Finanzkrise

Banken zur Kasse bitten "ist der richtige Weg"

13.12.2013
Wolfgang Köhler, Vorstandsmitglied beim Interessenverband Finance Watch, kritisiert, dass trotz des Kompromisses zur Bankenabwicklung der von den Kreditinstituten betriebene Eigenhandel und das Derivategeschäft weiterhin ein großes Risiko für die Anleger und die Allgemeinheit darstellten.
Julius Stucke: In wessen Interesse fallen in der EU Entscheidungen – im Interesse der Bürger, im Interesse einzelner Parteien oder im Interesse der Wirtschaft? Das sind Fragen, die sich regelmäßig stellen lassen, denn eins ist klar: Es prallen eine ganze Menge verschiedener Interessen aufeinander in der EU, egal, ob es um Gurkenkrümmung, Verbraucherschutz, Fischereiquoten oder um die Bankenunion geht. Bankenunion – damit will die EU Europas Finanzsektor stabiler machen und sie will sicherstellen, dass der Steuerzahler künftig nicht mehr für Pleitebanken zahlt. Erste Kompromisse haben die EU-Finanzminister in dieser Woche gefunden, kommende Woche wird dann weiter dran gefeilt. Es geht um die Frage: Wie werden Banken in Schieflage abgewickelt? Wer entscheidet, wer zahlt? Nicht mehr der Steuerzahler, so heißt es. Macht die EU da also gerade Politik im Sinn der Steuerzahler?
Darüber spreche ich mit Wolfgang Köhler, Vorstandsmitglied bei Finance Watch, das ist eine Organisation, die ein Gegengewicht zur Finanzlobby in Europa sein will. Guten Morgen, Herr Köhler.
Wolfgang Köhler: Ja, guten Morgen.
Stucke: Ja, Herr Köhler, in wessen Interesse schreiten die EU-Finanzminister da gerade voran?
Köhler: Na, ich glaube, da wird schon im Interesse der Allgemeinheit der Gesellschaft gehandelt, aber die Finanzlobby ist natürlich stark und versucht immer wieder, ihre Interessen durchzusetzen. Dafür gibt sie viel Geld aus und kommt oft auch damit durch.
Stucke: Gibt es denn in diesen Kompromisslinien zur Bankenabwicklung ein, zwei Punkte, wo Sie sagen: Da sieht man genau, da spielt das Interesse der Banken eine Rolle, der Finanzwirtschaft?
Köhler: Das ist schwierig, weil in den letzten Kompromissen doch die Politiker das letzte Wort haben. Aber ich könnte mir vorstellen, dass beispielsweise bei der Frage, ob Banken präventiv gerettet werden können, doch mit Steuerzahlergeld – das ist so verabschiedet worden, wenn Banken sich rechtzeitig melden, dass sie eine Schieflage haben, dann können sie auch in Zukunft noch vom Staat gerettet werden –, das ist beispielsweise so ein Punkt, wo ich mir denken könnte, dass da auch die Banken ein großes Interesse daran hatten. Denn wenn eine Bank mit einer impliziten Staatsgarantie handeln kann, dann kann sie sich günstiger refinanzieren, dann bekommt sie günstiger Geld als eine andere Bank, die nur ihre eigenen Risiken vorzuweisen hat und dann auf den Kapitalmärkten antreten muss, um Geld zu holen.
Stucke: Also da sehen Sie schon einen Punkt, wo Sie sagen: Da könnte durchaus Lobbyinteresse die Feder geführt haben. Kann man solche Einflussnahme denn irgendwie festmachen beweistechnisch, kann man sagen, da ist ja irgendwie was geschehen? Oder ist es immer nur die Vermutung?
Köhler: Ich denke, man müsste bei den Treffen von Politikern und Banklobbyisten dann daneben sitzen, quasi als Mäuschen, um es genau zu wissen, und das ist nun mal leider nicht der Fall: Diese Unterhaltungen sind in der Regel vertraulich.
Stucke: Nun sind Interessenvertretungen ja per se nichts Verwerfliches. Ihre Organisation Finance Watch ist ja quasi auch eine Lobby gegen die Finanzlobby. Warum ist es denn jetzt hier im Beispiel dieser Bankenunion problematischer?
