Flucht in die Ironie

Auch wenn der Schweizer Robert Walser vor bald hundert Jahren aufgehört hat zu schreiben, seine Prosa ist weiter durchaus lebendig. Zum 55. Todestag Robert Walsers dieser Tage hat der Züricher Diogenes Verlag ein Hörbuch mit einigen seiner Texte aus der Arbeitswelt herausgebracht.
"Nehmen wir einmal an, es sei Montagvormittag, das ist nämlich von allen Vormittagen der Woche der Vormittäglichste. Und der Montagvormittagsduft kommt in den Buchhaltereien großer Bankinstitute vortrefflich zur Verteilung."

Stefan Suske, der Wiener, liest Robert Walser, den Erzschweizer. Den Einsamen, Dünnen, Scheuen. Das heißt, nun prägt eine voluminöse Stimme die Walserschen Texte, eine Stimme, die Großzügigkeit, aber auch Wurschtigkeit signalisiert. Suske liest Walser: Kann das gut gehen?

"Es ist 20 nach acht. Unerhört sei doch das jetzt, denkt Hasler. Da tritt Helbling auf, ganz und gar vermontaget, bleich und verwirrt im Gesicht und schießt wie ein Pfiff an seinen Ort und Stelle."

Ja, es geht gut. Der Schauspieler Stefan Suske, Mitglied des Grazer Theaterensembles, mildert Walsers akribische Ironie durch seinen Trost spendenden Bass. Und er ist ein freundlicher Bergführer durch die Satzkonglomerate Walsers. Er versteht, was er liest und das erleichtert unsererseits den Zugang.

"Während sich die Angestellten dadurch auszeichnen, dass sie sich mit Vergnügen, Herrn zu sein einbilden, schauen von Zeit zu Zeit die Herrn mit einer Art von leicht begreiflichem Neid auf die Angestelltenfröhlichkeiten und Unbesonnenheiten herunter. Denn mir scheint unzweifelhafte Tatsache zu sein, dass die Herrn darin Einsame sind, dass sie in einem fort Recht haben und sich infolge dessen danach sehnen zu erfahren, wie das Unrechthaben schmeckt oder duftet, das sie nicht kennenlernen können."

Walser war zeitlebens ein "armer Mann". 1916 hat er eine gleichnamige Prosaminiatur geschrieben. Seine Texte waren nichts für den Massengeschmack, der Walsers Hymnen an Scham, Demut und Bescheidenheit schlicht übersah.

"Der Sinn seines Lebenswandels war ein fortlaufendes armes Schmiegen, Durchschlüpfen, Abfinden und Ducken. Dünn war er. Und geboren zum Dienen und Nichtsbedeuten."

So heißt es im "armen Mann". Aber so ganz bedeutungslos kann sich der Sohn eines Bieler Papier- und Spielwarenhändlers nicht gefühlt haben. Immerhin hielt er seine Weltwahrnehmungen für mitteilenswert. Verbürgt sind auch Walsers intensive Gefechte mit diversen Verlegern über Schrifttype, Illustration und Titel. Nein, Walser wählte das Prinzip unten zwar, weil es ihm nah war, aber andererseits auch, weil es ihm eine neue Perspektive auf die Dinge erlaubte. Ganz unten, da ist nichts mehr, was die Sicht verstellte.

"Der Name Mann passte auf ihn gar nicht. Er glich einem zarten lieben Jüngferchen in Mannsgestalt. Blass und abgemergelt sah er aus. Ich sah ihn einige Male, und wie ich ihn sah, hatte ich ihn lieb."

Um zu überleben, arbeitete Walser als Büroangestellter, aber auch als Diener im Schloss eines Grafen und als Gehilfe eines Ingenieurs. Jede dieser Stellungen behielt er nur kurze Zeit, dann wechselte er. Er wechselte ständig - die Zimmer, die Mädchen, die Posten, als wäre er auf der Flucht. Elias Canetti hatte die Idee, dass Robert Walser nur so umherstreift im Leben, weil er überall entkommen muss, bevor ihn die Angst einholt. Angst, von der nirgendwo bei Walser zu lesen ist. Angst, das uneingestandene Motiv seines Schreibens. Walsers Mittel dagegen: Flucht in die Ironie.

"Einem Poeten steht Schlankheit an. Er gewähre einen durchgeistigten Anblick. Dickleibige Dichter sind etwas wie ein Ding der Unmöglichkeit."

Am Ende wurde aus bitterer Ironie bitterer Ernst. Walser, der sich hier in der Erzählung "Poetenleben" selbst karikiert, hört genau 1933 auf zu schreiben. Seine Welt sei nun untergegangen, soll er zu seinem Verleger gesagt haben. Wenig später lässt er sich in eine Nervenheilanstalt einliefern. Den Arztprotokollen ist zu entnehmen, dass er dort alle anfallenden Arbeiten, wie das morgendliche Zimmerwischen und das Tütenkleben in der Werkstatt zur Zufriedenheit erledigte.

"Während er arbeitet, scheint er verschwunden zu sein. Er ist gar nicht mehr auf der Welt. Er lebt in den unsichtbaren und unsichtbar machenden Regionen der Pflichterfüllung."

Ein Arbeitssaboteur wie seine Angestelltenfigur, der Helbling, war Robert Walser nie.

"Fünf vor neun. Wie entsetzlich langsam für Helbling die Zeit geht. Er fragt sich, wieso es jetzt nicht schon neun sein könnte. Da wäre wenigstens schon eine Stunde herum. Nachher gäbe es noch mehr als genug. An diesen fünf Minuten schält er so lange, bis sie vorbei sind. Jetzt schlägt‘s neun."

Was dieser 1878 geborene Sonderling Walser uns heutigen Burnout-Opfern und Ichunternehmern zu sagen hat, fragen Sie jetzt vielleicht. Hier wäre einiges: Er lässt uns spüren, was fehlt. Die Langeweile zum Beispiel, das Auskosten der Leere. Und die Lust am Prinzip unten. Das alles fehlt. Dafür haben wir vom Gegenteil mehr als genug.

Besprochen von Brigitte Neumann

Robert Walser: Im Bureau
1 CD, Diogenes, 2011
Gelesen von Stefan Suske
Ausgewählt von Reto Sorg und Lucas Marco Gisi