Fleiß, Fisch und Wind

Von Stefanie Otto · 06.02.2012
25 Prozent der Einwohner leben unter der Armutsgrenze. Das Land hat keine eigenen Ressourcen, keine Industrie. 90 Prozent der Lebensmittel müssen importiert werden, darunter sogar das Trinkwasser. Dennoch gelten die Kapverdischen Inseln seit 2008 als Aufsteiger Afrikas.
Edna Cruz sitzt im Schatten ihres Hauses und schält Papaya. Die Früchte aus dem eigenen Garten will sie später einkochen. Ab und zu kommen Nachbarn vorbei, mit denen sie plaudert und Neuigkeiten austauscht. Die 34-Jährige wohnt mit ihrer Familie im Bergdorf Cabo do Ribeira auf der kapverdischen Insel Santo Antão. Der kleine Ort liegt am Ende des Paùl-Tals, das sich von der Ostküste bis zum Cova Krater hochzieht. Ednas Haus aus Natursteinen und Lehm ist erst vor Kurzem fertig geworden. Das mit Stroh gedeckte Dach ist noch frisch. Drinnen ist es dunkel und angenehm kühl. Es gibt ein Schlafzimmer für die ganze Familie. Die Küche ist zugleich Ess- und Wohnzimmer. Im Regal stehen ein Dutzend Einweckgläser gefüllt mit gelierten Früchten. In einer Ecke dudelt der Fernseher vor sich hin.

"Ich bin Hausfrau und kümmere mich um meine vier Kinder. Ich koche Konfitüre, um mir etwas dazu zu verdienen ... zum Beispiel aus Guaven oder Papaya, aber hier wachsen auch viele andere Früchte. In der Gegend leben die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft. Es wird alles Mögliche angebaut. Es gibt Rüben, Zwiebeln, Salat, Kohl, Kartoffeln, Yams, Maniok, alles."

Santo Antão ist wie alle Inseln des Archipels vulkanischen Ursprungs. Im Gegensatz zur Touristeninsel Sal, die fast nur aus Dünen besteht, ist Santo Antão im Nordosten sehr gebirgig und grün. Als eine der wasserreichsten Inseln der Kapverden, wurde sie schon zur Kolonialzeit zum Export von landwirtschaftlichen Gütern auserkoren. Und auch heute noch ist der Anbau von Obst und Gemüse die wichtigste Erwerbsquelle. Doch der Anblick der steilen Schluchten und zerklüfteten Täler lässt auch erahnen, wie mühevoll die Arbeit der hier lebenden Bauern sein muss. Ednas Ehemann hat das Haus wie immer zeitig verlassen, um auf den Feldern zu arbeiten. Sie liegen unten am Bach, wo verschiedene Gemüsesorten direkt im Flussbett gedeihen.

"Wir leben hier sehr abgelegen. Die Bauern haben viel Mühe, ihre Ernte zu den Käufern zu bringen. Erst einmal muss das Gemüse zur Straße getragen werden, denn die gibt es in unserem Dorf noch nicht. Dann bringen sie es mit dem Sammeltaxi zum Markt nach Ribeira Grande oder nach Porto Novo. Der ganze Transport bedeutet viel Aufwand und ist auch noch teuer. Wenn man gleich hier verkaufen könnte, wäre es viel einfacher."

Der sogenannte Garten Eden von Santo Antão produziert schon immer eine große Menge an Lebensmitteln. Doch ab den Achtziger Jahren verlor das Paùl-Tal immer mehr an Bedeutung. Grund dafür war ein Tausendfüßler, der die Wurzeln von Kartoffeln und Tomaten angreift. Um die Plage einzudämmen, verordnete die Regierung 1984 ein Ausfuhrverbot für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Selbst mit den anderen Inseln war der Handel untersagt. Der Verlust der anderen Märkte verschärfte die ohnehin schon schwierige Situation. Doch seit ein paar Jahren geht es auf Santo Antão wieder aufwärts. Seit dem Sommer 2009 ist die neue Küstenstraße eröffnet, die das Paùl-Tal mit der Inselhauptstadt Porto Novo verbindet. Auch bis ins Dorf von Edna führt bald eine Straße. Mithilfe ausländischer Geldgeber wurden Brücken und Wasserreservoirs gebaut, um gegen die zunehmenden Dürreperioden gewappnet zu sein. Auch die Bauern des Paùl-Tals beginnen, sich zu organisieren.

