Fliegende Fäuste statt Raketen

Von Stefan Osterhaus · 08.12.2012
Im Jerusalem Boxing Club trainieren Palästinenser mit Israelis. In einem alten Luftschutzkeller steigen Muslime und Juden zum Kampf in den Ring. Und besonders für die orthodoxen Juden ist es nicht einfach, Boxen und ihre Religion in Einklang zu bringen.
Der Herr des Ringes ist allgegenwärtig. Seinen Blicken kann kaum jemand entkommen, aus beinahe jedem Winkel schaut er von Fotos und von Zeichnungen auf die Kämpfer herab im Jerusalem Boxing Club. Muhammad Ali, der Champion der Champions, ist das Ideal des Trainers:

"Er ist ein Vorbild für uns. Er ist ein Beispiel für einen echten Boxer. Er ist das Vorbild, dem hier, so hoffe ich, jeder nacheifert. Wenn man ihn mit Tyson vergleicht, dann ist Tyson ein Roboter, eine Killermaschine. Wie ein Panzer, da kannst du nichts gegen machen. Aber Ali hatte Technik, er war ein echter Boxer."

Gershon Luxemburg trägt eine Kippa, das Zeichen religiöser Juden. 67 Jahre ist der Trainer alt. Den Club hat er vor 30 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Eli gegründet.

Der Trainingsraum im Viertel Alt-Katamon ist ein besonderer Ort: In einem alten Luftschutzbunker trainieren nicht nur ein paar der besten Boxer des Landes, es begegnen sich auch Israelis und Palästinenser, Juden und Muslime. Es ist der einzige Klub des Landes, in dem beide Gruppen gemeinsam trainieren. Sie kämpfen gegen Ressentiments - zumindest versuchen sie es, wie Micha, der im Sommer voller guter Vorsätze in diesen Klub gekommen ist:

"Ich finde es großartig. Es ist ein guter Platz für Palästinenser und Juden um hier zu kämpfen. Das ist der einzige Platz, an dem sie kämpfen sollten."

Deshalb kann es gar nicht verwundern, dass der Trainer Muhammad Ali zum Schutzheiligen des Rings ernannt hat. Ali war Black Muslim. Der legendäre Schwergewichtler konvertierte vom Christentum zum Islam. Ihm würde der Trainer gern eine besondere Ehre erweisen:

"Ich habe seit Langem schon einen Traum: Die besten muslimischen Boxer und die besten christlichen Boxer und die besten jüdischen Boxer sollen für ein großes Turnier hierher nach Jerusalem kommen, für ein Turnier, das nach Muhammad Ali benannt ist. Es wäre doch großartig, dies in Jerusalem, der Metropole aller Weltreligionen, zu veranstalten."

Atheisten sind in diesem Weltbild zwar nicht vorgesehen. Doch der Trainer versichert, dass er auch ihnen gegenüber tolerant sein würde. Den Wettkämpfen könnten sie gern zusehen.

Der Glaube: Er spielt für viele hier eine wichtige Rolle. So auch für Micha. Er stammt aus Schweden. Doch er kam nach Jerusalem, weil im die Spiritualität in der Heimat fehlte:

"Ich verstehe mich als gläubigen Juden, und das in Schweden zu sein ist schwer. Es ist viel einfacher hier, unter anderen religiösen Juden zu sein. Es ist schön, du fühlst, dass es dein eigenes Land ist."

Boxen und Religion kollidieren für ihn zwar nicht miteinander - aber es ist nicht immer ganz einfach, die Dinge in Verbindung zu bringen. Denn ein orthodoxer Jude hat eine Menge Regeln zu befolgen.

"Es ist dir nicht erlaubt, dein eigenen Körper zu schädigen."

Anderseits: Das Recht auf Selbstverteidigung streitet niemand ernsthaft ab. Alles Auslegungssache:

"Wenn du eine tief religiöse Person bist, dann fühlst du, dass dein gesamtes Leben der Religion widmen musst. Wenn du es dem Sport widmest, dann ist es nicht das Ziel des Lebens. Wenn du ein wirklich guter Sportler sein willst, dann musst du dein Leben dem Sport widmen. Ich würde nicht sagen, dass es zu meiner Mission gehört, als Jude ein guter Boxer zu sein. Aber es macht eine Menge Spaß."

