Fischertag in Memmingen

Fischers Fritzi will auch fischen

14:51 Minuten
Am Fischertag fischen bislang nur Männer.- So will es die Tradition. Einige Frauen in Memmingen wollen aber mitfischen.
Jeden Sommer vor den großen Ferien findet in Memmingen der Fischertag statt. Dafür hechten Männer durch den Bach und fangen die Fische. Einer von ihnen wird am Ende Fischerkönig. © Volker Preußer/imago
Von Caroline Kuban · 15.07.2019
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Im schwäbischen Memmingen findet alljährlich der Fischertag statt. Traditionell dürfen nur Männer teilnehmen, der ausrichtende Verein hält an der Regelung fest. Aber die Memmingerinnen wollen gerne mitfischen. Eine von ihnen zieht nun vor Gericht.
Wir befinden uns im Jahr 2019. In ganz Deutschland herrscht der Gleichstellungsgrundsatz. In ganz Deutschland? Nein. Eine von unbeugsamen Traditionalisten bevölkerte Kleinstadt hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Frauen der Stadt, die am Fischertag unbedingt mitfischen wollen.
"Gleichberechtigung ist, wenn ich das Gleiche machen darf. Und das ist eben: mit in den Stadtbach rein, genauso wie die Männer und die sechsjährigen Jungs mitfischen und nicht draußen stehen und Hilfspersonal am Eimer sein."
Memmingen, eine beschauliche Kleinstadt im schwäbisch-bayrischen Voralpenland. Gegründet als Siedlung in spätrömischer Zeit, erblühte sie im Mittelalter zur freien Reichsstadt. Schon vom Bahnhof sieht man die historische Altstadt mit ihren farbig angestrichenen Giebelhäusern. Rokokofassaden, hübsch dekoriert mit üppig blühenden Geranien, schmücken das Herzstück der Altstadt, den Marktplatz. Durch die vielen, kleinen Gassen schlängelt sich der Stadtbach, die Memminger Ach. Idylle pur.

Ganz Memmingen ist zum Fischertag auf den Beinen

"Der Bach war für die Handwerker immer wichtig. Sie haben vielfach ihren Abfall in den Bach geworfen und dann verschmutzte der und musste jedes Jahr einmal gereinigt werden. Wir haben im Südosten ein Ried, von da draußen sind wahrscheinlich immer Fische reingeschwommen. Und man musste, die Fische rausholen, bevor der Bach abgelassen wurde. Das war der Beginn des Fischertags."
Inzwischen findet der Fischertag jeden Sommer vor den Ferien statt. Ganz Memmingen ist dann auf den Beinen. Jährlich zieht das Spektakel rund 30.000 Zuschauer und Mitwirkende an. Reinhard Heuss ist einer von ihnen. Seit 64 Jahren fischt er in den undurchsichtigen Fluten des Stadtbaches.
"Das wichtigste Utensil ist der Fischerbära, zu deutsch ein großer Kescher. Das ist das Arbeitsgerät der Fischer, und mit dem juckt man, man springt in den Bach, aber bei uns sagt man, "ma juckt". Und dann fischt man. Punkt 8 werden drei Kanonenschläge abgeschossen, das ist das Zeichen für die Fischer. Jetzt müssen sie in den Bach, und dann wird 20 Minuten gefischt, dann ist der Bach in der Regel leer."
Knietief stehen dann Männer wie er im Wasser und fischen im Trüben nach dem dicksten Fisch.
"Derjenige, der die größte Forelle fängt, der ist der Fischerkönig. Für viele Leute, auch für mich, ist das ein Lebenstraum. Ich bin leider bloß zweimal für 2-3 Minuten König gewesen, dann kamen andere mit schwereren Forellen. Das ist natürlich schon ärgerlich, wenn einem ein Traum zwischen den Fingern zerfließt."
Ein Traum, den in Memmingen aber nur Männer träumen dürfen. Veranstalter des Festes ist der Fischertagsverein Memmingen. In seiner Satzung, die der erste Vorsitzende Michael Ruppert erläutert, heißt es: "Allein die Gruppe der Stadtbachfischer hat das Recht, am Fischertag den Stadtbach auszufischen. Stadtbachfischer kann nur werden, wer männlich ist, Mitglied des Fischertagsvereins und der Gruppe der Stadtbachfischer, und wer seinen 1. Wohnsitz seit mindestens 5 Jahren in Memmingen hat."
Eine Memmingerin, die lieber anonym bleiben möchte, hält dagegen: "Ich finde es schade. Wenn man Mädchen und Frauen zulassen würde, wäre es eine Bereicherung. Die Mädchen würden erfahren, dass sie die gleichen Dinge machen dürfen wie Jungs und nicht zurückgesetzt werden. Und auch, dass sie am Vereinsleben und später aktiv als Gruppenleiter und als Vorstand teilnehmen. Wenn ich nicht überall gleich teilnehmen darf, bin ich ausgegrenzt. Kein Wunder, wenn man nicht mehr aktiv ist."