"Jetzt wird hier immer öfter davon gesprochen, eine Kooperative zu gründen und so unsere Produkte gemeinsam zu verarbeiten. Eine Konservenfabrik, das fehlt uns hier wirklich. Wenn zum Beispiel jemand ein Salat-Feld hat und die Zeit kommt zu ernten, dann schafft er es manchmal gar nicht, alles rechtzeitig zum Markt zu bringen. Und so wird oft vieles noch auf dem Feld schlecht und bringt große Verluste. Das geht über die finanziellen Möglichkeiten der Bauern. Und die müssen dann in Armut leben."

Nur konserviert oder gut verpackt können die Früchte das Ausfuhrverbot umgehen und die langen Wege zu anderen Inseln überstehen. Dazu fehlte es jedoch bisher an verarbeitender Industrie. Im vergangenen Februar wurde in Porto Novo nun ein Kontrollzentrum eröffnet, das die Produkte vor der Ausfuhr auf Parasiten inspizieren soll. Dadurch konnte auch das über 25 Jahre währende Ausfuhrverbot gelockert werden. Obst und Gemüse aus Santo Antão kann nun zumindest auf die Inseln Sal und Boa Vista verschifft werden. Um die Mittagszeit erreicht die einzige Personen-Fähre von Santo Antão kommend die Nachbarinsel São Vicente. Sie fährt täglich nach Mindelo, dem größten Hafen des Landes, wo sich Handel, Industrie, aber auch das kulturelle Potenzial des Landes konzentriert. Hier lebt auch die 15-jährige Cynthia. Sie besucht die weiterführende Schule in Mindelo und hat gerade Mittagspause. Erst vor Kurzem hat sie im Unterricht gelernt, dass ihr Land bald Vorreiter bei der Förderung nachhaltiger Energien werden soll.

"Der Staat Kap Verde investiert viel in Windkraft-Projekte, denn es gibt hier immer viel Wind. 2020 sollen sogar schon 50 Prozent der Energie aus erneuerbaren Ressourcen kommen. Das Problem ist nur, dass auf den Kapverden kaum jemand von den Möglichkeiten erneuerbarer Energien spricht. Die schlechten Nachrichten verbreiten sich sofort, die guten leider nicht."

Tatsächlich sind die Kapverden für die Nutzung von Windkraft prädestiniert. Fast das ganze Jahr über weht der Nordostpassat mit durchschnittlich 25 Kilometern pro Stunde, was ausreicht um moderne Windkraftanlagen in Gang zu setzen. Bisher deckt der Inselstaat jedoch lediglich zwei Prozent seines Strombedarfs aus Windkraft. Seit dem Jahr 2000 will die kapverdische Regierung ein größeres Projekt auf die Beine stellen, um endlich weniger von den Ölimporten abhängig zu sein. Das Vorhaben musste zwischendurch immer wieder aufgeschoben werden, weil der einheimische Stromversorger Electra erst privatisiert, doch dann wieder vom Staat zurückgekauft wurde. Entwickelt wurde das Projekt letztendlich von einer öffentlich-privaten Zweckgesellschaft. Erst vor Kurzem wurde das Vorhaben mit einem Preis für erneuerbare Energien ausgezeichnet. Es ist das erste große Windkraftprojekt in Afrika und zugleich die erste öffentlich-private Partnerschaft zur Nutzung erneuerbarer Energien in einem afrikanischen Land südlich der Sahara. Öffentliche Aufmerksamkeit wird man spätestens dann erreichen, wenn in diesem Sommer auf den Inseln Santiago und São Vicente die ersten Rotoren montiert werden. Das meint zumindest Antão Fortes, seit 2006 Direktor von Electra.

