Fischler warnt vor Zusammenbruch des Milchmarkts

Franz Fischler im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Nach Einschätzung von Franz Fischler droht der deutsche Milchmarkt zusammenzubrechen. Grund für den hohen Preisdruck sei vor allem ein Einbruch bei der Nachfrage, sagte der ehemalige EU-Agrarkommissar und heutige Präsident des Ökosozialen Forums Europa.
Hanns Ostermann: Milch macht mobil und treibt viele der Milchbauern auf die Straßen. Mehr als 6000 Großbauern werden heute in Berlin demonstrieren. Der Streit um die Milchpreise geht in eine neue Runde, auch deshalb, weil sich die deutsche Umwelt- und Agrarministerin Ilse Aigner in Brüssel beim EU-Agrarrat für die deutschen Landwirte stark machen möchte. Tausenden Betrieben droht das Aus, weil die Milchproduktion sie teuer kommt, teurer kommt als deren Verkauf. Brüssel, sagen die Bauern, ist schuld, weil die EU und die Milchquote pö a pö nach unten fährt. Nur was ist zu tun und was darf Frau Aigner erwarten? – Ich möchte darüber mit dem früheren EU-Agrarkommissar Franz Fischler sprechen. Guten Morgen, Herr Fischler.

Franz Fischler: Guten Morgen!

Ostermann: Ist der niedrige Milchpreis ein europäisches oder ein speziell deutsches Problem?

Fischler: Nein, das ist ein europäisches Problem. Deutschland hat auch nach wie vor nicht den niedrigsten Milchpreis, aber gehört zu jenen Ländern, wo ein großer Preisdruck vorhanden ist.

Ostermann: Die Bauern sagen, die Milch ist so billig, weil die EU stetig den Markt öffnet. Das klingt ja logisch, aber ist es das auch?

Fischler: Das stimmt nur zu einem sehr kleinen Teil, nämlich in dem Maße, in dem die Quoten in den letzten Jahren aufgestockt worden sind. Das ist aber minimal im Verhältnis zum Einbruch der Nachfrage, und da ist der größte Faktor, dass in den letzten Jahren aufgrund des sehr hohen Milchpreises die Lebensmittelindustrie auf Pflanzenfette und Pflanzeneiweis zu einem guten Teil umgestellt hat, und das ist jetzt der Verlust an Nachfrage. Zudem sind auch teilweise die Exporte weniger geworden.

Ostermann: Nun ist guter Rat teuer. Die Bundesregierung möchte die direkten Beihilfen für die Bauern von Dezember auf Oktober vorziehen, der Bund will möglicherweise sofort zinslose Kredite zur Verfügung stellen. Unter dem Strich, was bringt das?

Fischler: Na ja, es gibt in der Tat Bauern, die ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, und diesen Bauern könnte man auf diese Weise schon helfen. Aber natürlich das Vorziehen um drei Monate von Dezember auf Oktober, das macht nicht wahnsinnig viel aus. Darüber hinaus gibt es aber die Möglichkeit – und das ist im Health Check vereinbart worden …

Ostermann: Wo ist das vereinbart worden?

Fischler: Im Health Check. Das ist also im Vorjahr erst beschlossen worden. Da sind kleine Anpassungen, könnte man sagen, der Milchmarktordnung beschlossen worden und im Rahmen dessen ist es auch möglich, einen speziellen Milchfonds einzurichten.

Ostermann: Ein Milchfonds, der doch aber im Grundsatz wahrscheinlich nicht helfen könnte, oder doch?

Fischler: Nein. Im Grundsatz helfen nur Maßnahmen, die Veränderungen am Markt herbeiführen.

Ostermann: Die die Strukturen ändern?

Fischler: Die Strukturen auch, aber ich glaube, primär ist die Frage, wie kann man den Milchabsatz beziehungsweise den Milchprodukten-Absatz wieder ankurbeln. Man darf ja nicht vergessen: Deutschland ist ein großer Milchexporteur und daher steht und fällt die ganze Frage, findet man neue Exportmärkte oder nicht, weil am deutschen Markt, der deutsche Konsument wird auch in Zukunft nicht mehr Milch trinken.

Ostermann: Aber auch in diesem Punkt wäre die Bundesregierung in der Pflicht, um diesen Export sozusagen ankurbelnd zu bewerten. Verstehe ich Sie da richtig?

Fischler: Ich glaube, das ist nicht nur eine Pflicht der Bundesregierung, das ist auch eine Pflicht der Milchverarbeitungsbetriebe. Ich glaube, dass die deutschen Milchverarbeitungsunternehmen viel stärker versuchen müssten, gemeinsame Auftritte auf Exportmärkten zu organisieren.

Ostermann: Ich frage mich nur: Export in Schwellenländer zum Beispiel mit EU-Exportsubventionen, das ist doch, wenn man so will, Wettbewerbsverzerrung.

Fischler: Das ist Wettbewerbsverzerrung und ich denke, dass die Exportsubventionen auch keine Dauereinrichtungen sein werden. Aber umso wichtiger ist es daher, auch ohne Exportsubventionen exportfähig zu sein, denn wenn das nicht gelingt, dann bricht der deutsche Milchmarkt komplett zusammen.

Ostermann: Sie haben der deutschen Politik einmal vorgeworfen, zu wenig aktiv Strukturpolitik betrieben zu haben, also nicht innovativ genug gewesen zu sein. Wo hätte man denn viel früher andere Weichen stellen müssen, sieht man vom Export einmal ab?

Fischler: Ich glaube, das sind zwei verschiedene Dinge. Ich habe tatsächlich gemeint, dass man in Deutschland in Punkto Milchverarbeitung oder Milchprodukte innovativer sein müsste. Man hat zu lange auf die Möglichkeit der Intervention gesetzt und damit haben sich viele Molkereien mehr oder weniger ausschließlich auf Butter und Magermilchpulverproduktion oder Vollmilchpulverproduktion beschränkt, und das sind natürlich bei weitem keine innovativen Produkte, sondern reine Commodities, also reine Grundprodukte und mit denen kann ein Hochpreisland wie Deutschland im Export niemals punkten.

Ostermann: Herr Fischler, ich danke Ihnen für das Gespräch heute Früh.

Fischler: Ja, bitte.

Ostermann: Franz Fischler war das, der frühere Agrarkommissar in Brüssel.