handeln vom Abschied nach der Umarmung und der unmittelbar bevorstehenden Trennung. Noch während das lyrische Ich die schlafende Frau beobachtet, schiebt sich bereits jene die Trennung vorwegnehmende Kälte zwischen die eben noch innig Verbundenen.

Dauer kann dem Glück in Kramers Gedichten auch deshalb nicht beschieden sein, weil es die männlichen Protagonisten in den Bordellen suchen. Sie sind getrieben von der Sehnsucht nach dem ultimativen Glück und kosten das Sexuelle in allen seinen Facetten begierig aus.

In den Gedichten von Theodor Kramer wird ein zuweilen direkter Ton angeschlagen, ein Asket war der Lyriker nicht, sondern er hat mit beiden Händen nach dem prallen Leben gegriffen. Noch in den besten Altersgedichten will sich Kramer nicht bescheiden und bekennt sich zu seinem Leben und jenen, die am Rand der Gesellschaft existierten.

Weil in Kramers Gedichten das Glück flüchtig bleibt, das bereits vergeht, noch während man von ihm kostet, sind seine Texte durchsetzt von einer zarten Wehmut, die bis hin zur Klage reicht. In den besten seiner Gedichte gibt es im Moment des Abschieds ein erklärtes Einverständnis mit dem Unvermeidbaren und kein trotziges Rebellieren. Der bekennende Melancholiker Theodor Kramer kann in dieser Auswahl von Liebesgedichten erneut entdeckt werden.


Theodor Kramer: Laß still bei dir mich liegen
Liebesgedichte. Hrsg. v. Erwin Chvojka.
Mit einem Nachwort von Daniela Strigl.
Paul Zsolnay Verlag. Erweiterte Neuausgabe Wien 2005.
155 Seiten. 15,90 Euro.