Florian Cossen über "Coconut Hero"

Wenn mit dem Selbstmord das Leben beginnt

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Alex Ozerov als Mike in einer Szene des Films "Coconut Hero". © Majestic / dpa
Florian Cossen im Gespräch mit Patrick Wellinski · 08.08.2015
In der Indie-Komödie "Coconut Hero" versucht ein Junge, sich aus dem Leben zu stehlen. Im Gespräch verrät Regisseur Florian Cossen, wie er auch Schauspieler Sebastian Schipper für seinen in Kanada gedrehten Film gewinnen konnte.
Patrick Wellinski: Herr Cossen, Ihr Film wurde im Vorfeld als "American Indie made by Germans" bezeichnet. Ist das eine Beschreibung, die Ihnen gefällt?
Florian Cossen: Durchaus.
Wellinski: Warum?
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Der Regisseur Florian Cossen © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Cossen: Weil es für mich auf den Punkt bringt, dass wir inzwischen, glaube ich, als Filmemacher uns die Werkzeuge wirklich weltweit aussuchen können, mit denen wir Geschichten erzählen wollen. Und bei dieser Geschichte war schnell klar, dass wir mit der nordamerikanischen Ästhetik, mit der englischen Sprache, der Lakonie in der englischen Sprache, die anders funktioniert als im Deutschen und in einer Welt, diese Geschichte erzählen wollen, die umringt ist von 300 Kilometer Wald, wo man nicht über ICE-Gleise und nicht über mittelgroße Städte stolpert, wenn man als deutscher kleiner 16-Jähriger abhauen will. Und deswegen fand ich das eigentlich sehr treffend, dass wir gewisse Mittel von dort benutzt haben, auf unsere Art.
Wellinski: "Coconut Hero" spielt in Kanada - wie kam es denn jetzt konkret zu der Idee für Ihren zweiten Spielfilm?
Seine Selbstmordversuche münden immer im Krankenhaus
Cossen: Ich dachte immer, ich fang mit Humor an, wenn ich 50 bin, weil ich dann geübt habe und dann ein paar Filme gemacht habe und mich da ranwage. Und Elena von Saucken, die Drehbuchautorin, die auch "Das Lied in mir" geschrieben hat, kam um die Ecke 2010 mit einer Idee: Stell dir vor, ein 16-jähriger Junge, der sich, mit dem Leben gelangweilt, in den Kopf schießt, im Himmel landet, den Himmel für mittelspannend und unglamourös und die Farben, das Mobiliar doch eigentlich sehr öde findet, bis er feststellt, das ist das Krankenhaus und es ist gar nicht der Himmel und er hat mal wieder überlebt, und all seine Selbstmordversuche münden immer wieder in dieses dämliche, altbackene, schreckliche Krankenhaus.
Und das fand ich lustig. Und da war der Ansatz zu sagen, okay, wenn ich lachen kann oder zumindest schmunzeln kann, was ja sehr der Ton unseres Films ist, dann wird es uns hoffentlich gelingen, da auch eine richtige filmische Übersetzung zu finden um eine Geschichte über dieses seltsame Verhältnis, was wir zu Lebzeiten mit dem Tod haben.
Wellinski: Dieser Teenager heißt Mike, Mike Tyson, aber eben halt nicht der Boxer, sondern nur ein schmächtiger Teenager in Kanada. Sie haben ja schon erzählt, er hat einen sehr starken Todesdrang, wohnt bei seiner alleinerziehenden Mutter, ist in der Schule ein Außenseiter, erinnert ein bisschen so an den Harold aus dem Film "Harold and Maude", der ja auch sehr dem Tode zugewandt ist. Aber woher kommt denn dieser Todeswunsch in Mike, in Ihrem Mike?
