Flanierender Fährtenleser

Von Johannes Wördemann · 26.07.2013
Angefangen hat Rolf Hofmanns Interesse an jüdischer Geschichte mit einer Synagoge aus dem 18. Jahrhundert. In den vergangenen Jahrzehnten hat er zahlreiche Grabsteine fotografiert, Genealogien erstellt – und erhält hin und wieder sogar Anfragen aus den USA.
Rolf Hofmanns anfängliches Interesse an jüdischer Kultur und Geschichte war eher zufällig und etwas kurios. Vor etwa dreißig Jahren, Hofmann war gerade ins schwäbische Harburg gezogen, entdeckte er in seiner neuen Wahlheimat etwas, das dem Architekt seltsam erschien:

"Und dann habe ich dann in Harburg ein Gebäude entdeckt, von dem ich das Gefühl hatte, das gehört da eigentlich gar nicht hin: ziemlich groß mit Spitzbogenfenstern, also fast so einen gotischen Eindruck und es hat sich herausgestellt, dass das die ehemalige Synagoge war. Mit der wollte damals niemand was zu tun haben, weil die war schon zwanzig Jahre zuvor umgebaut als Bürohaus, aber vom Baukörper her - für mich - immer noch die wichtigste Synagoge in Bayerisch-Schwaben."

Kurz entschlossen kaufte der Architekt Hofmann die Synagoge aus dem 18. Jahrhundert. Dort hat er kulturelle Veranstaltungen organisiert, diese besondere Spielstätte lockte viele renommierte Künstler an.

Hofmann war den Harburgern unbequem, man wollte dort in der provinziellen Kleinstadt kein vermeintlich privates Kulturzentrum. Man hatte ja die Volkshochschule und das Rathaus, das sollte genügen. Genervt schmeißt Hofmann nach wenigen Jahren alles hin und widmet sich der "regionalen jüdischen Familiengeschichte" wie er sagt. Doch auch hier stößt er anfangs immer wieder auf Widerstand und Skepsis:

"Und dann kriegte ich irgendwann mal einen Anruf aus Denver. Es war eine ganz nette ältere Dame und die hat mir eine Fangfrage gestellt und ich bin prompt in diese Falle hineingetreten: "Are you jewish or are you aryan?" - und was sage ich, blöd wie ich bin: Arier. Damit war das Gespräch beendet. Also zwanzig Jahre jüdische Geschichte, das ist immer so eine Gratwanderung. Warum macht er das und wozu eigentlich? Was hat er davon? Verdient er damit was? Oder: Will er uns ausforschen? Also manche Nachkommen dieser Familien von einst, die sind gar nicht so furchtbar glücklich, wenn sich einer ... wenn sich ein Goy, also ein Nichtjude, mit ihrer Geschichte beschäftigt."

Die Geschichte der Familie Guldmann konnte er dann doch noch zu Ende schreiben. Zum Höhepunkt der Goldgräberstimmung wird Leopold Guldmann in Denver/Colorado das damals größte Kaufhaus errichten. Eine von den vielen faszinierenden jüdischen Familiengeschichten, die ihren Ursprung im kleinen schwäbischen Harburg hatten und die Hofmann anlässlich einer Ausstellung in einem kleinen Büchlein mit dem Titel "Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen" zusammengestellt hat. Das Beispiel der skeptischen Dame aus Denver ist extrem, meint der 70-jährige Hofmann. Gerade bei den Jüngeren tue sich etwas. So bekam er neulich per Mail folgende Anfrage aus Amerika:

"Unser Großvater Harold Motel war irgendwo in Bayern und sie wissen nicht wo das ist. Ein ganz komischer Name, Kleinerdlingen, ob ich weiß, wo das sei. Ein Vorort von Nördlingen. Und da gab es dann auch ein Foto, wie der Harold Motel dann an einem Brunnen steht und das Interessante ist, dass sein Enkel dann mit seiner Frau nach Nördlingen gekommen ist und sie haben dann das Foto noch mal nachgestellt und die waren unheimlich glücklich an einem Ort zu sein, wo ihre Familie eine Beziehung dazu hatte."

Im Internet sind seine jahrelangen Forschungsergebnisse in englischer und deutscher Sprache auf der Website allemannia-judaica.de für jedermann weltweit einsehbar. Hier findet der Suchende umfangreiche Genealogien der Familien, Gräberlisten und Fotos von Grabsteinen jüdischer Friedhöfe. Es ist das Ergebnis von 20 Jahren Sisyphos-Arbeit in Archiven und auf jüdischen Friedhöfen:

"Sie brauchen eine endlose Geduld. Ich habe jahrelang Hunderte von Seiten, Tausende von Seiten abgeschrieben. Da tut sich nicht allzu viel, der Erfolg kommt erst viel später. Was die Steine betrifft: Das sind Sandsteine und das Problem ist, die Hauptinschrift, also die hebräische Seite, die ist nach Osten gerichtet, Richtung Jerusalem und das hat natürlich zur Folge im Winter, dass Sandsteine Feuchtigkeit aufnehmen und wenn morgens Sonne raufknallt, dann sprengt das die oberste Schicht. Und nach 20 Jahren sind dann viele Inschriften unwiderruflich verloren."

Für seine engagierte Arbeit wurde Rolf Hofmann 2006 sogar mit dem Obermayer-German-Jewish History Award ausgezeichnet. Aber er will nicht im Rampenlicht stehen. Und auch die Rivalitäten mit den "studierten Historikern" sind ihm zu blöd. Seine Laien-Zunft spielt er gerne herunter, man spiele eh in einer ganz anderen Liga:

"Ich sage immer die Ebene der Kanalratten. Also es gibt eigentlich überall irgendwelche pensionierten Lehrer oder sonstige Idealisten, die sich mit der jüdischen Regionalgeschichte oder einzelnen Familien beschäftigen. Und das ist eine ganz, ganz vorzügliche Kommunikation, die da stattfindet."

Rolf Hofmann, in endloser Geduld hat er die Geschichte entblättert und aus Mosaiksteinchen konnte er am Ende ganze Lebens- ja sogar Familiengeschichten erzählen. Die Geschichten, eine Synagoge, Grabsteine, alles, sagt er, sei ihm zugefallen. Wie muss man durch das Leben gehen, um immer wieder auf solche Dinge zu stoßen?

"Als Spaziergänger, der immer mal wieder auf irgendwas stößt. Ich bin an was gekommen, wo ich mir gesagt habe: Was ist das eigentlich? Was steckt da dahinter? Ich meine mein Großvater war Kriminalkommissar - irgendwie steckt auch da was drin. Ich habe ein Gespür für etwas, was hinter einer Sache stecken kann."

Er ist mehr als ein Hobby-Forscher, er ist ein flanierender Fährtenleser, ein Treibholzsammler der Geschichte, der selbst voller Geschichten ist.
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