Finanzexperte: Weltgemeinschaft braucht Währungspolizisten
Der Finanzexperte Professor Wilhelm Hankel hat die G 7 aufgefordert, zur Vorbeugung internationaler Finanzkrisen scharfe Kontrollgesetze zu beschließen. Die Weltgemeinschaft brauche auf dem Finanzsektor eine "tiefgreifende Revision" der bestehenden Globalisierungspraktiken, sagte Hankel im Deutschlandradio Kultur anlässlich des G7-Finanzministertreffens in Tokio.
Moderator: Heute kommen in Tokio die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industrieländer zusammen, an Gesprächsstoff dürfte dabei kein Mangel herrschen. Dafür haben die Turbulenzen an den Finanzmärkten gesorgt, ausgelöst durch die Kreditkrise in den USA. Die hat mittlerweile auch einheimische Banken, wie etwa die WestLB, in Schwierigkeiten gestürzt. Jetzt geht es darum, diese Turbulenzen in den Griff zu kriegen und eine Rezession, vornehmlich in den USA, abzuwenden, denn deren Folgen bekäme die gesamte Weltwirtschaft zu spüren. Wo ist der Hebel anzusetzen? Dazu Fragen an den Finanzfachmann und Wirtschaftswissenschaftler Professor Wilhelm Hankel. Guten Morgen, Herr Hankel!
Wilhelm Hankel: Guten Morgen!
Moderator: Zunächst - wie ernst ist denn die Lage aus Ihrer Sicht wirklich? Finanzturbulenzen klingt ja relativ harmlos. Steht uns der ganz große Ärger noch bevor?
Hankel: Nicht unbedingt, das hängt jetzt sehr stark davon ab, ob die Leute, die sich in Tokio versammeln, die richtigen Diagnosen stellen und vor allen Dingen auch die richtigen Therapien ergreifen. Und sie haben allen Grund, sich ein bisschen mitschuldig an der Krise zu fühlen, denn die ist ja nicht vom Himmel gefallen.
Moderator: Was meinen Sie damit?
Hankel: Die konnte man lange voraussehen, eigentlich schon seit Jahren voraussehen, und trotzdem sind die Währungshüter dieser Erde mal wieder total überrascht. Das spricht natürlich nicht für ihre Einsicht- und Diagnosefähigkeit, aber deswegen können sie trotzdem jetzt noch immer die richtigen Maßnahmen ergreifen.
Moderator: Das ist genau die Frage: Wo liegen diese richtigen Maßnahmen? Der Bundesfinanzminister, Herr Steinbrück, hat sich für deutliche Aussagen der sieben führenden Industrieländer zu den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ausgesprochen. Ist das wirklich mehr als das sprichwörtliche laute Pfeifen im Wald? Ist die Politik nicht eigentlich machtlos gegen den Fluss der internationalen Finanzströme?
Hankel: Nein, das ist zwar ein beliebtes Alibi, was sich die Politik gerne selbst verschafft, sie kann gar nichts dafür, aber, ach, fast alle Übeltäter sind der Meinung, sie könnten nichts dafür. Nein, das Übel sitzt natürlich sehr tief, und zwar schon seit Jahren erkennbar darin, dass wir unter dem Stichwort Globalisierung eigentlich alle vorhandenen und alle nationalen und auch alle internationalen Schutzmittel gegen solche Krisen mehr oder minder abgeschafft haben. Schauen Sie, nach der letzten, ganz großen Krise - sie liegt ja schon fast 80 Jahre zurück - der 30er Jahre hat man ja in allen Staaten dieser Erde, besonders aber auch in Deutschland, fast mustergültige Schutzvorrichtungen geschaffen, Kreditaufsichtsorgane und Kreditwesengesetze. Und diese Aufsichtsorgane und diese Kreditordnungsgesetze, die können seit Jahren nicht mehr richtig funktionieren, weil die Banken durch die Globalisierung sich an Orte begeben haben und dort Geschäfte machen, wo es solche Dinge nicht gibt. Und deswegen muss diese Krise zu einer tiefgreifenden Revision der bisherigen Globalisierungspraktiken führen, wieder zurück zur effizienter Kontrolle und effizienter Aufsicht.
