Fit fürs All

Astronauten im Training

Der Astronaut Dave Wolf arbeitet im Juli 2009 außerhalb der Internationalen Space Station im Weltall.
Der Astronaut Dave Wolf arbeitet im Juli 2009 außerhalb der Internationalen Space Station im Weltall. © picture alliance / dpa / NASA
Von Thorsten Poppe · 24.01.2016
Die körperlichen Belastungen im Weltraum sind enorm. Wer sie meistern will, muss vorbereitet sein auf diese Strapazen. Trainiert werden die Astronauten überwiegend auf dem Gelände des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums in Köln. Auch an Motivationsspritzen wird hier gedacht.
Tim Peak (ESA-Astronaut): "Hello European Space Agency, this is Tim on board the international space station. I can hear you loud and clear, can you hear me?"
Astronaut Tim Peak meldet sich kurz vor Weihnachten direkt von der Internationalen Raumstation (ISS). Auf einer großen Video-Leinwand ist er zu sehen. Gerade fliegt der Brite in 400 Kilometern Höhe über den Atlantik Richtung Europa, das ermöglicht ein Zeitfenster von 20 Minuten für ein Interview. Würde das Mikrofon nicht vor ihm schweben, und im Hintergrund die Enge der Raumstation zu sehen sein, könnte es sich auch um ein ganz normales Skype-Interview handeln. Das Videosignal ist sehr stabil, obwohl er sich gerade mit 27.500 km/h pro Stunde um die Erde bewegt.
Seit drei Tagen hält er sich jetzt im Weltraum auf. Aber an die Schwerelosigkeit hat er sich immer noch nicht so richtig gewöhnen können:
Tim Peak (ESA-Astronaut): "Das Gefühl von Schwerelosigkeit ist ein bisschen so wie das erste Mal auf Skiern zu stehen, und damit versuchen zu fahren. Es dauert eine Weile sich orientieren zu können. Wenn ich beispielsweise oben in der ISS arbeite, und dabei die Sonne aus den Augen verliere, verliere ich auch noch die Orientierung. Aber es ist erstaunlich, wie schnell sich das menschliche Hirn an diese Begebenheiten anpasst, und ich denke spätestens in einer Woche werde ich in dieser Umgebung komfortabel zurecht kommen."
Peake schwebt im blauen T-Shirt in einem Raum voller elektronischer Geräte und Kabel und grinst mit erhobenen Daumen in die Kamera.
Der britische Astronaut Tim Peake am 18.12.2015 in der ISS-Raumstation.© ESA / NASA / dpa
Wer sich für das Sportprogramm von Astronauten interessiert, kommt am Mythos Raumfahrt nicht vorbei. Zuviel Aufregung verursacht auch heute noch der Flug ins All. Mit Tim Peak auf der Erde zu reden, ist deshalb fast unmöglich. Sein Terminkalender ist voll. Ein persönliches Gespräch kam nicht zustande.
Nora Petersen kennt das aus ihrer Arbeit, dabei ist sie für das Sportprogramm der Astronauten zuständig.
Nora Petersen (ESA): "Wir mussten einerseits ein Grundkonzept entwerfen, auf der anderen aber auch eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Weil wir die nächsten Jahren mit ihnen zusammenarbeiten müssen. Aber nicht soviel Gelegenheit haben sie zu sehen. Das ist wirklich schwierig. Mit einem normalen Athleten, die Trainer und Athleten sehen sich da fast täglich, oder jedenfalls mehrmals die Woche. Und wir sehen uns ein paarmal im Jahr. Und dann so eine Atmosphäre, eine Beziehung aufzubauen, eine sportliche Beziehung und den Einzelnen einschätzen zu können, dass wir ein individuelles Programm aufbauen können, ist unheimlich schwierig."