Der Weg zurück ins Leben
Cossen: Ich glaube, es gibt so einen Bauchladen an Gründen, die auch die Elena frühzeitig mal aufgestellt hat, dass er eben ... Also er wächst ohne Vater auf, der Vater hat es geschafft, aus diesem Ort wegzufahren mit einem Führerschein und einem Pick-up-Truck, er hängt bei dieser Mutter, die so ein bisschen ein sympathischer Drachen ist, er hat eigentlich keine Freunde, interessiert sich - wie tatsächlich ein Kanadier zu uns sagte in diesem Ort: If you not into sports buds or girls, with sixteen there's nothing to do -, und er interessiert sich in der Tat weder für Alkohol noch für Mädchen noch für Sport, hat in dem Sinne einfach relativ wenig zu tun. Und das stand alles auch mal auf so einem großen, langen Zettel, und dann haben wir gemerkt, was uns eigentlich interessiert, ist, was eigentlich danach passiert.
Das heißt, konsequenterweise fängt unser Film mit dem Gewehr am Kopf an, und was danach passiert, nämlich der Weg eigentlich zurück ins Leben, das ist, worüber unser Film eigentlich redet.
Wellinski: Er führt auch, dieser Weg zurück ins Leben, über den zunächst abwesenden Vater, ein deutscher Ingenieur, der dann eines Tages halt wieder vor der Tür steht, und wir erkennen, das ist Sebastian Schipper, der zurzeit irgendwie überall ist, wenn es ums deutsche Kino geht. Wieso war er die perfekte Besetzung für den Vater?
Sebastian Schipper vor der Weltpremiere seines Film "Victoria", in dem es um einen Banküberfall geht.
Sebastian Schipper vor der Weltpremiere seines Film "Victoria", in dem es um einen Banküberfall geht.© picture alliance / dpa
Cossen: Ich hab ihn ganz früh eigentlich, weil ich ihn seit "Drei" öfter in großen Rollen gesehen habe und toll fand, der Casterin vorgeschlagen, und sie meinte, ah, Sebastian ist schwierig, der hat keine Agentur, den kann man nicht so gut erreichen, der hat immer tausend Projekte, der führt Regie, der spielt, aber meistens nur bei bestimmten Regisseuren. Dann haben wir ihn tatsächlich auch nicht so richtig kontaktieren können, haben andere Schauspieler gecastet, waren immer noch nicht so ganz zufrieden, und haben ihn dann noch mal versucht ... Und dann hab ich ihn angeschrieben, persönlich, und dann hat er innerhalb von einer halben Stunde geantwortet und hat das Buch gelesen, fand das ganz toll, wir haben uns die nächste Woche getroffen, und dann ist mir eigentlich erst beim Drink danach aufgefallen, Mensch, hier sitzt der Regisseur, der den Film meiner Jugend gemacht hat, nämlich "Absolute Giganten".
Der hat mich damals eigentlich wirklich fürs deutsche Kino interessiert, möchte ich mal behaupten. Das spielte jetzt bei unserem Dreh weniger eine Rolle, ist aber eine lustige Klammer, wenn man bedenkt, dass das jetzt mit "Victoria" Sebastian vor allem als Regisseur was Phänomenales schafft, nämlich sich noch mal neu zu erfinden und einen ganz neuen, anderen Film da als Regisseur hingelegt hat.
Wellinski: Sie haben ja dann auch mit Sebastian Schipper auf Englisch gedreht, das ist auch logisch, weil die Hauptdarsteller vor allem auch aus der Region kommen und Englisch sprechen. Haben Sie denn auch "Coconut Hero" ganz bewusst auch für ein internationales Publikum so gedreht?
Eine Geschichte, die universal verständlich ist
Cossen: Ich glaube nicht aus Marktgründen, sondern was für uns spannend war, ist, schaffen wir es, bewusst die englische Sprache zu wählen, die uns sehr nahe ist, die wir aber nicht perfekt beherrschen, mithilfe eines kanadischen Dramaturgen wirklich perfekt anzunutzen, zu benutzen, um damit als filmisches Werkzeug einen Film zu machen, der bestenfalls sowohl in Deutschland, wo er sowohl synchronisiert als auch auf Original in die Kinos kommt, als auch international funktioniert.
