Flötistin Naissam Jalal

"Eine Musik schaffen, die möglichst vielfältig ist"

Die Flötistin Naissam Jalal
Die Flötistin Naissam Jalal © Promo Naissam Jalal
Von Johannes Kaiser · 08.08.2016
Die Flötistin Naissam Jalal hat den Arabischen Frühling in Kairo miterlebt - und als Tochter syrischer Einwanderer verfügt die Französin über Migrationserfahrungen. Viele ihrer Kompositionen haben eine politische Botschaft, im Mittelpunkt ihres neuen Albums steht trotzdem die Musik.

Die in Frankreich 1984 als Tochter syrischer Einwanderer geborene Musikerin Naissam Jalal hat sich bereits frühzeitig in den Klang der Flöte verliebt und zunächst eine klassische Ausbildung genossen. Jazz erschien ihr zu verschlossen, bis sie das Album "Olé" von John Coltrane hörte und begriff, dass Volksmusik und Jazz durchaus miteinander zu vereinbaren sind. Auf der Suche nach ihren kulturellen Wurzeln reiste sie als Neunzehnjährige in das Heimatland ihrer Eltern, studierte in Damaskus die Nay Flöte und zog dann nach Ägypten. In Kairo nahm sie bei dem Geiger Abdu Dagher Unterricht und stand mit dem ägyptischen Jazzmusiker Fathy Salama auf der Bühne, der traditionelle arabische Musik mit Jazz und Elektronik verschmolzen hat. 2009 nahm Naissam Jalal im Duo ihre erste Platte auf. Sie hat mit zahlreichen afrikanischen Musikern auf der Bühne gestanden und 2011 ihre Gruppe Rhythms of Resistance gegründet, mit der sie ihre zweite, jetzt in Deutschland herausgekommene Platte produziert hat.


Manuskript zum Beitrag:
"Mein Vater ist Maler. Ich habe häufig bei seinen Vernissagen kleine Solostücke für Flöte gespielt und dann habe ich einen Kontrabassisten getroffen, der im Dialog mit den Bildern improvisiert hat. Der hat mich aufgefordert: Lass uns improvisieren, und ich habe geantwortet: Ich habe noch nie improvisiert, ich kann nicht improvisieren. Doch, du kannst improvisieren. Er hat mich tatsächlich dazu gebracht, nicht locker gelassen und wir haben begonnen zu improvisieren. Das war für mich eine Entdeckung. Ich habe eingesehen, dass er recht hatte."
"Das ist für mich die wahre Musik, denn solange ich die Paritur lese, habe ich nicht das Gefühl, Musik zu machen. Ich habe den Eindruck, nur zu wiederholen, was andere für mich gesprochen haben und da ist mir bewusst geworden, dass die Improvisation mir hilft, mich auszudrücken."
Die 32-jährige französische Flötistin Naïssam Jalal hat daraufhin eine Karriere im Jazz eingeschlagen, allerdings auf ihre ganz eigene Art und Weise, denn die Musik ihrer Gruppe vereint zahlreiche musikalische Einflüsse. Die reichen vom indischen Rajasthan über Afrika bis nach Europa. Diese Vermischung ist ihr wichtig und durchaus als politisches Statement gedacht, denn das Aufkommen fremdenfeindlicher, nationalistischer Stimmungen in Europa beunruhigt die Tochter syrischer Einwanderer erheblich.

"In Europa gibt es inzwischen sehr viel Abschottung"

Sie hat in Frankreich genügend rassistische Beleidigungen gehört, um mit ihrer Musik dagegen halten zu wollen. Der Name ihrer Gruppe ist auch durchaus Programm: Rhythms of Resistance.
"Rhythms of Resistance – damit drücke ich das Engagement der Gruppe aus, die ästhetische wie politische Richtung. In Europa gibt es inzwischen sehr viel Abschottung, was die jeweilige kulturelle Identität anbetrifft. Rechtsradikale Strömungen nehmen in Frankreich, in Deutschland, in Belgien, in Italien und in Spanien immer mehr zu, und damit einher gehen Abkapselung und Fremdenfeindlichkeit. Deshalb wollte ich eine Gruppe von Musikern unterschiedlicher Nationalitäten gründen, die gemeinsam arbeiten und ihre persönliche Geschichte, ihre musikalische Geschichte, ihre Kultur mit einbringen sollten, um eine Musik zu schaffen, die möglichst vielfältig ist. Für mich ist es eine Art zu sagen: passt auf, ihr denkt, dass der Unterschied eure nationale Identität untergräbt, tatsächlich aber bereichert er uns."
Naïssam Jalal hat sich tatsächlich ein bunte Truppe zusammengeholt: Der Saxophonist Mehdi Chaïb stammt aus dem Magreb, Gitarrist Karsten Hochapfel ist Deutscher, Bassist Matyas Szandai kommt aus Budapest und Schlagzeuger Francesco Pastacaldi ist Italiener.
Zwar stammen die acht Stücke auf dem Album "Osloob Hayati" alle aus der Feder der Flötistin, aber sie lässt ihren Bandmitgliedern durchaus Raum für Improvisationen. Schließlich soll jeder seine kulturelle Klangfarbe mit einbringen. Allerdings ist nicht zu überhören, dass Naïssam Jalal ihre musikalische Prägung vor allem im arabischen Raum bekommen hat. Schließlich hat sie sechs Jahre im Nahen Osten gelebt, in Syrien und Ägypten, ist jahrelang zwischen Beirut und Paris gependelt. Das ist ihrer Musik deutlich anzuhören.

"Hommage für die Mütter der Märtyrer"

Sie hat zudem den Arabischen Frühling hautnah miterlebt und das hat sich auch in einem ihrer Stücke auf der neuen CD niedergeschlagen: Om Alshaid.
"Das Stück habe ich als Hommage für die Mütter der Märtyrer der arabische Revolution geschrieben. Es sollte eine Hommage für die Mutter sein, die ihre Kinder verloren haben entweder durch Bombardements oder bei Schießereien im Krieg."
Auch wenn Naïssam Jalal französische Staatsbürgerin ist, so ist sie sich doch sehr bewusst, wie viele Schwierigkeiten Immigranten erwarten, wollen sie nach Frankreich kommen. Sie hat dieser Situation das Stück "Frontières" ("Grenzen") gewidmet:
"Ich erzähle die Geschichte einer Liebe, die durch Grenzen verhindert ist, die Geschichte eines Mannes und einer Frau, die sich lieben und dem Mann, der nicht fortgehen kann, weil er keine Papiere hat. Dabei ist das nur ein Papier, das ist absurd und lächerlich, aber ist es ein Stück Papier, das das Leben zerstören kann. Es ist mir außerordentlich wichtig, zu unterstreichen, dass eine Sache, die so total unbedeutend ist wie ein Papier oder eine Nummer, eine Chiffre, ein Buchstabe zwei Leben zerstören kann, und zwar das Leben desjenigen, der kein Papier hat und damit das Leben desjenigen, der ihn liebt. Ein Mensch existiert auch ohne Papier."
Auch wenn einige Stücke auf dem zweiten Album von Naissam Jalal eine politische Botschaft haben, so steht doch die Musik, stehen insbesondere die treibenden Rhythmen im Vordergrund. Die Musik vibriert geradezu.
So ist eine Platte entstanden, die tatsächlich hält, was ihre Schöpferin verspricht: eine lebendige, mitreißende Melange sehr unterschiedlicher Musikkulturen. Naïssam Jalal und ihre Gruppe Rhythms of Resistance sind eine Entdeckung wert.
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