Das alles geschieht überraschenderweise nicht von Houston in den USA oder vom Sternenstädtchen vor den Toren Moskaus aus, sondern die konkrete Betreuung erfolgt von Köln. Weit hinter dem militärischen Teil des Flughafens befindet sich auf dem Gelände des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums die Basis dafür: Das Europäische Astronautenzentrum der ESA. Am Ende des weitläufigen Areals mitten im Naturschutzgebiet Wahner Heide liegt das Gebäude. Darin befinden sich zum Beispiel 1:1-Modelle der Raumstation. Oder auch riesige Tauchbecken, in denen Außeneinsätze im Weltraum trainiert werden.
Nora Petersen (ESA): "Dann zeige ich Ihnen erst einmal einen Spezialraum, bevor wir ins Gym gehen. Das ist hier unser Labor, hier führen wir die Fitnesstests der Astronauten durch. Ein kleiner abgetrennter Raum, hier nebenan sehen sie das Gym, das haben wir letztes Jahr fertig gestellt mit der Rückkehr von Alexander Gerst von der Raumstation!"
Ein Astronaut ist unter ständiger Beobachtung
Es ist ein weitläufiger Fitnessraum mit Klimaanlage, und sehr lichtdurchflutet durch die großen Fenster. Einmalig sei das auf der Welt, erzählt die Fitnesstrainerin der Astronauten. Weil sich alle anderen im Keller ohne Tageslicht befinden. Nora Petersens Begeisterung lässt sich auf den ersten Blick nicht so richtig nachvollziehen, sieht es doch hier wie in einem ganz normalen Fitnessstudio aus. Doch der Eindruck täuscht, wie sie erklärt:
Nora Petersen (ESA): "Das sind Fahrräder, die in der Lage sind, Herzfrequenz und die Trainingsleistung aufzuzeichnen. Das kann fast kein Fahrrad in einem Gym. Wir müssen immer Dateien aufschreiben, die synchronisiert sind. Also die Herzfrequenz und die Leistung weil wir das nachher in Relation zu der Leistungsfähigkeit setzen, die wir ja auch messen und beobachten. Deswegen haben wir diese Features auch mit dem Laufband, dass wir das alles auch mit dem Computer verbinden können, und dann die Daten erheben."
Denn ein Astronaut ist nicht nur verplant, er ist vor allem unter ständiger Beobachtung. Um sein Training effektiv auch während seines Aufenthalts auf der ISS durchführen zu können, werden seine Leistungswerte ständig kontrolliert. Auch während der Mission muss auf die Fitness geachtet werden, da es sich der menschliche Körper zunächst einmal in der Schwerelosigkeit bequem macht. Umso wichtiger ist der Sport oben auf der Station. Nur zu gut weiß das Alexander Gerst, der 2014 als letzter Deutscher im Weltraum war:
Alexander Gerst (ESA-Astronaut): "Es ist ein sehr wichtiger Teil für Astronauten, weil dadurch, dass in der Schwerelosigkeit unser Knochen- und Muskelsystem nicht mehr täglich belastet wird, weil die Schwerkraft fehlt, muss man das ersetzen. Sonst würde sich die Muskelmasse abbauen, sonst würde sich die Knochenmasse abbauen. Das würden wir nicht überleben, wenn wir dann nach einem halben Jahr wieder auf der Erde landen würden. Deshalb haben wir jeden Tag um die zwei, zweieinhalb Stunden Sport, die wir durchführen. Wir belasten unsere Muskeln mit komplizierten Seilzügen, wir laufen auf einem Laufband oder Ergometer. So stellen wir sicher, dass wir in einer guten Verfassung wieder zurück zur Erde kommen!"
Der Astronaut Alexander Gerst berichtet am 19.11.2014 in Köln von seiner wissenschaftlichen Arbeit auf der Internationalen Raumstation ISS.
Astronaut Alexander Gerst nach seiner Rückkehr von der Internationalen Raumstation ISS.© picture alliance / dpa - Oliver Berg
Damit das gelingt, gibt es eine ständige medizinische Betreuung vom Boden aus. Beate Fischer ist Bio-Medizinische Ingenieurin und in einem eigens installierten Kontrollraum im Kölner ESA-Gebäude dafür zuständig.