"Heute ist das Projekt schon fast abgeschlossen. Die Finanzierung steht. Die Vorbereitungen wie Zugangsstraßen und Fundamente sind schon fertig und im August werden die Windkraftanlagen höchstwahrscheinlich installiert sein. Die Energie, die von den Windparks erzeugt werden liegt bei etwa 25-30 Prozent des Stromverbrauchs von Praia, Mindelo, Sal und Boavista. Es ist also ein groß angelegtes Projekt, auf dem große Erwartungen liegen. Nun müssen wir sehen, ob es wirklich eine neue Energiequelle für uns wird."

Neben den ehrgeizigen Projekten zur Nutzung von Wind und Sonne versorgt Electra alle Inseln mit Strom, produziert Trinkwasser in Entsalzungsanlagen und kümmert sich um die Abwasserentsorgung. Die dafür benötigte Energie stammt zu 96 Prozent aus Dieselkraftwerken. Dadurch ist der Staat Kap Verde fast vollständig von Ölimporten abhängig. Dabei gibt es immer noch viele Probleme. Hin und wieder fallen Generatoren oder Umschaltstationen aus. In einzelnen Stadtvierteln kommt es manchmal zu abendlichen Stromausfällen. Da ist es auch verständlich, dass viele Menschen die steigenden Stromkosten nicht bezahlen wollen. Gerade da sieht Antão Fortes den Vorteil von erneuerbaren Energien.

"Der Großteil der Produktion in Kap Verde wird mit Hilfe von Dieselgeneratoren angetrieben. Wenn der Ölpreis weiterhin so hoch bleibt, wird jede Kilowattstunde, die wir durch Windkraft erzeugen, eine Einsparung bedeuten, weil die Kosten der Ölimporte dann sinken. Das bedeutet Gewinn für das Land und indirekt auch für uns."

Auf vier der neun bewohnten Inseln sollen je nach Strombedarf insgesamt 30 Windkraftanlagen errichtet werden. Als Standort wurden dafür meist erhöhte Brachflächen in der Nähe der größeren Städte ausgesucht. Mit einer Kapazität von insgesamt 28 Megawatt könnten sie etwa ein Viertel des Energiebedarfs decken. Sämtliche Anlagen sollen bis Ende des Jahres in Betrieb genommen werden und zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Finanziert wird das ehrgeizige Projekt zum großen Teil von der Europäischen Investitionsbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank, die zusammen mehr als zwei Drittel der Gelder für das 65-Millionen-Projekt bereitstellen. Dennoch sieht es Antão Fortes als Verdienst des eigenen Landes.

"Das Land hat sich ziemlich gut entwickelt und immer zum Besseren. Tatsächlich gab es vor einigen Jahren nur ein paar Stunden Strom am Tag. Dann hat man es endlich geschafft, rund um die Uhr Strom zu liefern. Dank der Hilfen aus dem Ausland hat sich das Land entwickelt, aber muss es endlich auch allein weiterkommen. Wir gehen eine neue Herausforderung an, eine neue Epoche.".

Das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2012 25 Prozent des nationalen Strombedarfs aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen, wäre mit den vier Windparks schon erreicht. Für 2020 sind sogar 50 Prozent angestrebt. Dafür gibt es bisher noch keine konkreten Verträge. Allerdings werden dann auch Solaranlagen eine große Rolle spielen. Einzelne Pilotprojekte sind schon in Betrieb. Was für Touristen und Energieerzeuger ein Segen, ist für die Fischer von Salamansa zurzeit eher ein Fluch. Alfredo Brito Bandeira sitzt auf einer leeren Verkaufsbank am "Mercado do Peixe" und schaut dem geschäftigen Treiben des Fischmarktes zu. Wie am Fließband werden dort Fische ausgenommen und entschuppt. Riesige Thunfische sind darunter, aber auch eine Vielzahl anderer Arten, die von den Fischverkäuferinnen in Schüsseln und Eimern zum Markt getragen werden. Alfredo ist selbst Fischer aus dem kleinen Ort Salamansa, nur wenige Kilometer entfernt an der Nordostküste von São Vicente. Heute jedoch hat er nichts zum Verkauf anzubieten.