Moderator: Also das, was Deutschland beispielsweise vorgeschlagen hat und was firmiert als schärfere Bilanzierungsregeln für Banken. Das wäre so ein Vorschlag, den Sie sich vorstellen könnten?
Hankel: Durchaus, aber das ist nur sozusagen das A im Alphabet, noch nicht das Z. Zu diesen Aufsichtsregeln und Gesetzen gehören natürlich Polizisten, die sie umsetzen, und genau daran fehlt es. Auch die Europäische Union bekleckert sich hier nicht mit Ruhm, denn wir haben zwar in Europa inzwischen ein gemeinsames Gesetz, einen gemeinsamen Geld- und Kapitalmarkt, aber kein gemeinsames Geld- und Kapitalmarkt-Aufsichtsrecht. Das ist zwar von vielen Leuten, Experten und Kritikern, seit Jahren angefordert worden, aber nicht umgesetzt. Was wir jetzt brauchen, sind nicht nur Kontrollvorschriften, sondern ausführende Organe, Währungspolizisten, die diese Kontrollvorschriften auch umsetzen, ahnden und notfalls Strafbescheide ausstellen.
Moderator: Nun sitzen da heute Spitzenpolitiker und Finanzexperten aus sieben verschiedenen Ländern an einem Tisch. Haben die nicht auch alle unterschiedliche Interessen? Könnte das nicht zum Handikap werden, wenn es darum geht, die Forderungen aufzustellen und dann auch umzusetzen?
Hankel: Ja, das kann man leider nicht ausschließen, und schon im Vorfeld der Vorbereitungen dieses Gipfelgesprächs hat sich ja da einiges gezeigt. Man ist sich so lange einig, als man Maßnahmen verlangt, von denen man glaubt, dass sie den anderen gelten. Wenn es dann darum geht, diese Maßnahmen zu Hause bei sich, in Washington, in London oder in Berlin, auch umzusetzen, dann hört diese Gemeinsamkeit leider sehr früh auf. Man schwört auf die Religion, aber es schließt die Sünde natürlich nicht aus.
Moderator: Schauen wir noch etwas genauer nach Deutschland, die WestLB, ich habe sie eingangs erwähnt, hat unter anderem wegen fauler Immobiliengeschäfte in den USA hohe Verluste eingefahren. Jetzt werden dort Stellen abgebaut und milliardenschwere Rettungspakete geschnürt, und das alles bei einer öffentlich-rechtlichen Bank. Es geht hier also auch um das Geld des Steuerzahlers. Auch wenn es Bankgeschäfte ohne Risiko nicht gibt - wäre das Desaster zu vermeiden gewesen?
Hankel: Ja. Nun muss man fairerweise sagen, Staatsbanken sind auch Banken und somit vor den üblichen Banksünden nicht gefeit. Gerade die WestLB wie auch andere Landesbanken haben ja große Probleme mit ihrer Eigenrentabilität, denn die guten Geschäfte werden von anderen gemacht, nicht von dieser Bankengruppe. Infolgedessen haben sie sich Geschäfte ausgesucht, die zwar hohen Profit bringen, aber leider auch hohe Risiken in sich bergen, und genau das ist der WestLB, auch der SachsenLB und noch einigen anderen Banken in Deutschland, nun passiert. Hätte sich alles vermeiden lassen, wenn man sich mit weniger Gewinn und damit auch mit weniger Risiko zufrieden gegeben hätte.
Moderator: Ministerpräsident Rüttgers hat die Landesbank zur Chefsache erklärt und strebt jetzt eine Fusion mit der hessischen Landesbank an, der Sie auch vor vielen, vielen Jahren, Herr Hankel, mal vorgestanden haben. Ist das ein richtiger Schritt auf dem Weg aus der Krise?