Den Kontakt zum Arzt oder zur psychologischen Betreuung stellt sie genauso her wie eine sichere Videoverbindung zwischen Boden und ISS, in der dann keiner mithören kann. Und sie kontrolliert auch, ob der Astronaut seinen täglichen Sport treibt.
Beate Fischer hat dabei nicht nur eine sichere Rückkehr zur Erde im Blick, sondern auch etwaige Notfälle. Denn es kann sehr schnell passieren, dass sich die Astronauten sofort in ihre Raumkapsel begeben müssen:
Beate Fischer (ESA): "Was auch passieren kann, wenn Ammoniak entweicht aus den Kühlschlangen, das wäre ganz grauenhaft. Oder wenn überhaupt eine giftige Substanz entweicht in die Atmosphäre innerhalb der ISS.Es ist noch gar nicht so lange her, da ist das passiert. Aber glücklicherweise war auch das ein Sensorenfehler, also ein Computerfehler im Nachhinein. Offiziell gab es ein Ammoniakleak, das haben die Daten gesagt. Vom Boden her kann man dann gar nicht soviel machen aktuell. Das machen die Astronauten selber, im schlimmsten hätte es dazu geführt, dass die Astronauten in die Sojus-Kapseln reingehen, und abdocken."
Es gehört vom Start an mit dazu, auf alles vorbereitet zu sein. Deshalb ist ständige Fitness ein Muss auf der ISS. Nicht nur um die damit verbundenen Belastungen gut wegzustecken, sondern um dem Muskel- und Knochenabbau in der Schwerelosigkeit vorzubeugen. Und um eine problemlose Rückkehr beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu überstehen. Egal ob im Notfall oder regulär nach Ende der Mission.
Trainerin Nora Petersen kämpft dabei nicht nur gegen das geringe Zeitbudget, das ihr für die Vorbereitung mit den Astronauten zur Verfügung steht. Sondern vor allem mit den erschwerten Bedingungen im All. Denn dort müssen ihre Schützlinge nicht nur allein trainieren, sie stoßen in der Schwerelosigkeit auch auf komplett andere Bedingungen. Deshalb versucht sie hier im Kölner "Gym" so gut es geht die Übungen im All zu simulieren.
"Weil wir zum einen nicht die Möglichkeit haben, sie dort oben direkt zu korrigieren, das heißt wir können also nicht direkt Feedback geben. Sie müssen also ein sehr gutes Gefühl für die Bewegung entwickeln, und das versuchen wir hier im Gym zu machen. Und zum anderen wissen wir auch, dass die Schwerelosigkeit gerade die Muskulatur, die uns hier in der Schwerkraft der Erde hilft, nämlich die stabilisierende tiefe Rückenmuskulatur, eine der ersten ist, die ihren Dienst versagt, aber wichtig is, für die Verletzungsprävention. Wenn die Muskulatur, die eigentlich die Wirbelsäule gerade hält, auch noch geschwächt ist, dann mit hohen Gewichten mit einer falschen Bewegung arbeitet, dann ist das Verletzungsrisiko unheimlich hoch. Und das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Weil das Problem ist, wenn die sich da oben verletzen, können sie nicht trainieren. Und dann sind sie für je nachdem wie schwer die Verletzung ist, Tage oder Woche ausgeschaltet, und dann haben wir wirklich ein Problem. Weil dann dieser Abbauprozess wesentlich schneller voranschreitet, als wenn wir dieses Training nicht machen."
Fahrrad, Laufrad, und eine Gewichtshebelmaschine
Auch der britische Astronaut Tim Peak hat das alles im Vorfeld seiner Mission trainiert. Kurz vor Weihnachten ist er nun seit drei Tagen oben auf der ISS. Erstmals steht er den Medien in einer Videoschalte Rede und Antwort. Allein sieben britische Reporter sind dafür aus London nach Köln angereist. Der Hype um ihn ist riesig auf der Insel. Schließlich ist er der erste britische Astronaut auf der Raumstation überhaupt. Da drängen sich natürlich auch wichtige Fragen auf, wie denn der Tee dort oben schmeckt.
