"Fläche ist ein knappes Gut"

Hubert Wiggering im Gespräch mit Joachim Scholl · 17.01.2013
Ackerflächen werden zunehmend auch als Anlageobjekt interessant, denn der Anbau von Energiepflanzen verspricht hohe Renditen. Doch: "Wir haben in den intensiv agrarisch genutzten Flächen sehr häufig einen massiven Rückgang von Arten", betont Hubert Wiggering vom Zentrum für Agrarlandforschung.
Joachim Scholl: Es wird bestimmt wieder köstlich: frisches, appetitliches Essen werden wir ab morgen wieder in vielen Reportagen von der Internationalen Grünen Woche in Berlin sehen. Ein strittiges Thema unter Landwirten und Experten dreht sich allerdings um die Frage, wo diese Naturgüter in Zukunft angebaut werden. Denn, so beklagen die Bauern, die Flächen für den Lebensmittelanbau werden immer geringer und teurer in Deutschland, Ackerland gilt nämlich als das neuste begehrte Objekt von Investoren. Unser Landeskorrespondent Peter Marx berichtet aus Mecklenburg-Vorpommern.

Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Hubert Wiggering in Müncheberg, den wissenschaftlichen Leiter dort am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Guten Morgen!

Hubert Wiggering: Ja, guten Morgen!

Scholl: Wir haben jetzt aus Mecklenburg-Vorpommern gehört, Herr Wiggering. Wie massiv ist diese Entwicklung insgesamt, trifft das in ganz Deutschland zu?

Wiggering: Es trifft zweifelsohne in ganz Deutschland zu, aber doch weitaus mehr in den neuen Bundesländern, wo aufgrund der ehemaligen DDR Flächen viel stärker zusammengelegt worden sind und damit andere Flächenverfügbarkeiten jetzt, was arrondierte Flächen, große Räume angeht, zur Verfügung stehen.

Scholl: Den Begriff vom Land Grabbing, den kennen wir aus Afrika und Asien, wo Länder wie China oder Saudi-Arabien riesige Agrarflächen aufkaufen, um dann für ihren eigenen Bedarf Lebensmittel zu produzieren. Zu welchem Nutzen werden denn in Deutschland Ackerflächen aufgekauft, was wird damit gemacht?

Wiggering: Also, Fläche ist ein knappes Gut, weil sich derzeit dort verschiedene Nutzungsinteressen bündeln. Das heißt, wir nutzen die Fläche für den herkömmlichen Anbau von Lebensmitteln und Futtermitteln. Gleichzeitig ist es aber für die Energiewirtschaft interessant geworden, dass wir Biomasse nutzen für die Energiegewinnung, und es ist eine Entwicklung im Gang, dass auch eine nicht energetische, stoffliche Nutzung für die chemische Industrie oder pharmazeutische Industrie immer interessanter wird. Und vor diesem Hintergrund können wir Fläche im Grunde genommen als Spekulationsgut bezeichnen.

Und zum anderen kommt dort mit hinein, dadurch, dass zum Beispiel im Zusammenhang auch mit dem Gesamtfinanzgebaren Investitionen in Immobilien und so weiter gar nicht mehr so attraktiv sind, weil dieser Markt sich zunehmend verdichtet, dass diese Ausweichmechanismen hinein in Ackerflächen für Investoren, für Spekulationen äußerst interessant ist.

Scholl: Aber worin besteht dann das Problem für die Bauern? Also, wenn dort doch angebaut wird, kann es ihnen doch gleich sein, oder nicht?

Wiggering: Es ist so, dass wir die Fläche ja nicht einfach vermehren können, sondern dieses geschieht alles auf ein und derselben Fläche. Und der Anbau von Lebensmitteln und Futtermitteln erfordert da ein teilweise anderes Artenspektrum, als wenn ich singulär Richtung Energiepflanzenanbau oder auch, was Bedarfe anbetrifft seitens der chemischen Industrie gehe. Das heißt, wir haben hier eine Veränderung des Artenspektrums, unter Umständen auch ganz andere Fruchtfolgen, die dann wiederum auch Umweltprobleme et cetera nach sich bringen können.

Scholl: Ich meine, von der Konkurrenz zwischen nachwachsenden Ressourcen, also jenen Energiepflanzen, und der Lebensmittelproduktion und den unguten Konsequenzen aus diesem Wettstreit haben wir ja schon oft gehört. Verschärft sich diese Entwicklung gerade?