Hankel: Ja, zum Teil schon deswegen, weil wir viel zu viele Landesbanken haben. Ihre Verminderung, die Zahl herunterzuschrauben, ist sicherlich ein richtiger Schritt, aber eben nur ein erster Schritt. Eigentlich käme der deutsche Sparkassensektor wie vor dem Zweiten Weltkrieg ja mit einer einzigen Zentralbank und Girokasse aus. Dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg jedem Bundesland eine eigene Landesbank und eine eigene Girozentrale gegeben haben, das war natürlich ein schwerer Fehler, den man nur so lange rechtfertigen konnte, wie diese Girozentralen auch klare Aufgaben hatten. Das ist heute nicht mehr der Fall, wir haben genug Banken in Deutschland, eigentlich viel zu viele. Deswegen ist es richtig, die Zahl zu vermindern, aber eigentlich gibt es dann immer noch zu viele.
Moderator: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch! Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war der Finanzfachmann und Wirtschaftswissenschaftler Professor Wilhelm Hankel.
Wilhelm Hankel: Guten Morgen!
Moderator: Zunächst - wie ernst ist denn die Lage aus Ihrer Sicht wirklich? Finanzturbulenzen klingt ja relativ harmlos. Steht uns der ganz große Ärger noch bevor?
Hankel: Nicht unbedingt, das hängt jetzt sehr stark davon ab, ob die Leute, die sich in Tokio versammeln, die richtigen Diagnosen stellen und vor allen Dingen auch die richtigen Therapien ergreifen. Und sie haben allen Grund, sich ein bisschen mitschuldig an der Krise zu fühlen, denn die ist ja nicht vom Himmel gefallen.
Moderator: Was meinen Sie damit?
Hankel: Die konnte man lange voraussehen, eigentlich schon seit Jahren voraussehen, und trotzdem sind die Währungshüter dieser Erde mal wieder total überrascht. Das spricht natürlich nicht für ihre Einsicht- und Diagnosefähigkeit, aber deswegen können sie trotzdem jetzt noch immer die richtigen Maßnahmen ergreifen.
Moderator: Das ist genau die Frage: Wo liegen diese richtigen Maßnahmen? Der Bundesfinanzminister, Herr Steinbrück, hat sich für deutliche Aussagen der sieben führenden Industrieländer zu den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ausgesprochen. Ist das wirklich mehr als das sprichwörtliche laute Pfeifen im Wald? Ist die Politik nicht eigentlich machtlos gegen den Fluss der internationalen Finanzströme?
Hankel: Nein, das ist zwar ein beliebtes Alibi, was sich die Politik gerne selbst verschafft, sie kann gar nichts dafür, aber, ach, fast alle Übeltäter sind der Meinung, sie könnten nichts dafür. Nein, das Übel sitzt natürlich sehr tief, und zwar schon seit Jahren erkennbar darin, dass wir unter dem Stichwort Globalisierung eigentlich alle vorhandenen und alle nationalen und auch alle internationalen Schutzmittel gegen solche Krisen mehr oder minder abgeschafft haben. Schauen Sie, nach der letzten, ganz großen Krise - sie liegt ja schon fast 80 Jahre zurück - der 30er Jahre hat man ja in allen Staaten dieser Erde, besonders aber auch in Deutschland, fast mustergültige Schutzvorrichtungen geschaffen, Kreditaufsichtsorgane und Kreditwesengesetze. Und diese Aufsichtsorgane und diese Kreditordnungsgesetze, die können seit Jahren nicht mehr richtig funktionieren, weil die Banken durch die Globalisierung sich an Orte begeben haben und dort Geschäfte machen, wo es solche Dinge nicht gibt. Und deswegen muss diese Krise zu einer tiefgreifenden Revision der bisherigen Globalisierungspraktiken führen, wieder zurück zur effizienter Kontrolle und effizienter Aufsicht.