Fischerglück qua Gerichtsurteil

Das Anliegen der Memmingerin ist delikat: Die Frau mittleren Alters möchte sich ihr Fischerglück vor Gericht erstreiten. Sie will die Satzung des Vereins ändern lassen, damit sie in die Untergruppe der Stadtbachfischer aufgenommen werden kann. Vereinsmitglied ist sie bereits.
Der Vereinsvorsitzende Michael Ruppert kontert: "Wir sind hier in einer Vereinshoheit, wo den Mitgliedern eines Vereins vorbehalten sein sollte, was dieser Verein tut, und wer das in diesem Verein tut."
Sein Argument lässt die Memmingerin kalt. Bereits vor anderthalb Jahren stellte sie den ersten Antrag. Die Delegierten des Vereins lehnten in großer Mehrheit ab. Im März dieses Jahres startete sie einen zweiten Versuch. Wieder scheiterte sie. Seitdem diskutiert ganz Memmingen, ob auch Frauen am Fischertag fischen dürfen.
Zum Beispiel im PIK, dem "Parterretheater im Künerhaus", direkt in der Altstadt. An diesem Nachmittag steht Kabarett auf dem Programm. In der Pause kommt man ins Gespräch.
"Ich finde, dass es gut ist, wie es ist. Aber wenn in der Bevölkerung eine Tendenz da ist, dass die Frauen unbedingt reinhüpfen wollen, kann man das ja überlegen", erklärt ein Besucher, der Mitte 40 und seit 20 Jahren Fischertagler ist.
Außerdem sei das Fischen körperlich fordernd: "Ich glaube, dass die meisten Frauen sich sehr unwohl fühlen würden. Wenn man da reinspringt und unter eine Brücke geht, da geht’s ganz schön zu. Das ist körperlich eine Zumutung. Da ist Strömung, da sieht man nichts, da tritt man sich gegenseitig auf das Netz, da wird gerempelt, es ist hart!" Echtes Männerwerk eben.
Seine Frau sieht das genau so: "In das dreckige Wasser möchte ich gar nicht rein. Ich bin eine Kübelfrau. Ich muss in der Früh um Viertel nach sieben am Bach stehen, dass ich meinen Platz habe. Mein Mann kommt dann Viertel vor acht angesprungen zu seinem Platz. Dann hab ich schon Wasser in den Kübel getan. Ich nehme das Netz entgegen, den Fischerbäre. Oft sind noch von der Verwandtschaft einige da. Die helfen mir dann, den Fisch in den Kübel mit Wasser zu tun. Dann muss ich gleich den Deckel drauf tun, dass der nicht rausjuckt."
Auch eine andere Frau aus Memmingen hat wenig Interesse daran, in den Bach zu springen, allerdings aus einem anderen Grund: "Die ganze Veranstaltung ist für mich ein Schmarrn. Wenn mein Sohn reinspringt, dann geht mein Mann mit zum Kübel halten."
Der Vater des Sohns hat selbst keine Ambitionen: "Es ist zum Event verkommen. Das ursprüngliche Brauchtum ist für mich nicht mehr lebendig. Jedes Mal wird der Bach zerstört, das stört mich. Der ganze Bewuchs und der Boden werden zerstört, ein Haufen Kleinlebewesen wird auch mit geopfert. Wenn man heute immer schwätzt vom Umweltschutz, finde ich das nicht so genial."