Im Weltraum fehlte ihm allerdings noch die Zeit Sport zu treiben. Andere Dinge waren wichtiger. Aber demnächst hätte die Fitness für ihn und seinen amerikanischen Kollegen Tim Kopra absolute Priorität:
Tim Peak (Astronaut ESA): "Unsere erste Sportsession mit mir und Tim wird diesen Nachmittag erst sein. Wir haben drei Geräte hier oben, das Fahrrad, Laufrad, und eine Gewichtshebelmaschine, die Vakuum nutzt, um Widerstand zu erzeugen, so dass wir unsere Muskeln erhalten können. Und wirklich, ich denke es ist eine große Motivation. Denn hier zu trainieren, ist die Chance Musik zu hören, um ein wenig Ausgleich zu bekommen. Du möchtest ja auch einen Ausgleich bekommen, weil du zwar die ganze Zeit darauf verwendest, deine Muskeln zu erhalten, aber dabei entspannen kannst. Deshalb geht es gerne auf das Fahrrad oder das Laufband, um ein wenig zu trainieren."
Für das Training auf der ISS gibt es also drei Geräte: Einmal das Laufband. Dann ein Fahrrad-Ergometer, an dem man mit flexiblen Gurten festgeschnallt wird. Und es gibt eine Maschine für Kraftübungen, dem so genannten ARED: Ein Widerstandsübungsgerät. Das findet man in keinem Fitness-Studio der Welt, aber in seiner Funktion ist es mit einem Power-Reck verwandt. Also mit einer Kraftübungsmaschine, an der vielfältige Bewegungen für Muskelaufbau möglich sind.
Dieses Monstrum zu beschreiben ist schwierig. Einmal ist es isoliert von der restlichen Raumstation, damit durch die beim Training entstehenden Schwingungen zum Beispiel nicht die Sonnensegel beschädigt werden. Das ARED ist so gestaltet, dass manche Übungen auch kopfüber absolviert werden, weil das ja in der Schwerelosigkeit keine Rolle spielt. Der Astronaut wechselt also nach einer Übung seine Position, indem er sich sozusagen auf den Kopf stellt, und dann in dieser neuen Stellung die nächste aufnimmt. Ungewohnt zu Anfang, auch deshalb wird dieses Training regelmäßig vom Boden aus kontrolliert. Die Bio-Medizinische Ingenieurin Beate Fischer ist auch dafür zuständig:
"Das kann man am Boden nicht trainieren und dementsprechend muss man sich dort oben erst einmal einfummeln auf dieser Maschine, und dazu ist es wie bei jedem Sportunterricht, jedem Training auch, dass es eine Rückmeldung der Trainer gibt. Und das machen wir heute Nachmittag. Da sitzen halt die Trainer hier unten, gucken genau, was macht unser Tim dort oben an der Maschine, und geben live eine Rückmeldung. Sagen hier musste Deinen Rücken noch ein bisschen mehr gerade richten, oder du musst mehr in die Knie gehen, oder guck mal auf die Position Deiner Füße."
Jedenfalls sind mit dem so genannten ARED alle gängigen Kraftübungen möglich, die auch auf der Erde gemacht werden können. Nur, dass das ARED dabei mit Vakuum-Widerstand arbeitet, und eben nicht mit Gewichten.
