Flickwerk im Kopf
Die Evolution hat keineswegs jede unserer Eigenschaften auf Zweckmäßigkeit getrimmt, schreibt der Psychologe Gary Marcus. Unser Gehirn ist ein suboptimales Flickwerk neuer und alter Schaltkreise, die sich ständig in die Quere kommen und jede Menge Fehlleistungen produzieren.
In einer Umfrage finden die Befragten es sinnvoller, Unterkünfte für Landarbeiter zu bauen, als ein Delfinschutzprojekt zu bezuschussen. Gefragt, wem sie ihr eigenes Geld spenden würden, antworten sie: den hübschen Delfinen. Probanden, die auf Bitten von Forschern mit einem Glücksrad spielen und danach die Zahl der Länder Afrikas schätzen sollen, tippen um einiges höher, wenn das Glücksrad zuvor eine hohe Zahl angezeigt hat. Und nicht weniger als sechs Prozent aller tödlichen Unfälle beim Fallschirmspringen ereignen sich, weil der Sportler vergisst, die Reißleine zu ziehen.
In seinem neuen Buch "Murks - Der planlose Bau des menschlichen Gehirns" widerspricht der US-amerikanische Psychologie-Professor Gary Marcus dem Mythos vom überragend konstruierten Gehirn. An zahllosen und höchst amüsanten Beispielen kann er zeigen: Unser Gehirn ist ein suboptimales Flickwerk neuer und alter Schaltkreise, die sich ständig in die Quere kommen und jede Menge Fehlleistungen produzieren.
Erfrischend, das in diesen Gen-verliebten Zeiten zu lesen: Die Evolution hat keineswegs jede unserer Eigenschaften minutiös auf Effizienz und Zweckmäßigkeit getrimmt, sagt Marcus. So richtet unser inneres Lust- und Belohnungssystem uns nur grob darauf aus, Angenehmes dem Unangenehmen vorzuziehen. Was sich in freier Wildbahn mit ihren kargen Wahlmöglichkeiten bewährte, versagt heute seinen Dienst. Sexsucht, übermäßiges Essen, Drogenmissbrauch und absurder Fernsehkonsum zeigen, dass unser Belohnungssystem in einer Welt der Hyperreize hoffnungslos überfordert ist.
Warum bringt unser viel gepriesenes Gehirn so häufig nur Murks hervor? Unser Denken lässt sich in zwei Ströme aufteilen, erläutert Gary Marcus. Das uralte Reflexsystem agiert schnell, automatisch, unbewusst. Der zweite, langsame Strom, das Reflexionssystem, zeichnet für Logik und bewusste Entscheidungen zuständig. Die Crux: Es ist dem Reflexsystem aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen nachgeschaltet und erhält von dort seine Informationen. Keine optimale Konstruktion, denn das dominante Reflexsystem ist nicht auf Objektivität, sondern Schnelligkeit geeicht. Was wir vor der Nase haben, erscheint uns bedeutsamer als weit Entferntes. Sofortiger Genuss lockt uns mehr als eine Belohnung übermorgen. Automatismen ("schauen, hören") drängen sich in der Vordergrund, selten ausgeführte Handlungen verblassen ("Reißleine ziehen").
Gary Marcus schreibt einen sympathisch-unaufgeregten Stil, anspruchsvolle Interpretationen wechseln mit freundlichen Eingeständnissen eigener Mangelhaftigkeit. An dieser Stelle sei auch dem Übersetzer ein Lob ausgesprochen, der meisterhaft zwischen der Übersetzung englischer Ausdrücke und dem Belassen von Originalbeispielen wechselt, ohne sich mit störenden Anmerkungen in den Lesefluss einzumischen. Nach einer spannenden Reise durch die Mängel von Erinnerungsvermögen, Sprache, Entscheidungsfindung und Lust wirkt nur das Schlusskapitel mit seinen guten Ratschlägen ein wenig mager. Auf die meisten Tipps wären wir Murks-Köpfe auch von allein gekommen. Dennoch sei das Buch wärmstens empfohlen.
Besprochen von Susanne Billig
Gary Marcus: Murks - Der planlose Bau des menschlichen Gehirns
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz
Verlag Hoffmann und Campe
260 Seiten, 22 Euro
In seinem neuen Buch "Murks - Der planlose Bau des menschlichen Gehirns" widerspricht der US-amerikanische Psychologie-Professor Gary Marcus dem Mythos vom überragend konstruierten Gehirn. An zahllosen und höchst amüsanten Beispielen kann er zeigen: Unser Gehirn ist ein suboptimales Flickwerk neuer und alter Schaltkreise, die sich ständig in die Quere kommen und jede Menge Fehlleistungen produzieren.
Erfrischend, das in diesen Gen-verliebten Zeiten zu lesen: Die Evolution hat keineswegs jede unserer Eigenschaften minutiös auf Effizienz und Zweckmäßigkeit getrimmt, sagt Marcus. So richtet unser inneres Lust- und Belohnungssystem uns nur grob darauf aus, Angenehmes dem Unangenehmen vorzuziehen. Was sich in freier Wildbahn mit ihren kargen Wahlmöglichkeiten bewährte, versagt heute seinen Dienst. Sexsucht, übermäßiges Essen, Drogenmissbrauch und absurder Fernsehkonsum zeigen, dass unser Belohnungssystem in einer Welt der Hyperreize hoffnungslos überfordert ist.
Warum bringt unser viel gepriesenes Gehirn so häufig nur Murks hervor? Unser Denken lässt sich in zwei Ströme aufteilen, erläutert Gary Marcus. Das uralte Reflexsystem agiert schnell, automatisch, unbewusst. Der zweite, langsame Strom, das Reflexionssystem, zeichnet für Logik und bewusste Entscheidungen zuständig. Die Crux: Es ist dem Reflexsystem aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen nachgeschaltet und erhält von dort seine Informationen. Keine optimale Konstruktion, denn das dominante Reflexsystem ist nicht auf Objektivität, sondern Schnelligkeit geeicht. Was wir vor der Nase haben, erscheint uns bedeutsamer als weit Entferntes. Sofortiger Genuss lockt uns mehr als eine Belohnung übermorgen. Automatismen ("schauen, hören") drängen sich in der Vordergrund, selten ausgeführte Handlungen verblassen ("Reißleine ziehen").
Gary Marcus schreibt einen sympathisch-unaufgeregten Stil, anspruchsvolle Interpretationen wechseln mit freundlichen Eingeständnissen eigener Mangelhaftigkeit. An dieser Stelle sei auch dem Übersetzer ein Lob ausgesprochen, der meisterhaft zwischen der Übersetzung englischer Ausdrücke und dem Belassen von Originalbeispielen wechselt, ohne sich mit störenden Anmerkungen in den Lesefluss einzumischen. Nach einer spannenden Reise durch die Mängel von Erinnerungsvermögen, Sprache, Entscheidungsfindung und Lust wirkt nur das Schlusskapitel mit seinen guten Ratschlägen ein wenig mager. Auf die meisten Tipps wären wir Murks-Köpfe auch von allein gekommen. Dennoch sei das Buch wärmstens empfohlen.
Besprochen von Susanne Billig
Gary Marcus: Murks - Der planlose Bau des menschlichen Gehirns
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz
Verlag Hoffmann und Campe
260 Seiten, 22 Euro