Wir glauben, dass es eine Geschichte ist, die universal verständlich ist, und sind jetzt aber natürlich wahnsinnig gespannt, wie der neben der deutschen Premiere auch auf der internationalen Premiere wahrgenommen wird.
Wellinski: Sie haben ja auch in Kanada gedreht - wie ist das, wenn ein deutsches Team nach Kanada kommt und plötzlich einen englischsprachigen Independent-Film dreht? Wurden Sie da komisch beäugt oder hat man das einfach so hingenommen?
Cossen: Ich glaube, es ist inzwischen immer üblicher, dass bei diesen Koproduktionen und wie man auch als Produzent gucken muss, wie kann ich ... Also unsere Produzenten Jochen Laube und Fabian Maubach waren Feuer und Flamme nach dem ersten Treffen mit Elena und mir, diesen Film machen zu wollen, und standen dann vor dem Problem, aha, die wollen das auf Englisch, komplett in Kanada, wie sollen wir das denn finanzieren.
Die deutschen Förderer, das wird erst mal schwierig, weil wir nur bestimmtes Geld hier überhaupt ausgeben können und auch englisch besetzen werden, und dann muss ein Produzent ja gucken, wie er das so international auf die Beine gestellt bekommt.
Insofern ist das ... Toronto ist ja eh so ein Mekka auch für die Amerikaner, die da mit Steuervorteilen angelockt werden und die Stadt durchaus sich als Nordamerika verkaufen lässt. Da wurden jetzt - in dem Sommer, wo wir da waren - 24 Serien gedreht, in diesem einen Sommer, also da ist eh so ein Kommen und Gehen, dass das jetzt nicht so außergewöhnlich war.
Wellinski: Mit Ihrem ersten Film "Das Lied in mir" haben Sie ja schon in Argentinien gedreht, jetzt drehen Sie in Kanada. Warum meiden Sie Deutschland als Ort für Ihre Geschichten?
Der nächste Film, das wird ein Film über den NSU
Cossen: Ich meide Deutschland keinesfalls, aber in der Art, wie wir arbeiten, mit der vielleicht Sorgfalt, mit der wir arbeiten, schaffen wir noch kein Fassbinder-haftes Tempo, sondern wir brauchen so ein paar Jahre, bevor wir eine Geschichte zusammen mit der Elena von Saucken entwickelt, auf die Beine, dann mit den Produzenten finanziert und tatsächlich drehen und auch die ganze Postproduktion, dass es bisher einfach die Geschichten waren, die uns angesprungen waren, hatten im ersten Fall was mit einer deutschen Perspektive im Ausland zu tun, jetzt sind wir wirklich fast komplett ins Ausland gegangen.
In dem nächsten Film, wo ich Regie führen werde, das wird ein Film über den NSU, da werde ich sozusagen zutiefst deutsch einsteigen. Wir schließen das in keinster Form aus, aber aus unterschiedlichen Gründen reizen uns sehr diese Sprünge über die Grenzen hinweg, wo man ja auch noch mal mit einer ganz eigenen, präzisen Art plötzlich auf Deutschland und das Deutschsein und wer wir eigentlich sind und was mit unserer Identität und Sprache so einherkommt, filmisch womöglich eine gute Geschichte ergibt.
Wellinski: Es hat ja was sehr Beglückendes, bei "Coconut Hero" zu sehen, dass Sie eben diese Sprache, diese Bildsprache vor allem beherrschen, und ich fragte mich, ob die Geschichte von "Coconut Hero" vielleicht auch im Schwarzwald möglich wäre oder von mir aus in Mecklenburg-Vorpommern - um es konkret zu machen, wo ich mir ehrlich gesagt eher wünschen würde, dass das deutsche Kino zum Beispiel mal so auch einen Dialog auflöst, nicht immer in diesen halbnahen, die man so aus dem Fernsehen kennt, wohin man sich ja so gezwungen wird. Und ich hab mich gefragt, nutzen Sie auch diesen Weg ins Ausland, um eben das zu machen, um in Deutschland eben auch diese Sprache, weil Sie die hier nicht finden oder weil es von Redakteuren nun mal Begrenzungen gibt und so weiter?
