Fliegen im Theater

Von Wolf Gaudlitz |
Der russische Konzept-Künstler Ilya Kabakov arbeitete zu Sowjetzeiten im Untergrund. Seit seiner Emigration 1987 verfolgt er zusammen mit seiner Frau Emilia die Idee eines Gesamtkunstwerks mit raumgreifenden Installationen. Eine Ausstellung in München zeigt jetzt mit Theater- und Bühnenentwürfen eine andere Facette Kabakovs.
Die Einladungskarten zeigen, ebenso wie die Ausstellungsfahnen, ein auf zwei Beinen aufrechtstehendes Insekt, vorder- und rückseitig. Ein Insekt, das einer Fliegen-Art entspricht, aber es fliegt nicht, es reckt sich nur. Die zarten, milchig durchsichtigen Flügel hängen erdenschwer die Traurigkeit ab, so scheint es; die sechs restlichen Gliedmaßen, für gewöhnlich Beine, mäandern wie Fangarme, die ins Leere greifen. Aus dem runden Kopf wachsen Fühler, die an Antennen erinnern und folglich hoffnungsvoll stehen. Was ist das? Eine Werbekampagne für ein naturwissenschaftliches Institut? Nein, es ist nur Reflexion, bildlich dargestellt: der Mensch sucht Orientierung und irrt in alle Richtungen! Sein Spiegelbild könnte auch das eines nicht geschlechtsspezifischen Insektes sein, allerdings vorder- und rückseitig - vorder- und hintergründig!

Diese Zeichnung von Ilya Kabakov stammt aus dem Jahre 1995 und ist an eine "musikalische Phantasmagorie", wie er es nannte, angelehnt, die Ilya Kabakov und Vladimir Tarasov für ein Theaterstück an der Brooklyn Academy unter dem Titel "Die Fliegen in der Kommunalküche" schufen.

Aha, Schmunzeln! Schmunzeln? Beim Lesen von den absurd erscheinenden 15 Bestimmungen, die unbedingt einzuhalten, sind, wenn man sich in Kommunal- küchengemeinschaft begibt – z. B.: Wegen Brandgefahr darf keine Wäsche unter den Backofen gelegt werden.
Paradiesische Umstände, nein! Nur bei der Betrachtung seines Projektes und Modellbaues "Dantes Theater" – also Hölle und Paradies! Herr Kabakov gibt es das Paradies?

Ilya Kabakov: "Kurze Frage, kurze Antwort! Kurze Frage bitte!"

Wolf Gaudlitz: "Das Paradies, wie weit ist es?"

Ilaya Kabakov: "Es gibt keine Paradiese!"

Wolf Gaudlitz: "Aber im Theater!"

Ilya Kabakov: "Keine Paradiese gibt es!"

Wolf Gaudlitz: "Gibt es die Hölle?"

Ilya Kabakov: "Es gibt keine Paradiese! Keine Paradiese! Überall, es gibt keine Paradiese!"

Wolf Gaudlitz: "Aber die Illusion, den Traum, die Utopie?!"

Ilya Kabakov: "Keine Paradiese auch!"

Wolf Gaudlitz: "Aber es gibt eine Hoffnung!"

Ilya Kabakov: "Keine Paradiese!"

Wolf Gaudlitz: "Es gibt die Sprachlosigkeit."

Ilya Kabakov: "Das habe ich nicht verstanden, was Sie sagen. Ich muss nur sagen: Gibt es keine Paradiese!"

Als journalistischer Gesprächspartner geht man hier durch die ersten Vorhöllen. Also zurück zu den "Fliegen in der Kommunalküche", da denkt man unweigerlich an Kabakovs beeindruckende Russische Toiletteninstallation auf der IX. Documenta 1992 und da fühlt man sich zugleich in jener Kommunalküche mit Gedankengängen an Hartz IV konfrontiert; man lächelt also anders heute, anders, als damals 1992, man liest, entdeckt dieses Modell zu einer vor Jahren realisierten Theaterinstallation selbst wie ein Mitwissender, Mitleidender - auch, oder vielleicht gerade in München, wo den Kabakovs noch nie eine Ausstellung gewidmet war und wo Asylantenheime nicht weniger dicht, nicht weniger elend stehen, wie in weiten Teilen der Republik.

Videokammer Kabakov: (er spricht russisch, durchgehende russisch im monologisierenden "Dialog" mit Jan Fabre, der in diesem "Kunstprojekt" seinerseits in seiner flämischen Muttersprache antwortet – hier nun nur Kabakov – russisch!) darüber:

Kabakov spricht nicht. Er schweigt - gerne, ist wirklich ein Gesprächsverweigerer. Obwohl er doch sehr gut deutsch spricht. Also flüchtet er – "he is escaping always!" sagt seine Frau Emilia. "Nein", meint er, wenn man ihm nicht mit einem Mikrofon auflauert "Dialoge", sagt er "sollten immer in der Sprache geschehen, in der man denkt." Also auf Russisch!