Gleichstellungsbeauftragte: Es gibt drängendere Probleme

Ein paar Schritte weiter, auf dem Marktplatz, steht Michael Ruppert, Vorsitzender des Fischertagsvereins, am Ort des Geschehens. Er kann die ganze Aufregung überhaupt nicht verstehen.
"Der Fischertag ist nicht frauenunfreundlich. Wir haben die Frauen am Fischertag in vielerlei Rollen dabei. Es gibt Aufführungen am Fischertag, es gibt Gruppen, bei denen Mädchen dabei sind. Zum Beispiel Trommlerbuben oder der Fanfarenzug. Frauen sind am Stadtbach auch als Kübelsträgerinnen, als begeisterte Fans oder Freunde da. Das Einzige, was den Frauen verwehrt ist, sind die 20 Minuten im Stadtbach. Ich glaube, da kann man die Kirche im Dorf lassen."
So sehen das auch einige Frauen in Memmingen. Margareta Böckh zum Beispiel, zweite Oberbürgermeisterin der Stadt.
"Ich denke, man muss das Ganze unter dem Aspekt der Tradition betrachten. Wir sind ja nicht die einzigen in Deutschland, die Traditionen haben, bei denen Männer bevorzugt werden. Ich finde das in Ordnung. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund gesehen hat das durchaus seine Berechtigung, auch in der heutigen Zeit. Ich bin eine sehr große Verfechterin der Gleichstellung, aber auch hier gibt es für mich Themen, bei denen ich sage: Die sind unwichtig."
Selbst die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Claudia Fuchs, sieht das ähnlich. Ihr Arbeitsalltag sei von anderen, existentiellen Themen geprägt: Häusliche Gewalt, Altersarmut, Scheidung. Mit der Diskussion um das Fischen im Bach erweise man der Emanzipation keinen Bärendienst, sagt sie.
Aber, fügt sie hinzu: "Ich denke, dass es mit der Tradition ohnehin nicht zu rechtfertigen ist. Soweit ich weiß, ist es nicht mal eine ursprüngliche Tradition. Früher waren die Frauen auch im Bach. Da ging es um Ernährung, da ging es darum, die Familie zu versorgen, das war keine männliche Domäne. Aber wie gesagt: Um ehrlich zu sein bin ich grundsätzlich emotionslos, was dieses "Bachneijucken" angeht."
Gleich gegenüber vom idyllischen Zollergarten, wo der Fischertagsverein seinen Sitz hat, befindet sich das Geschäft "Orient Flair". Ein Laden für Shishas, Wasserpfeifen-Zubehör und Tabak aller Art. Der Inhaber kommt aus Syrien, lebt seit 26 Jahren in Memmingen und war beim Fischertag schon mehrfach dabei.
"Das darf man nicht so machen wie in den arabischen Ländern. Wo die Männer alles machen dürfen und die Frauen nichts. Frauen sollten hier alle Freiheiten haben."
Nur ein paar Schritte weiter, am Marktplatz, steht eine Gruppe junger Frauen vor einer Bäckerei. Sie rauchen, trinken Kaffee. Der Fischertag ist eine coole Tradition, sagt eine von ihnen, aber die Frauen sollten sich ruhig emanzipieren.
"Die Mädels kriegen halt die alte Rolle zugeteilt. Sie dürfen den Eimer halten. Ich finde, wir sind in einem Jahrhundert, in dem es an der Zeit ist, dass ein bisschen Frische reinkommt. Es wäre cool wenn die Frau den fettesten Fisch angelt. Ich würde das so feiern!"
Zwei Querstraßen weiter, in einem italienischen Eiscafé, herrscht reger Feierabend-Betrieb. Unter den Frauen sind die Regeln des Fischertags Thema Nummer eins.
"Es gibt Ausnahmeregelungen. Ich bin seit 33 Jahren in Memmingen und es gibt Menschen, die nicht in Memmingen geboren wurden und reinspringen." An ihre Freundin gewandt sagt eine Memmingerin: "Wenn du reinspringst, halte ich deinen Kübel. Da muss man einen Gegenverein bilden, nur für Frauen." In Memmingen formiert sich also Widerstand. Nicht mehr nur die Antragstellerin zeigt sich kämpferisch. Sie beruft sich dabei auf Artikel 3 des Grundgesetzes.

