Fischer, Forscher und Fontane

Der Stechlin, ein See für alle

39:20 Minuten
Ein Blick auf den Großen Stechlinsee und dessen Ufer.
Verewigt in Fontanes Roman "Stechlin": Brandenburgs größtes Binnengewässer, der Stechlinsee. © Deutschlandradio / Liane von Billerbeck
Von Liane von Billerbeck · 09.06.2019
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Von Fontane beschrieben und bei Touristen beliebt: Bevor die Sommergäste den Stechlin beschwimmen, berudern, beschnorcheln, war die Deutschlandrundfahrt zwischen Spätherbst und Frühjahr am schönsten deutschen See unterwegs.
Der Stechlinsee kann alles sein: quecksilbergrau, karibiktürkis, preußischblau, aquamarinfarben oder tief dunkelgrün. Man erlebt ihn sanft, mit leise plätschernden Wellen, stürmisch, mit Schaumkronen wie ein Meer oder glatt wie ein Spiegel, der dem Betrachter einen Blick bis auf den Grund bietet.
Beschrieben hat ihn auch der bekannteste Brandenburger: der Dichter Theodor Fontane. Die Handlung seines berühmten Romans "Stechlin" indes hat der fast 80-Jährige in nur einem lakonischen Satz zusammengefasst: Ein Alter stirbt, zwei Junge heiraten.

In die Fußstapfen des Vaters getreten

Wie lebt es sich hier? Jenseits vom Tourismus. Wie bei Fontane suchen Menschen am Großen Stechlinsee bis heute ihren Platz. Und wie bei Fontane ist der wunderschöne See immer in Fühlung mit der großen Welt.
Der Fischer Rainer Böttcher zum Beispiel, der sein gesamtes Berufsleben vom See vor seiner Haustür leben. Seit fast vier Jahrzehnten. Wie sein Vater und sein Großvater und mittlerweile auch sein Sohn ist er Fischer geworden. Aber wollte er das eigentlich immer schon?
Der Fischer Rainer Böttcher fährt mit einem Boot auf dem Großen Stechlinsee.
An Familientradition angeknüpft: Trotz Ausbildungsvertrags für einen anderen Beruf wurde Rainer Böttcher Fischer auf dem Stechlinsee.© Deutschlandradio / Liane von Billerbeck
"Um Gottes Willen. Wenn ich so im Winter rüber gesehen habe, wenn die vom See gekommen sind. Nein, das musste dir nicht antun! Und denn kam mein Onkel, der war damals am Werbellinsee Fischer, der hat gesagt, Mensch, Rainer, überleg mal, was würde Opa dazu sagen? Meiner ist schon Elektriker geworden. Und du willst jetzt hier, weiß ich auch nicht mehr, was ich damals im Kopf hatte, wohl Kfz-Schlosser, da hatte ich sogar schon einen abgeschlossenen Lehrvertrag. Und irgendwann hab ich gesagt, ach, weißte, Onkel Siegfried, du hast recht. Ich sag: Ich mach es doch!"

"Das Stückchen Freiheit hatten wir auch in der DDR"

Und so ist Rainer Böttcher das geworden, was die anderen vor ihm gewesen sind: Der Fischer vom Stechlin.
"Ja, und jetzt im Nachhinein muss ich ehrlich sagen: Ich möcht auch nichts anderes machen. Das ist dieses Stückchen Freiheit, das hatten wir auch schon zu DDR-Zeiten. Wenn Leute manchmal fragen, das ist ja manchmal bisschen eintönig. Also, wenn wir Maränen saubermachen, das ist wirklich keine angenehme Arbeit, das ist sehr eintönig. Aber dann sag ich immer. Wissen Sie, bei Opel am Förderband, da ist es schlimmer als hier. Nein, und seitdem: ich möchte eigentlich auch nichts anderes."

Ein weltweit einmaliges Seelabor

Dann ist da auch der Forscher, der sein Labor auf dem Stechlinsee hat, an dem er den Klimawandel minutiös messen kann. Das gehört zum IGB, dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Und dieses "Seelabor" ist einmalig, und zwar weltweit.
Auf dem Institutsbötchen dahin mitgenommen hat mich Direktor Professor Mark Gessner. Mitten im Winter stehen wir da und fast bedauere ich es ein wenig, dass wir nicht übers Eis hinstapfen konnten.
Professor Mark Gessner steht auf dem Seelabour des Stechlinsee und blickt in die Kamera. Er trägt eine Winterjacke und eine Mütze.
Forschung zum Klimawandel: Mark Gessner ist Direktor des Leibnitz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, das auf dem Stechlinsee ein Seelabor unterhält.© Deutschlandradio / Liane von Billerbeck
"Der Stechlinsee hat eine ganze Reihe von Vorteilen, abgesehen natürlich von den logistischen Möglichkeiten, weil wir direkt hier am Ufer unser Forschungslabor haben. Der See ist aber auch nährstoffarm, so dass wir hier einen besonderen Typ von See haben, der sich eignet, um Effekte des Klimawandels zu untersuchen. Wir haben ein schönes Experiment gemacht. Für Seen sind ja Stürme von ganz besonderer Bedeutung, und die haben wir hier im Seelabor simuliert, um dann zu schauen, wie reagiert so ein Seeökosystem darauf?"

Zu DDR-Zeiten: AKW Rheinsberg am Stechlin

Die Gewässerökologen von heute verfügen neben ihrem Seelabor auch über einen bemerkenswerten Datenschatz. An der tiefsten Stelle, dem Punkt mit der weißen Boje, den uns schon der Fischer gezeigt hatte, werden seit mehr als 50 Jahren Daten über die Veränderung des Sees erhoben.
Das hat damit zu tun, dass in den 1950er- und 1960er-Jahren ausgerechnet hier zwischen Stechlin- und Nehmitzsee das Atomkraftwerk Rheinsberg gebaut wurde. Um radioaktive Belastungen für den See ging es bei den Datenerhebungen damals aber nicht.
Ein Blick auf den Großen Stechlinsee während der Abenddämmerung. Auf dem See ist ein Schwan.
Seit einem halben Jahrhundert wird der Stechlinsee von Gewässerökologen erforscht.© Deutschlandradio / Liane von Billerbeck
"Stattdessen hatte damals die Akademie der DDR, angetrieben durch einige Ökologen, Gewässerökologen, aber auch, und das finde ich ganz besonders bemerkenswert, vor allem, wenn man sich in die Zeit zurückversetzt, mit einer großen Technikgläubigkeit, hatten auch die Physiker damals die Vision, wir müssen versuchen zu erfassen, welche Auswirkungen hat so ein Betrieb, in diesem Fall die Einleitung von Kühlwasser auf das gesamte Ökosystem?"
Und genau da, wo seit inzwischen einem halben Jahrhundert Gewässerökologen forschen, genau da saß vorher der Fischer.
"Der Fischer war hier. Unsere Adresse ist deshalb auch noch Alte Fischerhütte. Und das ist eine ganz besondere Geschichte. Der Fischer durfte hier nicht mehr bleiben, die Forscher durften es offenbar doch. Er durfte nicht bleiben, weil er sich innerhalb eines Radius von drei Kilometern entfernt des Kraftwerks befand. Und deswegen hat man ihn ein bisschen weiter am See auf die andere Seite gebracht. Da war er dann wahrscheinlich drei Komma fünf Kilometer entfernt – und völlig sicher. Sie verzeihen mir die Ironie."

Fontanes Roman und die Wirklichkeit

Und auch zwei Pfarrer hat die Gemeinde Stechlin: Beate und Mathias Wolf. Sie ist zudem Gefängnisseelsorgerin.
"In Fontanes Roman 'Der Stechlin' gibt es hier einen Pfarrer Lorenzen, genauso wie das Schloss und der Graf Dubslaw sind das natürlich erfundene Geschichten. Es gibt immer wieder Nachfragen, wo das Schloss ist, und es gibt hier so eine riesengroße Villa, die immer als das Schloss bezeichnet wird. Aber, wie gesagt, das ist eine Geschichte gewesen, die hat sich Fontane ausgedacht. Es sind zum Teil spannende Gespräche, aber ich hab immer diesen Vergleich zu diesem Pfarrer, der real hier war. Und diese Lebenserinnerungen des Sohnes, die einfach schildern, was dieser Pfarrer hier alles gemacht hat, auch, wie die gelebt haben, über die Natur, über die Freundschaften, über diese Ausflüge, da denk ich mir: Ach, schade, dass Fontane den nicht kennengelernt hat", sagt Mathias Wolf.
Der Pfarrer Mathias Wolf steht vor einer Kirche in Stechlin. 
Keine Romanfigur: Der Pfarrer Mathias Wolf betreut die Gemeinde Stechlin.© Deutschlandradio / Liane von Billerbeck
Einmal wenigstens soll Fontane noch selbst zu Wort kommen. Genauer, die Figur, der er das letzte Wort in den Mund legt, in seinem berühmtesten Roman: Melusine, wie passend an diesem See, schreibt an den Pfarrer:
"Und nun, lieber Pastor, noch einmal das eine. Morgen früh zieht das junge Paar in das alte Herrenhaus ein, meine Schwester und mein Schwager. Erinnern Sie sich bei der Gelegenheit unseres in den Weihnachtstagen geschlossenen Paktes: Es ist nicht nötig, dass die Stechline weiterleben, aber es lebe der Stechlin."
Das komplette Manuskript der Sendung zum Nachlesen.
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