"Zurzeit können wir kaum arbeiten, denn der Wind ist viel zu stark. Die ganze letzte Woche mussten wir zuhause bleiben, weil es zu gefährlich war rauszufahren. Doch wenn wir nicht fischen haben wir kein Einkommen. Fische gäbe es genug zu fangen, doch mit dem schlechten Wetter ist es in der Jahreszeit der Winde immer sehr schwer für uns Fischer."

Der Fischfang ist traditionell ein wichtiger Wirtschaftszweig der Kapverden. Die Fischbestände sind mehr als ausreichend für den Bedarf des Landes. Gerade für den Export ist der Fischfang von wachsender Bedeutung, da Fischprodukte etwa 20 Prozent der kapverdischen Handelsausfuhr ausmachen und damit eine wichtige Devisenquelle darstellen. Hauptabnehmer sind Europa und Westafrika. Exportiert werden vor allem Frischfisch, Langusten und Thunfisch-Konserven. Eine der Konservenfabriken befindet sich auf São Vicente. Dort bringt auch Alfredo seinen Fang hin, wenn es welchen gibt. Er und seine Kollegen betreiben noch Fischfang auf die traditionelle Art und Weise. Mit kleinen Segelbooten fahren sie raus, fischen mit Leinen und haben große Mühe, den Fisch möglichst frisch an Land und zum Markt zu bringen. Manchmal fehlt es schon am Benzin für den Bootsmotor.

"Früher fuhren wir zur Nachbarinsel Santa Luzia und blieben dort zwei, drei Tage um zu fischen. Heute müssen wir fünf oder sechs Tage bleiben, um genügend zu fangen. Und dann zahlen wir auch noch mehr Geld für Kraftstoff, Köder, Eis und Verpflegung. Da bleibt meist nicht viel übrig, was man mit der Crew teilen könnte. Das liegt vielleicht daran, dass alle dorthin fahren, um zu fischen. Aber wir haben keinen andern Ort und ohne die Fischerei könnten wir nicht überleben."

Die Globalisierung des Fischfangs stellt die Fischer vor immer größere Herausforderungen. Mit ihren kleinen Segelbooten und traditionellen Fangmethoden können sie kaum mit der ausländischen Konkurrenz mithalten, die mit schwerem Gerät und riesigen Netzen viel effizienter sind. Um ihre Situation zu verbessern haben sich die 80 Fischer und Fischverkäufer von Salamansa zu einer Vereinigung zusammengeschlossen. Alfredo Brito Bandeira ist ihr Vorsitzender. Präsident der Versammlung ist Armando Luis Fortes. Er wüsste, wie man die Notlage beenden könnte.

"Hier fehlt uns wirklich ein Fischkutter mit einem starken Motor, der uns begleiten und den Fisch schneller an Land bringen könnte. Außerdem könnte es uns helfen, wenn wir in Seenot geraten. Die kleinen Segelboote gehen sofort unter, wenn sie bei starkem Wind kentern. Wir hatten sogar schon solch einen großen Kutter, doch seit einem Unfall ist er nicht mehr zu gebrauchen und uns fehlt das Geld um ihn zu reparieren."

Während die Fischer in Salamansa auf ruhigere See und Hilfsgelder warten, beraten Alfredo und Armando auf dem Markt, wie sie ihren Fischkutter wieder flott bekommen könnten. Eine spanische Organisation hat finanzielle Unterstützung angekündigt. Doch vorerst bleibt nicht nur ihr Kutter, sondern auch ihr Auto auf dem Trockenen: Heute müssen sie nach Hause trampen, denn ohne das Geld für den Fisch gibt's auch kein Geld fürs Benzin.
Zuckerrohrernte in Santo Antão, Kap Verde
Zuckerrohrernte in Santo Antão© Stefanie Otto
Straßenszene in Mindelo, Kap Verde
Straßenszene in Mindelo© Stefanie Otto
Fischmarkt in Mindelo, Kap Verde
Fischmarkt in Mindelo© Stefanie Otto