Finnische Suchspiele

Von Carola Wiemers · 22.04.2005
Seit Bertolt Brechts eigenwilligem Sonett "Finnische Landschaft" - 1940 im Exil entstanden -, glaubt jeder derart unterrichtete Leser zu wissen, dass der Finne in zwei Sprachen zu schweigen vermag. Wie sehr ihm auch die Kunst des Versteckens gegeben ist, erfährt man nun aus der steckbrieflichen Prosa des finnischen Autors Petri Tamminen.
Die Lektüre öffnet erstaunliche Einblicke in erfolgreich gefundene, verfehlte oder metaphorisch überhöhte Verstecke. So beginnt das Kabinettstückchen "Der Wald" mit der These: "Im Wald hält sich der Finne schon so lange versteckt, dass sich der Wald in ihm versteckt." Doch wer mit solcherart Verstecken Erfahrung hat, misstraut gerade auch der Offensichtlichkeit dieses Verbergens, dem die Sehnsucht des Verschwindens melancholisch eingeschrieben ist.

Die 42 Versteckgeschichten Tamminens zeigen sich darin als sehnsuchtsvolle Suchvorgänge, die chronologisch immer wieder ins Rückläufige drängen und gegen das Vergessen arbeiten. Es gelingt dem Autor, diese Sehnsucht als eine im Individuum verborgene zu entlarven und damit jenen Ort in uns selbst aufzuspüren, den Heimat zu nennen wohl am ehesten zukommt.

Exemplarisch zu entdecken ist das in Texten wie "Versteck spielen", "Die Umarmung der Mutter" oder "Der Dachboden". Der aufgesuchte Dachboden wird dabei zum gemütlichen Nest, zu dem Einsamkeit, Kindheit und Jugend gehören. "Es scheint", so der Erzähler, "als stamme alles, woran man glaubt, von hier, alle Dauerhaftigkeit und Kraft, all das, in dessen Schutz man morgens aufsteht." Natürliche Orte des Entdeckens, in denen das Verborgene Programm ist, sind dem Autor "Die Bibliothek" und "Das Antiquariat". Über letzterem schwebt vertraulich der Geruch uralten Vergessens, strecken die Schriftsteller der Welt die Hände aus. Wie Buchseiten blättert der Erzähler in den verstaubten Antiquariatsräumen die zu entdeckenden Geheimnisse auf - bis sich im letzten Hinterzimmer, durch einen Vorhang von den übrigen Räumen getrennt, der geheimste Winkel offenbart.

Petri Tamminens "Verstecke" – der Titel kann auch als subversiver Aufruf verstanden werden – lassen an Walter Benjamins "Kleine Versteck-Lehre" denken, worin an die Fairness am Ostermorgen appelliert wird, alles so "zu verstecken, dass es entdeckt werden kann". Denn "Verstecken heißt: Spuren hinterlassen. Aber unsichtbare". Zwar hat die Kunst der Spurensuche in der Literatur eine reiche und weit verzweigte Tradition, die Kunst des Spuren Hinterlassens entwirft eine andere Topographie.

So wundert es nicht, bei Tamminen schließlich auch einen kleinen Prosatext mit der Überschrift "Bücher" zu finden und darin die poetische Wollust des Autors am sprachlichen Versteckspiel: denn in einem guten Buch gibt es "Wolkenstückchen, Sehnsucht, Tod, ein Gefühl von Ferne und von Pfaden zwischen Blaubeersträuchern".

Petri Tamminen: "Verstecke"
Aus dem Finn. von Stefan Moster
Suhrkamp Verlag 2005
99 Seiten
Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel "Piiloutujan maa" bei Otava, Helsinki