Eine Videokammer soll all diejenigen, die gerne an seinen Lippen hängen würden, trösten: dort redet er - ewiglich reproduzierbar auf russisch!

Also entschuldige ich mich – ironisch wohlgemerkt! – dass ich ein Gerät mit mir führe, dass eine gewisse Reproduzierbarkeit garantieren könnte:

Ilya Kabakov: "Genau, wunderbar! Das ist gut. Prima!"

In den von den Kabakovs einladend diskret unterteilten Räumen des großen Foyers der Bayerischen Versicherungskammer in der Münchner Maximiliansstraße wird die Zurschaustellung von insgesamt neun Theater- und Bühnenprojekten zu einem Kunsterlebnis. Die von zahlreichen Skizzen und Zeichnungen begleiteten Projekte tragen sowohl einen phantastischen als auch utopischen Charakter. Mehrere von ihnen sind noch nicht realisiert worden, wohl auch weil sie utopisch bleiben müssen und folglich nicht realisierbar sind. Aber warum das alles hier? Warum nicht im Haus der Kunst, der Pinakothek der Moderne oder auch im Theatermuseum? Warum wurde der Unermüdliche, der durch die ganze Welt eilt und überall Projekte anfängt und alte – wie z.B. das Auswandererdenkmal "The last Step" in Bremerhaven aus dem Jahre 1998 in eigener Regie und Subventionierung restauriert, weil der Senat angeblich kein Geld hat – warum wird er von einer Versicherungskammer quasi wie im Fluge, einem Insekt gleich, so scheint es, ein- und abgefangen!?

Ilya Kabakov und seine Frau Emilia hatten bereits 2004 für die Bayerische Versicherungskammer eine mehrteilige, ein bisschen auch an die Oskar Schlemmer-Ballettfiguren erinnernde, großflächige Skulptur geschaffen hat, die den wunderbar leichtfüßigen Titel "Der glänzende Zirkus und seine Zuschauer" trägt. Die über dem Boden schwebende Skulptur in der Münchener Vorstadt Giesing balanciert sich ebenso verspielt wie der Titel, an der möglichen Fragestellung vorbei, welche staatlichen oder städtischen Museen in Deutschland heute noch Geld für einen Kabakov haben (wollen). Gewissermaßen aus Dankbarkeit für diesen zirzensischen Akt haben die beiden Kabakovs nun kostenfrei zusammen mit der Kuratorin Isabel Siben diese sehenswerte Ausstellung mit über zweihundert Exponaten bestückt.

Die Kuratorin Isabel Siben: "Also einmalig, unabhängig jetzt auch vom Ausstellungsort ist, dass wir jetzt erstmalig auch die Theater-Kooperationen Kabakovs sehen, in eben diesen vielen Skizzen und in den Videos auch, dass man das dokumentiert sieht. Das war noch nie ausgestellt. Das ist wirklich ein ganz neues Thema. Kabakov ist sonst bekannt für Gesamtrauminstallationen, z.B. "Der Rote Waggon", der eben die Sowjetunion zeigt, quasi als zum Raumbild gewordene Metapher. Ein Waggon, der keine Räder hat, der immobil ist, die pure Stagnation; oder auch der sowjetische Pavillon, der auf den ersten Blick so ausschaut wie ein echter sowjetischer Pavillon – "Der Rote Pavillon" auf der Biennale in Venedig. Und auf den zweiten Blick sieht man eben, es ist doch nur eine Attrappe, es hat nichts mit der Regimepropaganda zu tun. So kannte man Kabakov bisher und jetzt durch diese Ausstellung wird deutlich, dass er viel stärkere, noch poetische Qualitäten hat und eben eine Tendenz zeigt, hin zu mehr freieren Metaphern des Spieles und des Traumes. Und eben weg, abgeht, abkehrt sich von diesem sowjetischen Bild."

Ilaya Kabakov: "Keine andere Antwort, bitte - nächste Frage bitte!"

Wolf Gaudlitz: "Verstehen Sie das Wort Beharrlichkeit?"

Ilya Kabakov: "Nein!"

Beharrlich will der Künstler in russischen Wurzeln verharren. Ich gebe nicht auf, aber ich verabschiede mich von dem alten Bekannten, der vor wenigen Jahren noch wunderbare Kommentare - auf deutsch wohlgemerkt! - abgab.


Service:
Die Ausstellung "Ilya & Emilia Kabakov: Installation & Theater" ist noch bis zum 4. März 2007 in der Versicherungskammer Bayern, Maximilianstraße 53 München zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos.