Fingerübung des "Godfather"-Schöpfers

Bekannt wurde Mario Puzo mit seiner Gangster-Saga "Der Pate". Ein Jahr vor diesem Megaseller schrieb der Autor den kleinen, fiesen B-Thriller "Six Graves to Munich" über den Rachefeldzug eines US-Agenten, der von den Nazis gequält wurde. Jetzt erscheint das Buch erstmals auf Deutsch.
"Fünf Gräber nach Kairo" heißt ein berühmter Kriegsfilm von Billy Wilder. 1968, ein Jahr vor seinem Megaseller "Der Pate", legte der damals nicht sehr bekannte Mario Puzo unter dem Pseudonym Mario Cleri noch ein Grab drauf, spekulierte mit der Bekanntheit des Filmtitels und knallte einen kleinen, fiesen B-Thriller aufs Papier: Six Graves to Munich, zu Deutsch "Sechs Gräber bis München".

Es geht um den Rachefeldzug des ehemaligen OSS-Agenten Michael Rogan. Sechs Nazis – vier Deutsche, ein Italiener, ein Ungar – hatten ihn noch in den letzten Tagen des "Dritten Reichs" gefoltert und wollten ihn dann mit Genickschuss entsorgen. Doch Rogan überlebte, konnte entkommen, wurde in Amerika reich und kehrt jetzt ins Wirtschaftswunderland zurück, verbündet sich mit einer netten Hure und räumt auf: Er erledigt seine Peiniger Mann für Mann.

Das ist tatsächlich genau so trashig, wie es sich anhört. Das Buch ist teilweise grandios schlecht geschrieben – "Die drallen Brüste, die fast aus der tief ausgeschnittenen Bluse herausquollen, bebten im Rhythmus ihres raschen Atems ..." – und überrascht dann wieder mit wunderbaren Miniaturen aus dem deutschen Alltagsleben. Vor allem aus Berlin, dem "Labyrinth mit den abscheulichsten Lasterhöhlen, die man im Nachkriegseuropa überhaupt finden konnte" und wo man "Champagner (mit) kleine(n) dicke(n) Würsten von riesigen Tellern mit den Fingern" verzehrt, die man "am Tischtuch abwischt". Und in München isst man so viele Weißwürste und kneift dazu "feiste Kellnerinnen" in den Hintern, bis man sich in "riesige weiße Kotzbecken" erbrechen muss.

Das immerhin ist schon eine bemerkenswert übellaunige Einschätzung eines fett gewordenen Westdeutschlands. Auch die politischen Allianzen und Ranküne sind unappetitlich geworden. Der Kalte Krieg hat jede Moralvorstellung über Bord gespült, die sich versehentlich noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat halten können. Die alten Nazis kooperieren im Kalten Krieg fröhlich mit den Alliierten. Deswegen wird auch dem guten Rogan der Rachefeldzug immer problematischer, but a man has to do, what a man has to do. Und das macht er dann auch - robust und gespickt mit allerlei grüblerischen Gedanken über Grausamkeit, Menschlichkeit, Unmenschlichkeit, Klischee und Realitäten.

Trotz aller Ungeschlachtheit, aller Absurdität und Bizarrie der beschriebenen Umstände (man darf bezweifeln, dass sich Puzo mit längeren Recherchen aufgehalten hat), trifft der kleine Roman ein paar empfindliche Punkte. Die Kontinuität der deutschen "Eliten" vom Dritten Reich bis ins Wirtschaftswunder und in den real existierenden Sozialismus; die bräsige, selbstzufriedende Atmosphäre jener Jahre, die Wut, die ein Opfer der Nazis angesichts all dessen packen kann, die Glattzüngigkeit der Täter, die Brutalität von Heuchelei und Verrat. Man spürt die Pranke des "Godfather"-Autors, der diese Fingerübungen für sein Epos gut brauchen konnte. Sehen kann man auch, dass aus Mario Cleri auch als Mario Puzo kein Feinmotoriker der Erzählkunst werden würde. Aber das hat ja dann Francis Ford Coppola für ihn übernommen.

Besprochen von Thomas Wörtche

Mario Puzo alias Mario Cleri: Sechs Gräber bis München
Roman
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
kuk/Edition Phantasia, Bellheim 2001
196 Seiten, 19 Euro