Köhler: Es ist problematischer, weil so riesige Summen Geldes auf dem Spiel stehen, wie wir gesehen haben, vierstellige Milliardenbeträge, die in der Krise, in der Bankenkrise aufgewendet werden mussten, um das System zu stabilisieren. Deswegen ist das so bedeutsam.
"Risiko einer Pleite hat eine ungeheuer disziplinierende Wirkung"
Stucke: Lassen sich denn hier irgendwie andere Wünsche, die Sie hätten, durchsetzen gegen die Lobby der Banken?
Köhler: Von uns aus, meinen Sie?
Stucke: Ja.
Köhler: Ja, sicherlich. Also eines ist ganz sicher: Die Entscheidung, erst die Eigentümer der Banken und dann die Gläubiger der Banken zur Kasse zu bitten, wenn eine Bank in die Krise gerät, das ist der richtige Weg. Und zwar deswegen, weil das Risiko einer Pleite eine ungeheuer disziplinierende Wirkung hat auf Eigentümer, die natürlich auch Rendite sehen wollen, und die Gläubiger. Die gucken dann, wenn eine Pleite droht, die gucken dann sehr genau hin, was die Bank macht und sie wollen ja ihr Geld zurück haben, sie schauen sehr genau hin, welche Risiken so eine Bank eingeht. Das ist ein richtiger Schritt, den haben wir auch gefordert. Nur: Das reicht nicht aus. Wenn wir daran denken, dass große Banken das Einlagen- und Kreditgeschäft nur noch als Nebentätigkeit betreiben und in der Hauptsache Eigenhandel betreiben und ein riesiges Derivategeschäft aufbauen oder aufgebaut haben – da stecken Risiken drin, die die Einleger und die Allgemeinheit gefährden.
Stucke: Gefährden, ja. Sie sagen, haben es vorhin gesagt: Hunderte Millionen stehen der Finanzwirtschaft zur Verfügung, um ihre Interessen auch in Brüssel durchzusetzen. Was müsste denn geändert werden, um die Interessen von Steuerzahlern hier stärker durchzusetzen?
Köhler: Es müsste ein deutlicheres Bewusstsein da sein, was der Gesellschaft insgesamt dient, und nicht so sehr immer der betriebswirtschaftliche Aspekt im Vordergrund stehen: Was nützt der Wirtschaft beziehungsweise den einzelnen Unternehmen? Dieses Gemeinwohldenken, das ist in den vergangenen Jahrzehnten etwas in den Hintergrund gedrängt worden. Richtig war immer nur, was den einzelnen Unternehmen dient. Wir haben Angebotspolitik betrieben, das heißt, die Staaten haben eine Politik betrieben, die die Rahmenbedingungen für Unternehmen immer weiter verbessern sollte, und dabei ist das Gemeinwohl als Idee weit in den Hintergrund getreten, und es kommt jetzt wieder neu zum Vorschein.
Stucke: Das ist das Problem, Herr Köhler – aber kann man daran was ändern?
Köhler: Es muss sich das Denken ändern.
Stucke: Das wird schwierig.
Köhler: Wir denken in bestimmten Schablonen, und wir haben uns das so angewöhnt, es ist ein Denken zum Beispiel in nationalen Kategorien. Wir haben aber eine Währungsunion mit einer Einheitswährung, das heißt, wir sind wirklich eine Gemeinschaft. Und wir haben da zurzeit noch ein Problem, zum Beispiel Schuldenproblem, und das Geld fließt von Nord nach Süd und von Ost nach West, und mit ihm fließen die Risiken, völlig grenzenlos. Entschieden wird aber letztlich im Zweifel im Ministerrat, nein, nicht im Ministerrat, im Europäischen Rat, und dort sitzen die Vertreter nationaler Regierungen, die natürlich ihre nationalen Interessen, so, wie es ihre Aufgabe ist, verteidigen. Und da ist ein Bruch, der muss gekittet werden. Es muss Institutionen geben, die das Gemeinwohl, das europäische Gemeinwohl im Auge haben.
Stucke: Weg von den nationalen Entscheidungen.
Köhler: Der ehemalige Notenbankpräsident Trichet hat neulich gesagt: Das Europäische Parlament ist die einzige Institution, die das große Ganze im Blick hat.
Stucke: … sagt Wolfgang Köhler. Europäische Finanzpolitik in wessen Interesse? Wolfgang Köhler von Finance Watch, einer Lobby gegen die Finanzlobby. Herr Köhler, danke Ihnen und einen schönen Tag.
Köhler: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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