"Man muss sich mit wahnsinnig Disziplin an das Training heranbegeben"
Bei den Planungen, wer von den Astronauten wann auf welchem der drei Sportgeräte auf der ISS trainiert, wird im Vorfeld schon auf persönliche Wünsche geachtet. Manche wollen direkt nach dem Aufstehen ihre zwei Stunden Sport absolvieren, Tim Peak bevorzugt den Nachmittag. Dennoch: Mehr Auswahl für das tägliche Sport-Programm gibt es dort oben nicht. Deshalb sei es mitunter schwierig den inneren Schweinehund zu bekämpfen, meint Nora Petersen:
"Also man muss sich schon mit wahnsinnig Disziplin an das Training ran begeben. Unsereins kann ja einfach bei schönem Wetter laufen, das ist nicht nur das laufen selber, das ist die frische Luft, das ist die Landschaft, das ist das Licht. Das haben die da oben nicht. die haben da oben Lärm, sie haben eng, schwitzen macht auch keinen Spaß, weil die Konvektion nicht so funktioniert wie auf der Erde. Also es ist unangenehm, es ist warm, sie haben Zeitdruck, sie müssen es jeden Tag machen, sie müssen es machen, und sie können nur die Palette von Programmen machen, weil sie nur so wenig Möglichkeiten haben."
Der spezielle Fitnessraum ist noch nicht alles in Köln. Ein paar Meter weiter in einer großen Halle gibt es das große Tauchbecken mit einer Tiefe von zehn Metern. Hier sind auch regelmäßig Tauchvereine zu Gast, die eine solche Wassertiefe in keinem Hallenbad vorfinden. Vor allen Dingen dient die Ausbildung im Wasser den Außenbordaktivitäten im All, weil die Situation am ehesten die Schwerelosigkeit simuliert. Denn darin ist wie im All eine dreidimensionale Bewegung möglich, da das Tauchbecken dieselbe Rotation ermöglicht.
Oben und unten spielen unter Wasser keine Rolle. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst erklärt, wie dabei die Einsätze im Weltraum simuliert werden:
"Da ist man wirklich in einem richtigen Raumanzug unter Wasser an einem Modell der Raumstation. Der Raumanzug ist unter Druck, das heißt jede Bewegung, die man durchführt, ist wie man einen Tennisball zerquetscht. Und da ist man sieben Stunden am Stück drin, und führt eben Arbeiten durch. Da ist man hinterher wirklich ziemlich ausgelaugt. Also man kommt raus, und fühlt sich wie nach einem Marathon. Das lohnt sich schon eine gute Kondition zu haben."
Die Astronauten gehen also in voller Montur ins Becken. In zehn Meter Tiefe stehen dann die 1:1-Modelle zum Beispiel des europäischen Columbus-Moduls der Raumstation. So übte hier einen ganzen Arbeitstag lang auch Alexander Gerst eine Notfallsituation, in der seine Kollegin bei einem Außenbordeinsatz eine Ohnmacht simulierte. Gerst musste sie schnell in die ISS zurück bringen:
"We have an emergency...!"
Die Astronauten müssen fit sein, um auch solche Herausforderungen zu bestehen. Wie wichtig der Sport für das Gehirn in der Schwerelosigkeit ist erforscht an der Deutschen Sporthochschule das Zentrum für integrative Physiologie im Weltraum. Dabei soll eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit auch in dieser Umgebung erreicht werden, damit das Gehirn Probleme schneller löst, Zusammenhänge deutlicher erkennt, und Informationen effektiver verarbeitet.
Regelmäßiger Sport als Kompensation
Professor Stefan Schneider forscht dazu auch mit Hilfe von Parabelflügen. Dabei entsteht in einem Flugzeug für 22 Sekunden Schwerelosigkeit, wenn eine Parabel geflogen wird. Die ganze Prozedur wird bis zu 30 Mal pro Flug wiederholt, um die Experimente entsprechend durchführen zu können, erklärt er anhand von Videoaufnahmen:
"Sie sehen hier links und rechts unsere beiden Probanden, die hier auf den Monitor Aufgaben absolvieren. Hier ist es eine Rechenaufgabe, die zu lösen ist. Gerade war die Phase der Schwerelosigkeit, sie haben deutlich gesehen, wie die Probanden abgehoben sind. Und die Aufgabe war diese Aufgabe in Schwerelosigkeit zu lösen. Das nächste, was sie sehen, ist jetzt die Hyper-G-Phase, sie haben jetzt zweifache Erdanziehung. Alle versuchen den Kopf möglichst ruhig zu halten, um keine sensorischen Störungen zu provozieren, und Übelkeit zu vermeiden. Und irgendwann kommt dann das Kommando 'Straight Flight', da war das Kommando. Wir sind jetzt wieder auf dem Flug gerade aus, normale Gravitation, und die Probanden, Sie sehen es hier haben ihr Experiment wieder gestartet, das heißt führen es jetzt während ein G durch, eben haben sie es noch bei 0 G durchgeführt. Und so sind wir in der Lage zu unterscheiden, ob es Effekte von Schwerelosigkeit auf die kognitive Leistung gibt."