Spaß - der steht für Micha im Vordergrund. Doch manche Boxer haben große Ambitionen, und da kollidieren Religion und Sport schnell miteinander.

Akiva kann davon erzählen. Gerade 18 Jahre ist er alt, seit fünf Jahren zählt er bei den Junioren zur nationalen Spitze in der Klasse bis 64 Kilogramm. Ein Bewegungstalent, geschmeidig, schnell, schlagstark. Er lebt mit seinen Eltern in der Siedlung Bet-El im Westjordanland. Vier Mal die Woche kommt er her um zu trainieren. Oft treibt in die Religion in einen Konflikt.

Akiva schaut auf eines der Poster von Muhammad Ali. Er erkennt sich mit seinen Nöten im großen Champions ein wenig wieder:

"Er war sehr religiös. Seine Religion kam vor dem Boxen. Auch ich habe manchmal Problem mit meiner Religion und Boxen, wenn ich trainiere. Und die Wettbewerbe am Shabbat. Meine Religion steht über dem Boxen, ja. Genauso wie bei Muhammad Ali."

Es erfordert Kreativität, beides miteinander zu vereinen. Die meisten Wettkämpfe sind am Wochenende - am Samstag, am Shabbat. Ein Tag, an dem es orthodoxen Juden bis zum Sonnenuntergang untersagt ist, Arbeiten zu verrichten. Wer die Gesetze streng auslegt, dem ist es auch verboten, in ein Auto zu steigen. Akiva hält sich an die Regeln - und er kann dennoch für seinen Klub boxen.

"Das ist ein Problem für mich mit dem Auto dorthin zu kommen. Wie haben es so gedreht, dass ich immer den letzten Kampf mache. So kommt es, dass es meist schon nach dem Shabbat ist, nachdem die Sonne untergegangen ist. Und dann kann ich auch mit dem Auto dorthin kommen. Aber es ist jedes mal ein Problem, jedes Mal. Es ist nicht sicher, ob sich drauf einlassen, man muss sichergehen, dass sie es auch tun. Es ist ein Problem, es ist wirklich nicht einfach."

Bisher hat Akiva noch keinen Wettkampf versäumt. Die Gegner waren tolerant und ließen ihn nach Sonnenuntergang boxen. Das liegt auch an der geradezu hypnotischen Überzeugungskraft seines Trainers, der bisher noch jeden Offiziellen bewegen konnte, seinen besten Mann den letzten Kampf bestreiten zu lassen.

Auch für Gershon Luxemburg ist es immer wieder eine Abwägung. Der Glaube - oder das Boxen? Luxemburg hat sich für das Boxen entschieden:

"Ich versuche hier nicht irgendjemanden zu beeindrucken mit dem was ich hier tue. So bin ich halt, so mache ich das. Wenn ich nicht am Shabbat zu den Wettbewerben führe, dann könnte die Mannschaft nicht dort sein. Mein Bruder Eli ist sehr viel religiöser, der bleibt zuhause und hält Shabbat. Aber ich bin dem Team noch mehr verbunden, und es ist mir wichtiger das Team am Shabbat zu den Wettbewerben zu fahren."

Als Sozialarbeiter will sich Gershon Luxemburg nicht verstehen. Er ist Boxtrainer. Basta. Und trotzdem glaubt er, dass er in seinem Tun etwas bewirken kann - nicht im Sinne der Torah, sondern ganz praktisch, lebensnah:

"Ich würde das nicht als eine Mitzvah bezeichnen, was eine gute Tat bedeutet, aber ich hoffen dass wir durch das, was wir hier tun, was Gutes vollbringen. Ich schätze Leute nicht sonderlich, die nur rumstudieren um weiser zu werden und meinen sie könnten dadurch eine gute Tat zu vollbringen. Was haben die schon in ihren Leben. Das hier ist Leben, hier kann man etwas beitragen, und das versuchen ich. Andere Leute, die sich allein an die Rituale halten, die sind manchmal wie Steine. Die leben doch gar nicht!"