Wiggering: Es ist eine gewisse Zuspitzung da, weil wir auch im europäischen Kontext auf die Agrarreformen zulaufen, wo viele Dinge 2013, 2014 jetzt greifen werden und wo eine Diskussion auch wieder in Gang ist, dass wir höhere Erträge bei der Biomasse benötigen oder auch höhere Erträge insgesamt, was die Ernährungssicherheiten anbetrifft, dass wir aber nicht mehr Fläche zur Verfügung haben, dass wir auch, was pflanzenzüchterische Maßnahmen anbetrifft oder was den Einsatz von Pflanzenbehandlungsmitteln betrifft, dass wir dort nicht endlos diese Entwicklung nach oben führen können und das ertragssteigernd einsetzen können, sondern dass wir viel stärker jetzt mit den Standortgegebenheiten umgehen müssen, dass wir die Funktion der Böden, den Wasserhaushalt und so weiter optimieren müssen, um Ertragssteigerungen hinzubekommen.

Scholl: Über Ackerlandnutzung in Deutschland, wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Geologen Hubert Wiggering vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung in Müncheberg. Nun tritt zu diesem Problem der Verknappung von Ackerflächen, Herr Wiggering, ja noch dieses zweite hinzu: Die EU-Kommission fordert, dass die Landwirte ab 2014 sieben Prozent ihrer Ackerfläche nicht mehr bewirtschaften, um ein sogenanntes Greening herbeizuführen. Was ist damit beabsichtigt?

Wiggering: Das heißt, wir haben in den intensiv agrarisch genutzten Flächen sehr häufig einen massiven Rückgang von Arten, die geschützt sind, sowohl im Bereich der Pflanze, als auch bei den Tieren. Und dem will die EU entgegenwirken. Das heißt, dass es aber nicht allein um den Artenschutz dann geht, sondern dass die Systeme an sich mehr geschützt werden, dass man die Räume, in denen diese Arten jeweils leben, an sich schützen will. Und dazu benötigt man mehr Fläche. Und vor diesem Hintergrund ist diese Forderung, in die Fläche hinein diese sieben Prozent ökologischen Vorrang zu gestalten, begründet.

Scholl: Die Bauernverbände, die laufen dagegen schwer Sturm, sie sagen, die Nutzflächen werden sowieso immer knapper. Haben sie recht?

Wiggering: Die Nutzflächen werden immer knapper aufgrund dieser Nutzungskonflikte, auch was diesen Anbau von Lebensmitteln und Futtermitteln einerseits anbetrifft, aber gleichzeitig den Anbau von Energiepflanzen oder den Anbau von Biomasse für die nicht energetisch stoffliche Nutzung. Und vor diesem Hintergrund ist hier vermeintlich eine Konkurrenzsituation.

Von wissenschaftlicher Seite würden wir aber gerne diskutieren, inwieweit es Lösungsansätze gibt, dass man diese Dinge miteinander verbindet, dass man durchaus diese Nutzung weiter verfolgt, aber in der Fläche, wo sehr starke Heterogenitäten sind, wo die Böden sehr unterschiedlich ausgebildet sind, wo der Wasserhaushalt unterschiedlich ausgeprägt ist, dass wir dort versuchen, mit diesen Standortgegebenheiten so zu arbeiten, dass wir dort, wo der Ressourceneinsatz oder Betriebsmitteleinsatz, das heißt, Aussaaten oder auch Düngemitteleinsätze oder Pestizideinsätze, nicht so effektiv sind, wo das eine Negativbilanz ergibt, dass man dort vielleicht Freiräume schafft für den Naturschutz und Trittflächen, Trittspuren in die Landschaft hineingibt und darüber Verbundsysteme entwickelt, um diesen Anforderungen an den Naturschutz ebenso gerecht zu werden.

Scholl: Das wären also die Schritte zu einer wirklichen Nachhaltigkeit bei der Ackerlandnutzung. Aber wie bewerten Sie denn die Entwicklung insgesamt, Herr Wiggering? Wird es irgendwann zu Engpässen kommen bei in Deutschland produzierten Lebensmitteln, weil die Flächen nicht mehr da sind?

Wiggering: Ich gehe davon aus, dass es in Deutschland sich neu einpendeln wird auch alleine über den Markt, ohne diesem zu viel zuzutrauen. Aber dadurch, dass zum Beispiel Nachjustierungen da sind beim Energieeinspeisungsgesetz, dass in den Märkten Lebensmittel, Futtermittel teurer werden, balanciert sich dieses anders ein.

Und die Knappheiten in Deutschland werden bei Weitem nicht so ausgeprägt sein, als wenn wir dieses im weltweiten Kontext sehen und wir hier dann auch diese Entwicklung weiter vorantreiben, dass im Sinne der nachhaltigen Landwirtschaft auch regionale Produkte in diese regionalen Märkte eingespeist werden und dieses Bewusstsein sich weiter entwickelt, gehe ich davon aus, dass die Engpässe nicht sehr dramatisch sein werden.

Scholl: Die Sorgen um immer weniger Ackerland für Lebensmittel, das war unser Thema mit Hubert Wiggering vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung in Müncheberg. Besten Dank für das Gespräch!

Wiggering: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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