Finanzmakler gegen Internetunternehmer

Von Elske Brault · 14.09.2012
Für sein neues Stück hat sich der Kleist-Preisträger Albert Ostermaier von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" inspirieren lassen. Was als Kapitalismuskritik gedacht war, verliert sich darin, Klischees über Spekulanten mit vorhersehbaren Metaphern auszutapezieren.
Der Boxring, den Albert Ostermaier als Bühnenbildanweisung in seinem Stück vorgesehen hat, fehlt, aber eine Art Sandsack hängt in der Mitte der leeren weißen Bühne: Eine riesige Schweinehälfte. Auf die drischt Shylock (Dominique Horwitz) zu wummernden Techno-Beats ein:

"Am besten kauft man dann, wenn das Blut auf den Strassen klebt. Selbst, wenn es dein eigenes ist. Mein eigen Fleisch und Blut."

Bloß: So viel Blut und Fleisch, wie der Text von Albert Ostermaier verspricht, werden wir in der blutleeren Inszenierung von Dominique Schnizer zu keinem Zeitpunkt zu sehen bekommen.

Ostermaier hat das vielgesichtige Shakespearesche Personal eingedampft auf einen zentralen Generationenkonflikt: Alte Finanzmakler gegen junge Internetunternehmer. Der schwermütige, gutherzige Antonio ist hier angelegt wie ein Geschäftsmann alten Stils, ein Michael Otto: Er gibt sich altruistisch und investiert scheinbar in soziale Projekte, doch nur, so offenbart sein Gegenspieler Shylock, weil er davon profitiert.

Der "Jude" Shylock ist der verachtete Aufsteiger aus einem fremden Kulturkreis, eine Mischung aus Mafioso und charmantem Lebenskünstler. Beide gehen bei ihren Finanzspekulationen problemlos über Leichen, weil die realen Folgen ihrer virtuellen Schiebereien mit Fleischkontrakten und Geld für sie nicht spürbar werden. Zugleich steigt ihr Begehren nach Körperlichkeit, nach wirklicher Liebe statt käuflichem Sex: Antonio liebt seinen jungen Freund Bassanio, Shylock ist nichts auf der Welt so wichtig wie seine Tochter Jessica, die er hilflos zu beherrschen versucht wie seine Geschäftspartner. Letztlich ist auch der Handel mit Antonio, ein Pfund Fleisch als Pfand für 3000 Dukaten, motiviert von dem Wunsch, zu dem Feind in Beziehung zu treten: Wenn von ihm schon keine echte Anerkennung zu bekommen ist, so erzielt er wenigstens echte Rache und echten Hass.

Die beiden Ekelpakete des Börsenparketts in ihren gut geschnittenen Anzügen sind jedoch noch vergleichsweise liebenswert, betrachtet man die nächste Generation: Bassanio und Portia. Die reiche Erbin, um die Bassanio mit den geliehenen dreitausend Dukaten freit, schlüpft hier gleich zu Beginn des Stücks in Männerkleider und verwandelt sich in den Internetpunk Gratiano: Er prophezeit die Abschaffung der Banken. In Zukunft werde es nur noch soziale Credits im Internet geben. Die Zahl der Vertrauenspunkte, von virtuellen Freunden vergeben, entscheide über die Geschäftsfähigkeit und Kreditwürdigkeit. Es ist eine gruselige Vorstellung, dass ein entfesselter Mob im Netz über das wirtschaftliche Weiterleben oder auch den Tod eines Individuums entscheiden könne, und aus dieser Idee hätte sich dramatischer Honig saugen lassen.

Zwar hat Ostermaiers Shakespeare-Extrakt an keiner Stelle das Format von Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns": Während sie zeigte, wie die Sehnsüchte der Kleinanleger die große Geldverbrennungsmaschine namens Finanzspekulation anheizen, beschränkt "Ein Pfund Fleisch" sich darauf, die Klischees über Spekulanten mit mehr oder minder vorhersehbaren Metaphern auszutapezieren:

"Niemand macht sich die Finger schmutzig. Alle waschen sich die Hände permanent in Unschuld. Die Börse - ein einziger Waschzwang."

Aber ein bisschen mehr hätte sich aus dem Text doch machen lassen. Dominique Schnizer lässt ihn brav aufsagen auf der sterilen weißen Bühne (Bühnenbild: Christin Treunert), nur akustisch wetzt ein Musiker im Hintergrund die Messer, über die Videoleinwand toben aufgebrachte Massen ästhetisch einwandfrei in schwarz-weiß, und das Herz, das Antonio Shylocks Diener Tubal aus dem Leib schneidet, um es anstelle des eigenen zum Pfand zu geben, markieren die Schauspieler nur, ein Organ aus Luft.

Die Inszenierung krankt an eben jener Virtualität, unter der die Figuren im Text leiden, zumal einzig Dominique Horwitz tänzelnd, schwitzend und Grimassen schneidend ein wenig sinnliche Präsenz auf die Bühne bringt. "Ich brauch jetzt einen Schnaps", sagt eine Zuschauerin beim Rausgehen. Oder auch ein anständiges Schnitzel. Eben jenes Pfund Fleisch, das diese Uraufführung den Theaterbesuchern leider vorenthalten hat.