Gemeinnützigkeit könnte wichtiges Argument sein

Rechtlichen Beistand erhält sie von Susann Bräcklein, einer Rechtsanwältin aus Berlin. Bräcklein, ehemals Referentin der SPD-Bundestagsfraktion und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, hat einschlägiges Engagement vorzuweisen. So setzt sie sich für die Aufnahme von Mädchen in Knabenchöre ein. Auch Mädchen können Thomanerinnen werden, sagt sie. Stimmenunterschiede seien, wenn überhaupt, nur von Experten heraushörbar.
Ähnlich argumentiert Bräcklein jetzt. Nicht nur Männer könnten Forellen fangen.
"Grundsätzlich meint Diskriminierung den Ausschluss aufgrund besonderer Merkmale. Wenn ein Verein sich der Gemeinnützigkeit und der Allgemeinheit verschrieben hat, muss er umgekehrt auch die Allgemeinheit mitwirken lassen. Der Bundesfinanzhof hat 2017 sehr klar zu einer Freimaurerloge entschieden, dass Frauen bei allen Veranstaltungen und zentralen Ritualen mitmachen dürfen müssen. Ansonsten liegt die Gemeinnützigkeit nicht vor. Das wäre der gleiche Fall beim Fischertag."
Unterstützung erfährt jene Memmingerin, die unbedingt mitfischen will, von ihrer Freundin Ruth Mair. Mehrere Aktionen haben sie schon gemeinsam gestartet, um auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Zum Beispiel mit einer 1,80 großen Fischerkönigin aus Pressspan, einer künstlerischen Laubsägearbeit. Sie stand nur einen Tag und eine Nacht auf einer Brücke am Stadtbach. Danach verschwand sie spurlos und ward nie mehr gesehen, erzählt Mair.

Heimlich nach Fischen jagen

Fischende Frauen gab es in Memmingen schon, aber bisher nur heimlich: "Ich glaube, es war 1983, als eine Mitschülerin von uns in den Bach mit der Fischermarke ihres Vaters reinging, still und unerkannt, und auch noch Forellen gefangen hat", erzählt Mair. "Vermutlich wäre das der Tatbestand der Schwarzfischerei, das hat es wohl mehrfach schon gegeben. Aber es ist nicht Sinn der Sache, dass man das so heimlich macht."
Jeder, der fischen will, muss auch fischen dürfen, ist Ruth Mair überzeugt. Zumal es am Fischertag auch männliche Kübelträger gibt und mittlerweile auch Mädchen bei den Trommlerbuben mitmachen dürfen, wenn Not am Mann ist. Oder Frauen in Männerkleidung bei den großen Wallenstein-Aufführungen alle vier Jahre als Soldaten mitspielen.
Ruth Maier: "Sollten die Frauen tatsächlich mitmachen dürfen, könnte es ja potentiell eine Fischerkönigin geben. Ich hätte schon eine Idee für eine weibliche Fischertags-Königinnen-Hymne. Ich stelle mir das ein bisschen hawaiianisch vor, mit Blumenketten. Und der männliche Blumenkönig ehrt sie. Das Lied "Schmotz, Schmotz, Dreck auf Dreck, Schellerkönigin a prächtigs Weib heit", finden die Fischer aber nicht lustig."
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