"FlowMachines"

Ein Computerprogramm simuliert die Beatles

Die Beatles im Oktober 1963 in einem Fernsehstudio in London
Die Beatles (hier im Oktober 1963 in einem Fernsehstudio in London) gibt es nun auch mit einem Computerprogramm. © dpa / picture alliance / Ipol UPPA 8786
Von Jochen Dreier · 12.10.2016
Wenn künstliche Intelligenz Musik komponiert: Die Software FlowMachines unterstützt menschliche Musiker bei ihrer Arbeit. Unser Autor erklärt an einem Beispiel, wie damit der Sound der Beatles fortgeschrieben werden könnte.
Es lässt sich nicht leugnen, dieses Stück Musik klingt nach den Beatles - oder zumindest nach einer von den Beatles inspirierten Band. Die Gitarren, die Mehrstimmigkeit und vor allem die eingängige Melodie. Daddys Car ist ein Ohrwurm.
Die Hoffnung, es handele sich hier um eine unentdeckte, noch nie veröffentlichte Aufnahme der Fab Four trügt jedoch. Denn dieses Lied wurde zum größten Teil von einem Computerprogramm komponiert.
Flow Machines nennt sich die Kompositions-Software, die an der Pariser Universität "Pierre und Marie Curie" in Zusammenarbeit mit Sony und mit Geldern des Europäischen Forschungsrates entwickelt wird. Ziel der Forschung: Das Geheimnis des Komponierens zu entschlüsseln.
Wie schaffen es Musiker, eine Melodie zu entwerfen? Wie entsteht originär Neues aus vorhandenem Material? Und kann man dies mathematisch berechnen? Oder bleibt Kreativität ein menschliches Alleinstellungsmerkmal?
Die Antwort, die die Programme der Flow Machines oder andere - teilweise schon seit den Achtzigern entwickelte - bisher auf diese Fragen geben, ist ein klares Jein.
Um dieses eingängige musikalische Endprodukt zu schaffen, müssen einige Schritte mehr gegangen werden, als quasi auf Knopfdruck ein Stück Musik von einem Computer ausspucken zu lassen. Der menschliche Anteil daran ist immer noch recht hoch. Die Flow Machines selbst sollen den Menschen auch nicht ersetzen, sondern ihm helfen kreativ zu sein.

Menschlicher Anteil ist immer noch hoch

Dies erklärt das federführende Sony Computer Science Lab in einem Projekt-Video:
"Um das Konzept der Flow Machines zu erklären, müssen wir mit dem Psychologie Professor Mihay Csiksentmhihay anfangen. Er beschrieb als erster die Theorie des Flows. Dies ist ein höchstkreativer Moment zwischen Aufregung und Langeweile während eine sehr fesselnde Aufgabe erledigt wird."
Die Flow Machines heißt also nicht ohne Grund Flow Machines. Entworfen wurde es als ein Instrument um Musikern zu helfen mit ihren Fähigkeiten einen eigenen, neuen Stil zu entwerfen. So gesehen handelt es sich bei der Software vor allem um einen Kompositions-Assistenten.
"Kunstwerke sind selten einzigartig, was aber einzigartig ist, ist der Stil den sie verkörpern. Das Ziel der Flow Machines ist, den Nutzern zu helfen große Künstlern verstehen und einen eigenen Stil zu entwickeln."
Der Beatles-artige Song "Daddy's Car" entstand aus der Zusammenarbeit zwischen der Software und einem menschlichen Musiker in mehreren Schritten. Der französische Musiker Benoit Carré nutzte als erstes eine Datenbank. Sie nennt sich Leadsheet Database. Ein Leadsheet ist eine vereinfachte Notationsweise, die aus Harmonie-Folge und Melodien in Akkordsymbolschrift besteht. In der Datenbank gibt es rund 13.000 verschiedene Leadsheets von Musikstücken verschiedenster Stile von Jazz, Rock über Bossa Nova bis hin zu Pop.

Software sucht nach Songfragmenten

Mit dem Programm namens Flow Composer hat sich Benoit Carré dann einen Stil ausgesucht und von der Software eine Melodie und eine Harmonie-Folge komponieren lassen.
Für die erste Version dieser Komposition griff der Flow Composer auf die musikalischen Muster von 45 Beatles-Songs zurück, mit der die Datenbank zuvor gefüttert worden war. Anschließend kann die Software das Ergebnis verändern und anpassen. Durch Re-Harmonisierung zum Beispiel, indem es die Melodie variiert. Eine Re-Harmoniserung vom Beatles-Song Yesterday im Stile von Cole Porter klingt so.
Nachdem das Grundgerüst in Form von Grundmelodie und Harmonie-Folge im Stil der Beatles für den Song "Daddy's Car" stand, nutzte Benoit Carré eine weitere Software namens "Re-chord". Diese sucht automatisch nach musikalischen Fragmenten in bestehenden Lieder, die sich in die neue Komposition integrieren lassen. Schlussendlich schrieb Carré einen Text für den computer-generierten Song und produzierte und mixte das Lied mit ganz konventionelle Methoden
Um einen Eindruck zu bekommen, wie der gleiche Prozess mit einem komplett anderen Stil klingt, hat Benoit Carré auch noch das Lied "The Ballad of Mr. Shadow" veröffentlicht. Dies ist mit der gleichen Methodik entstanden - allerdings mit dem Ausgangsstil namens "American Songwriter", also Künstlern wie George Gershwin oder Duke Ellington.
Das Ergebnis ist ein Song, der irgendwie verblüffend bekannt wirkt. Als wäre ein Duke Ellington-Hit im Jahr 2016 geremixed worden.
Vielleicht ist Remix eh ein Begriff, der bei diesem ganzen Experiment einmal fallen muss. Denn so beeindruckend die Programme sind, sie funktionieren nur auf der Basis bestehenden Materials, das sie neu zusammensetzen.
Ein Prozess, der allerdings wesentlich simpler klingt, als er computertechnisch ist. Eine Lied zu entwerfen, das an den Stil der Beatles erinnert, aber kein Sample im klassischen Sinne nutzt, ist eine beeindruckende Leistung einer lernenden Software. Vor allem mit einem Datensatz von nur 45 vereinfachten Notationen.
Wie erfolgreich solche Musik wirklich sein kann oder ob es nur ein aufregendes technisches Kuriosum ist, wird sich vielleicht schon 2017 zeigen, dann möchte Sony ein ganzes Album mit computergenerierten Songs veröffentlichen.
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