Finanzierung

    "Schönwetter-Koalitionsvertrag" in der Kritik

    28.11.2013
    Es sei eine vorsichtige, ehrgeizige aber auch realistische und verantwortliche Finanzplanung: Ressortchef Wolfgang Schäuble lässt Kritik an seinen Berechnungen nicht zu. Wirtschaftsexperten zweifeln jedoch.
    Finanzminister Wolfgang Schäuble weiß ganz genau, wie viel die Große Koalition - wenn sie denn zustande kommt - bis 2017 ausgeben kann will: "Es sind 23,06 Milliarden für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017 einschließlich - nicht mehr, sondern exakt diese Zahl."
    Die Ausgaben - etwa für Verkehrswege, Bildung, Forschung, Entwicklungshilfe oder auch als Zuschuss für die Rentenversicherung - seien alle solide finanziert und durchgerechnet. Zweifel an diesen Zahlen lässt Schäuble nicht zu. Dabei waren noch während der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag die frei verfügbaren Überschüsse auf 15 Milliarden Euro beziffert worden. Wirtschaftsexperten zweifeln an der Solidität der Finanzierung und kritisieren, dass die Pläne von der risikobehafteten Erwartung einer positiven Konjunktur ausgehen.
    Wolfgang Schäuble ist sich sicher, dass die zusätzlichen 8 Milliarden Euro im Haushalt bis 2017 relativ leicht aufzutreiben sind. Schließlich gebe es immer etwas Luft in einem Haushalt, so der Finanzminister am Morgen im Deutschlandfunk, in Form sogenannter globaler Minderausgaben: "Das sind nichts anderes als Reserveposten. Wenn sie das dazurechnen und bestimmte, nicht ausgewiesene stille Reserven mobilisieren, die man immer in der Haushaltsplanung hat – wir waren ja in allen zurückliegenden Jahren in den tatsächlichen Zahlen immer besser: immer weniger Schulden, immer weniger Ausgaben, als am Anfang geplant - dann ist das eine vorsichtige, ehrgeizige aber realistische, verantwortliche Planung."
    Diese Planung könnte etwa mit einbeziehen - um ein Beispiel für eine stille Reserve zu nennen - dass der Bund eventuell weniger Entschädigungen für die Hochwasserschäden in diesem Jahr aufbringen muss. Absehbar, aber auch nicht sicher, ist auch eine Milliarden-Nachzahlung, auf die der Bund hoffen kann, falls der seit Jahren laufende Rechtsstreit mit dem Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect einmal zu seinen Gunsten ausgehen sollte.
    Chef der Wirtschaftsweisen: Pläne führen zu dauerhaften Mehrausgaben
    Es bleiben Zweifel an der Solidität der Ausgabenplanung: Christoph Schmidt, der Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, hält die geplanten Mehrausgaben bestenfalls bis 2017 gedeckt: Von einer ausreichenden Finanzierung der geplanten Mehrausgaben könne keine Rede sein, sagte Schmidt der Zeitung "Die Welt". Derzeit profitiere die Politik von Sonderfaktoren wie einem extrem niedrigen Zinsniveau, einem demografischen Zwischenhoch und der unvermindert wirkenden kalten Progression, bei der auf die Arbeitnehmer nach Lohnerhöhungen eine stärkere Steuerlast zukommt. Das bringe dem Staat zwar Mehreinnahmen ein, diese seien jedoch zeitlich befristet.
    Auch die Pläne für eine abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren, eine Mütterrente sowie die solidarische Lebensleistungsrente führten zu dauerhaften Mehrausgaben, erklärte Schmidt gegenüber der Zeitung: "Sie müssen zwangsläufig über höhere Beiträge, zusätzliche Steuer-Zuschüsse oder eine Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus finanziert werden."
    Gutgehende Konjunktur wird vorausgesetzt
    Auch Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, fürchtet, dass die neue Koalition schon früh in die Bedrouille kommen könnte: "Im Zweifel ist es ja so: Die Ausgaben, die beschlossen sind, die kommen auf jeden Fall. Nur die Einnahmen kommen nur dann, wenn die Konjunktur wirklich gut läuft. Mir scheint, dass dieser Koalitionsvertrag ein Schönwetter-Koalitionsvertrag ist. Der ist nicht darauf vorbereitet, dass auch Schwierigkeiten wieder ins Haus stehen können."
    Ebenfalls skeptisch betrachtet Michael Bräuninger, Forschungsdirektor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, die Pläne. Er verweist darauf, dass auch die eingeplanten Überschüsse von 15 Milliarden Euro bislang nur auf dem Papier stehen und bislang unsicher sind. Er mahnt daher zur Vorsicht:
    Warnt davor, finanzielle Puffer zu vernachlässigen: Wirtschaftsforscher Michael Bräuninger
    Warnt davor, finanzielle Puffer zu vernachlässigen: Wirtschaftsforscher Michael Bräuninger© dpa / picture alliance / Sabine Vielmo
    "Man tut so, wir hätten also einen Überschuss von 15 Milliarden nach der Prognose, und dass man diesen Überschuss vollständig verteilen kann. Es ist aber eigentlich so, dass wir das Ziel haben, in Zeiten guter Konjunktur - und diese 15 Milliarden erhalten wir nur in guter Konjunktur – auch mal Überschüsse im Bundeshaushalt stehen lassen sollte, damit man sich in Zeiten schlechter Konjunktur dann später mal wieder Defizite leisten kann." Solche finanziellen Puffer seien bislang völlig vernachlässigt worden, so Bräuninger weiter, "Hier ist so getan worden, als ob man alles, was jetzt in den Haushalt reinkommt, auch wieder ausgeben kann."
    Damit die Koalition die Pläne doch noch ohne Steuererhöhungen finanzieren könnte, wäre es sinnvoll, Ausgaben an anderer Stelle zu kürzen, meint der Wirtschaftsexperte Bräuninger: "Es gibt noch einen Haufen an Ausgaben, die aus ökonomischer Sicht nicht besonders sinnvoll sind." Dazu gehörten etwa die Steuererleichterungen für das Hotel- und Gaststättengewerbe, oder das Betreuungsgeld.

    bre mit Informationen von Theo Geers, AFP, Reuters
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