Diese 30 Parabeln in Folge, verbunden mit einem fortlaufenden Wechsel von doppelter und keiner Erdanziehung, das schlaucht den Körper enorm. Selbst Astronauten, die mehrfach geflogen sind, sagen hinterher, jetzt bin ich erst einmal platt. Das ist schon deutlicher Stress für den Körper, fügt Stefan Schneider noch hinzu. In seiner Forschung geht es bei solchen Experimenten auch darum, den Aufenthalt auf der Raumstation so erträglich wie möglich zu gestalten. Vor allem, wie sich Sport und Bewegung als Rückzugsmöglichkeit auf die Leistungsfähigkeit der Astronauten auswirken, untersucht er auch auf der Erde:
Beim Mars500-Versuch waren sechs Teilnehmer für über 500 Tage komplett isoliert und von der Außenwelt in einem Komplex abgeschnitten. Die anfallenden Arbeiten und Tagesstrukturen wurden so gewählt, dass es einem Hin- und Rückflug zum Mars möglichst nahe kam. Hier gab es auch die Möglichkeit zum Sport treiben, u.a. auf einem Laufband. Die Forschung kennt aber auch andere Ort, die das Leben im All simulieren lassen:
"Zum Beispiel in der Antarktis. Menschen, die dann dort überwintern für neun Monate. Und da komplett in Isolation in zwei Wohnmodulen, die nicht viel größer sind als die ISS. Wo letzten Endes auch keiner rausgeht, weil wir Temperaturen von Minus 80 Grad Celsius haben. Das einzige was fehlt ist Schwerelosigkeit. Und wir haben eben zeigen können, dass diese Mangelphase der Isolation verbunden mit monotonen Tagesabläufen auch dazu führt, dass sich Verhalten verändert. Sowohl kognitive Leistungsfähigkeit nimmt ab, als auch das affektive Wohlbefinden nimmt ab. Wir waren auch in der Lage zu zeigen, dass wenn die Menschen regelmäßig Sport treiben, dass das dann als Kompensation gelten kann."
Zurzeit können die Astronauten nur mit einer russischen Sojus-Kapsel zur Raumstation fliegen. Der Pilot muss mit veralteter Technik ohne Computer-Unterstützung das Andockmanöver durchführen. Bei sehr hoher Geschwindigkeit muss er also die Dockingluke der Raumstation treffen. Um die dafür notwendigen Anforderungen im Gehirn zu untersuchen, hat Professor Schneider ein mobiles System entwickelt, was eigenständig läuft, und in einem kleinen Rucksack mit in die Kapsel genommen werden kann:
"Das ganz konkrete Projekt ist so, dass die Russen relativ intensiv das so genannte Sojus Docking Manöver trainieren. Die Sojus werden noch händisch gedockt, das läuft nicht per Computer. Sie haben zwei Joysticks, mit denen sie dann quasi die Kupplung treffen müssen. Und uns interessiert natürlich dabei zum Beispiel, wie verändert sich die Feinmotorik, wenn ich vorher Sport getrieben habe. Wird die besser, wird die schlechter, kann ich mich vielleicht besser konzentrieren, wenn ich vorher Sport getrieben habe?"