Eine komische, skurrile Leere
Cossen: Ja, es gibt diverse Gründe. Zum einen ist es in der Tat so, dass uns vor allem der Kern der Geschichte interessiert hat, nicht so sehr das Drumherum. Wenn wir das nach Deutschland verpflanzt hätten, erzählt man wahnsinnig schnell natürlich ganz viel drumherum noch mit - über die Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern oder die 20 Prozent Alkoholiker in dem Ort XY. Und wir hatten das Gefühl, wir bewegen uns ja so ein bisschen, zwei Prozent neben der Realität, wir sind ja nicht so hundert Prozent.
Diese Welt, die dockt an die Realität, aber die ist ja so einen Ticken skurriler. Und da bot die Welt, die wir in Nordamerika gefunden haben, in diesen nordkanadischen Dörfern, auch mit dieser Weite, die uns ehrlich gesagt geholfen hat, genau diese Auflösung, die Sie jetzt gerade ansprachen, wo man mit Totalen spielt, das funktionierte auch viel leichter, weil diese nordamerikanische Art, diese Dörfer, die in den 30ern, 40ern gebaut wurden, wo eine Main Street angelegt wurde, wo von Anfang an Think Big angelegt wurde.
Alle Menschen sind weg, es ist völlig leer, dadurch entsteht eine komische, skurrile Leere, die aber auf eine Art mit diesem Horizont und mit dieser Weite und mit sicherlich auch einem gleichzeitigen positiven Gefühl von Freiheit, obwohl man eigentlich in einem depressiven Ort herrscht, fanden wir, eine viel spannendere Reibung erzeugt, als wenn man in deutsche kleine, sterbende Orte geht, die es gibt tatsächlich, wo aber sozusagen die Enge, dieses Mittelalterliche, dieses über Traditionen jahrhundertelang, schwere Kirchen, tiefe Keller ...
Da sind die Orte fast wurzellos, viel weniger Geschichte, haben in der Tat noch nicht mal Keller, die Häuser kann man ja auf einen Lastwagen packen und zur nächsten Miene fahren - das fanden wir insgesamt einfach passender für diese Geschichte, die uns da so im Kopf rumspukte.
Wellinski: Jetzt ist "Coconut Hero" eine sehr spezielle Klangfarbe innerhalb des jungen deutschen Films, und es heißt ja jetzt gerade, das junge deutsche Kino, da bewegt sich was. Merken Sie das, dass sich da was bewegt, und wenn ja, was?
Weltweit keine Grenzen mehr zwischen dem Humor
Cossen: Also eine Journalistin, eine Freundin von mir, kam nach dem Film total begeistert auf uns zu, und wir waren erst mal heilfroh, weil sie sehr kritisch ist und wir erst mal Angst hatten, ob es ihr gefallen wird, und sie meinte, das Tolle ist, das ist ein Beweis dafür, dass es diese Grenzen zwischen dem Humor weltweit einfach nicht mehr geben wird.
Es wird nicht mehr den amerikanischen Humor und den deutschen Humor und wir Deutschen können keinen Humor, wir sind inzwischen so sozialisiert, nicht erst mit den Serien, durch so einen internationalen Film, dass wir selber jetzt wählen können zwischen gutem und schlechtem Humor und wie wir den machen wollen. Und ich glaube, da ist total was dran, dass es in unserem Bereich liegt, welche Art von Sprache, welche Art von Landschaft, welche Art von Cast, der ja auch anders ist und anders arbeitet, wir benutzen wollen, um unsere Geschichten zu erzählen - was nicht bedeutet, dass wir jetzt nicht mehr auf Deutsch drehen werden.
Wellinski: "Coconut Hero", an American Indie made by Germans, läuft ab nächsten Donnerstag in den deutschen Kinos. Der Regisseur Florian Cossen war bei uns im Studio, vielen Dank für Ihre Zeit!
Cossen: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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