Fliehen und Heimkehren

Von Tobias Barth |
"Einar Schleef. Der Maler" heißt eine Ausstellung, die am Samstag in Halle eröffnet wird. Der Titel macht stutzig, ist doch Schleef als Regisseur und Autor bekannt, auch als Bühnenbildner - aber kaum als Maler. Die Stiftung Moritzburg hat den bildnerischen Nachlass des 2001 Verstorbenen von den Erben übernommen und zeigt nun erstmals Gemälde und Zeichnungen in einer groß angelegten Schau.
Das ehemalige CENTRUM Warenhaus in Halle, gelegen auf einer Saaleinsel exakt in der Mitte zwischen historischer Altstadt und den Wohnblocks von Halle-Neustadt, ein Gebäude wie ein Spiegel ost-west-deutscher Absurditäten: errichtet als Konsumtempel der Mangelwirtschaft 1981, nach der Wende von Karstadt übernommen, bis auch Karstadt den Standort aufgeben musste. Diesmal aus Mangel an Kaufkraft, Folge der Globalisierung, die der Kaufhauskonzern selbst mit vorantreibt. Und hier nun, an diesem abgewirtschafteten Ort, findet das Werk eines Unbehausten eine Heimstatt. Nicht zu heimelig freilich, sondern temporär, ungemütlich, gebrochen. Kurator Michael Freitag:

"Das rechte Bild 'Zuhause, das sind die Eltern. Der Vater. Die Mutter.' und so weiter steht mental und von der Aussage her, also: 'man sucht so lange, bis man ein eigenes zu Hause hat, was einen erstickt und auffrisst' wie ein Motto über dieser ganzen Ausstellung. Dieses Fliehen und Heimkehren ist der Grundtenor seiner ganzen Bildwelt auch."

Das ehemalige Kaufhaus steht in der Mansfelder Straße. Sie führt in jene ausgeräumte Bergbauregion vor den Toren Halles, an deren östlichem Ende Sangerhausen liegt - der Ort, in dem Einar Schleef 1944 geboren wurde.

Als 20-Jähriger ging er an die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, flog raus, wurde wieder zugelassen, diplomierte, kam später als Bühnenbildner ans Berliner Ensemble und blieb anlässlich eines Engagements am Wiener Burgtheater im Westen und musste feststellen: Die Menschen im Osten haben die Mauer um sich herum, die im Westen tragen sie in sich. Oder wie es im Tagebuch 1977-80 heißt: "Ich kann ohne Mauer nicht leben. Ich bin die Mauer. Gegen wen. Gegen mich selbst. Was ist auf der anderen Seite. Dasselbe wie hier: Scheiße. Wohin jetzt."

Wer seine Theaterarbeiten oder Texte kennt, den wird kaum wundern, dass Schleefs Lebensthemen auch in dessen Malerei variiert werden. Verwunderung allenfalls über die suggestive Kraft seiner Bildsprache. Sie zeigt sich auf den ersten Blick, in einem Zyklus großformatiger Doppelgemälde etwa, der die Ausstellung eröffnet: die "Deutschlandbilder". Einar Schleefs Auseinandersetzung mit deutscher Teilung und Vereinigung. Uniformierte stehen sich da gegenüber, gepanzert, gesichtslos unter Kampfmasken.

"Im Grunde genommen befinden wir uns hier in einem Krieg zwischen Sparta und Athen, es sind die alten Konfrontationen hoch gerüsteter Waffenmaschinerien, die hier aufeinanderstoßen, und man sieht deutlich, dass das Bild klar sagt, für welche Interessen auch immer die stehen, sie sind die gleichen Leute, es ist die gleiche Art von Entmenschung und von Gewalt, die hier aufeinanderstößt."

Die Wahl des Kaufhauses als Ausstellungsort bietet vor allem eines: Platz, um die Bilder wirken zu lassen. In 90 Gemälden und etwa 250 Zeichnungen lässt sich der Weg des Malers Einar Schleef bis an seine Anfänge zurückverfolgen. Die Werke werden auf 18 Meter breiten, leicht geneigten Stellflächen gezeigt, die quer zu den langen Fluchten des ehemaligen Konsumtempels stehen. Die Direktorin der gerade im Umbau befindlichen Stiftung Moritzburg Halle, Katja Schneider:

"Die reine Fläche der Ausstellung bemisst 1700 Quadratmeter, das hätten wir hier in der Moritzburg so nicht machen können, auch im Neubau nicht. Ein Werk einmal in einem Block so zeigen zu können, das ist natürlich eine tolle Gelegenheit."

Die wohl eindrücklichste Malerei der Ausstellung ist eine Reihung von 18 Gemälden mit dem Titel "Klage", entstanden im Westberlin der 80er Jahre. Ein Epochenbild, wie Kurator Michael Freitag meint, Epochenbild des Kalten Krieges und des Informationszeitalters. Immer wieder variiert Schleef das Bild eines Mannes in einer Telefonzelle, gesehen durch die verschmutzte Scheibe, grau, isoliert und angesichts des technischen Kommunikationsapparates umso deutlicher auf sich selbst geworfen.

"Und dieses Begehr, dieses Wollen, mit jemandem irgendwie in Kontakt zu treten und sich doch außerstande zu sehen, das hinzukriegen, aus den unterschiedlichsten Gründen, weil die Freunde langsam nicht mehr die Freunde sind, weil die Bekannten ein anderes Deutsch sprechen, weil die kulturellen Erfahrungshintergründe andere sind, es gibt die unterschiedlichsten Gründe für diese Einsamkeit, und dafür hat er hier ein zentrales Motiv entwickelt."

Ein dramatischer Moment in einer stillen Geste - hier zeigt sich wie an vielen anderen Stellen auch der Theatermann Schleef. Chor und Solist, Masse und Individuum - das sind die ewigen Themen des Künstlers, den Elfriede Jelinek einmal als das (neben Rainer Werner Fassbinder) einzige deutsche Genie der Nachkriegszeit bezeichnet hat.

"Einsam ist er gewesen aber nicht im Sinne eines Eigenbrötlers oder Absonderers oder so einer kauzigen Figur, wie Spitzweg sie gemalt hat, sondern er war ein geschlossenes System, ein erratischer Block, ein Monolith."


Die Ausstellung in Halle an der Saale wird am Samstag eröffnet und bis zum 20. Juli gezeigt, also auch während des "Festivals Theater der Welt", das im Juni und Juli in Halle über die Bühnen geht.