Vorbereitung auf kritische Momente nach der Landung
Auch die Landung der Sojus-Kapsel hat es in sich. Erst 70 Zentimeter vor dem Boden zünden die sechs Bremsraketen, und federn halbwegs den gewaltigen Aufprall ab. Für die Astronauten ist auch dies ein entscheidender Moment, den sie sportlich auf der ISS vorbereitet haben müssen. Denn ihr Körper ist an den Zustand der Schwerelosigkeit gewöhnt. Mit der Erdanziehung kann er deshalb noch wenig anfangen. Beispielsweise muss das Herz sich erst wieder daran gewöhnen, das Blut gegen die Schwerkraft im Körper zu verteilen. Je fitter die Astronauten, desto unwahrscheinlicher treten kritische Momente nach der Landung auf. Volker Damann war bis Ende 2015 Leiter der Raumfahrtmedizin bei der ESA:
"Wenn sie jetzt wieder zurückkommen auf die Erde, muss das Gleichgewichtsorgan wieder lernen, was oben und unten ist. Sie müssen bei jeder Bewegung das Gewicht des Armes, des Beines mit einrechnen in ihren Computer, was sie oben nicht mussten. Das heißt wenn sie irgendwas anfassen wollen, dann sind sie darüber, und den Knopf erwischen sie nicht. Das nächste Problem, dass man eventuell ohnmächtig wird. Weil das Blut in der Schwerelosigkeit gleich verteilt ist. Wenn sie jetzt auf die Erde kommen versackt wieder Blut in der unteren Körperhälfte, und dann kann es passieren, dass sie eben Blut oben beim Zentralrechner fehlt, und man ohnmächtig wird."
Direkt nach der Landung und Bergung der Astronauten beginnt die Rehabilitationsphase, die bei gut Trainierten um die drei Wochen dauert. Behutsam werden sie dabei wieder an die Schwerkraft gewöhnt. Das Schwimmbad ist hier wieder wichtig, weil Wasser trägt.
Neuerdings absolvieren die ESA-Astronauten diese Reha-Phase nicht mehr in Houston, sondern auch im Kölner Zentrum. Volker Damann weist aber noch einmal darauf hin, wie wichtig auch in diesem Fall der Sport zuvor auf der ISS ist. Neue Techniken sollen in Zukunft dabei helfen, dass es keine Motivationsprobleme gibt.
"Was mehr kommt sind Virtualisierungen, oder 3D-Animationen, dass sie die Motivation der Fitness verbessern. Für Timothy Peak haben wir einen Teil seines Laufweges in Schottland mit 3D gefilmt. Wir machen es auf einem Tablet-Computer, dass er zu mindestens quasi in seiner gewohnten Umgebung laufen kann. Und das sind so Dinge an denen momentan gebastelt wird, auch dass man vielleicht in Zukunft mit den Astronauten mittrainieren und mitlaufen kann. Der eine eben im Weltraum, der andere eben zu Hause, und ist verbunden. Das ist einfach die neue Ebene, um von der Psychologie und von der Motivation das Sportprogramm zu fördern."
Auch wegen dieser neuen Möglichkeiten überlegt Tim Peak auf der Raumstation, den London Marathon im April komplett zu absolvieren. 42,195 Kilometer angeschnallt auf dem Laufband, eine Zeit von unter vier Stunden hat er sich dafür vorgenommen. Dafür bekommt er eben als Motivationshilfe die Strecke visualisiert auf einem Tablet-Computer angezeigt. Obwohl er bisher noch keinen einzigen Meter auf dem Laufband der ISS absolviert hat, will er es unbedingt packen:
"Auf jeden Fall, ja. Ich glaube, das erste Mal auf dem Laufband hier wird am Wochenende sein. Da werde ich dann eingeführt mit meinem Gurtzeug. Aber ich habe ja bis April Zeit mich an das System zu gewöhnen, und genügend Meilen zu absolvieren, dass ich bereit für meinen Marathon bin. Und wenn das nicht klappen sollte, laufe ich spätestens im nächsten Jahr den London Marathon definitiv."
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