Floridianische Medea auf Rachefeldzug

Rezensiert von Pieke Biermann |
Von Mordversuch, Profitgier und Umweltzerstörung handelt Carl Hiassens Florida-Krimi-Komödie „Reinfall“. Mit schwarzem Humor schreibt der 1953 in Florida geborene Reporter über die skrupellose Welt menschlicher Abgründe und kritisiert zugleich den amerikanischen Lifestyle.
Rauschgift kann Leben retten! Zumindest wenn man eines Nachts von einem Luxuskreuzschiff in den Golfstrom vor der Küste von Florida geschubst wird und zufällig ein Ballen Gras vorbeigeschwommen kommt. Marihuana nämlich. „Sechzig Pfund Jamaika-Auslese“, wie einem der Retter erklärt, nachdem man bewusstlos an einen gottverlassenen Strand gespült wurde.

So eröffnet Carl Hiaasen seine neue, maliziöse Florida-Screwball-Krimi-Komödie. Der Schubs vom Schiff ereilt die ausgesprochen blonde Joey Perrone just an ihrem zweiten Hochzeitstag. Der Schubser ist ihr Gatte Charles Regis Perrone, genannt Chaz. Nach Adam Riese, sagt der Autor selbst, ist so etwas ein perfekter Mord. Ist das Wetter schlecht genug, dass niemand freiwillig auf Deck ist, gibt es keine Augenzeugen. Das Opfer hat eigentlich keine Überlebenschance, zieht man die drei Todesmöglichkeiten in Betracht: die Schiffsschraube, die kubanischen Gewässer, Verzehr durch Hai.

Dummerweise ist Joey eine trainierte Schwimmerin und im Kopf nicht halb so blond wie auf dem Kopf. Und dummerweise dümpelt just in jenen Gewässern jede Menge Schmuggelzeugs. Dumm für Chaz, das Ekelpaket. Denn ab jetzt wird Joey zu einer Art floridianischer Medea, eine Rächerin in eigener Sache.

Und so etwas heißt bei Hiaasen immer: ein Parcours durch die korrupte, Umwelt vernichtende, durch und durch schäbige Gesellschaft des real existierenden „Sunshine State“ Florida. Ein „Pitaval“ der Plastikwelt aus jämmerlichen Figuren, die allesamt prallvoll mit Authentizität sind, unglaublichen, Machenschaften und noch irrwitzigeren Widerstandsnestern.

Chaz Perrone ist ein erschummelter Experte für Feuchtbiotope – was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist: Er ist der Typ, der im College „mehr Zeit in Kondomen als in der Bibliothek“ verbringt, weshalb aus der ordentlichen Karriere als Biologe nichts wird. Also fälscht er Wassergutachten für Red Hammernut, der gern weiter seinen Giftdünger in die Everglades pumpen möchte.

Auch Hammernut ist eine typische Figur aus dem Hiaasen-Kosmos, mit gnadenlos satirischem Blick seziert und gebührend unschönem Lebensende versehen. Für letzteres ist ein schier unerträglicher Typ zuständig, der einem paradoxerweise sofort ans Herz wächst – Tool, der haarige Riese, der für Hammernut das Schikanieren erledigt und auf Krebsstationen Moribunden die schmerzstillenden Pflaster klaut, weil er selbst eine Kugel im Hintern stecken hat, die ihn zum Wahnsinn treibt.

Und schließlich ein alter Bekannter aus Hiaasens Roman „Unter die Haut“ – Mick Stranahan – ein stillgelegter Cop, bei dem es Joey an Land gespült hat. Hiaasen gehört wie Bill Marshall, Jerome Charyn und einige wenige andere zu den US-amerikanischen Schriftstellern, die grimmigen Witz und einen bis zur Halluzination scharfen, bösen Blick auf die Realität pflegen.

Und „Der Reinfall“ gehört zum Feinsten, was Hiaasen bisher abgeliefert hat. Auch auf Deutsch, denn Marie-Luise Bezzenbergs Übersetzung ist kongenial, wortgewandt und stilsicher.


Carl Hiaasen: Der Reinfall
Übersetzt von Marie-Luise Bezzenberger.
Paperback. Goldmann Verlag „Manhattan“. München 2006.
470 Seiten. 14,95 Euro.