Moderator: Also das, was Deutschland beispielsweise vorgeschlagen hat und was firmiert als schärfere Bilanzierungsregeln für Banken. Das wäre so ein Vorschlag, den Sie sich vorstellen könnten?
Hankel: Durchaus, aber das ist nur sozusagen das A im Alphabet, noch nicht das Z. Zu diesen Aufsichtsregeln und Gesetzen gehören natürlich Polizisten, die sie umsetzen, und genau daran fehlt es. Auch die Europäische Union bekleckert sich hier nicht mit Ruhm, denn wir haben zwar in Europa inzwischen ein gemeinsames Gesetz, einen gemeinsamen Geld- und Kapitalmarkt, aber kein gemeinsames Geld- und Kapitalmarkt-Aufsichtsrecht. Das ist zwar von vielen Leuten, Experten und Kritikern, seit Jahren angefordert worden, aber nicht umgesetzt. Was wir jetzt brauchen, sind nicht nur Kontrollvorschriften, sondern ausführende Organe, Währungspolizisten, die diese Kontrollvorschriften auch umsetzen, ahnden und notfalls Strafbescheide ausstellen.
Moderator: Nun sitzen da heute Spitzenpolitiker und Finanzexperten aus sieben verschiedenen Ländern an einem Tisch. Haben die nicht auch alle unterschiedliche Interessen? Könnte das nicht zum Handikap werden, wenn es darum geht, die Forderungen aufzustellen und dann auch umzusetzen?
Hankel: Ja, das kann man leider nicht ausschließen, und schon im Vorfeld der Vorbereitungen dieses Gipfelgesprächs hat sich ja da einiges gezeigt. Man ist sich so lange einig, als man Maßnahmen verlangt, von denen man glaubt, dass sie den anderen gelten. Wenn es dann darum geht, diese Maßnahmen zu Hause bei sich, in Washington, in London oder in Berlin, auch umzusetzen, dann hört diese Gemeinsamkeit leider sehr früh auf. Man schwört auf die Religion, aber es schließt die Sünde natürlich nicht aus.
Moderator: Schauen wir noch etwas genauer nach Deutschland, die WestLB, ich habe sie eingangs erwähnt, hat unter anderem wegen fauler Immobiliengeschäfte in den USA hohe Verluste eingefahren. Jetzt werden dort Stellen abgebaut und milliardenschwere Rettungspakete geschnürt, und das alles bei einer öffentlich-rechtlichen Bank. Es geht hier also auch um das Geld des Steuerzahlers. Auch wenn es Bankgeschäfte ohne Risiko nicht gibt - wäre das Desaster zu vermeiden gewesen?
Hankel: Ja. Nun muss man fairerweise sagen, Staatsbanken sind auch Banken und somit vor den üblichen Banksünden nicht gefeit. Gerade die WestLB wie auch andere Landesbanken haben ja große Probleme mit ihrer Eigenrentabilität, denn die guten Geschäfte werden von anderen gemacht, nicht von dieser Bankengruppe. Infolgedessen haben sie sich Geschäfte ausgesucht, die zwar hohen Profit bringen, aber leider auch hohe Risiken in sich bergen, und genau das ist der WestLB, auch der SachsenLB und noch einigen anderen Banken in Deutschland, nun passiert. Hätte sich alles vermeiden lassen, wenn man sich mit weniger Gewinn und damit auch mit weniger Risiko zufrieden gegeben hätte.
Moderator: Ministerpräsident Rüttgers hat die Landesbank zur Chefsache erklärt und strebt jetzt eine Fusion mit der hessischen Landesbank an, der Sie auch vor vielen, vielen Jahren, Herr Hankel, mal vorgestanden haben. Ist das ein richtiger Schritt auf dem Weg aus der Krise?
Hankel: Ja, zum Teil schon deswegen, weil wir viel zu viele Landesbanken haben. Ihre Verminderung, die Zahl herunterzuschrauben, ist sicherlich ein richtiger Schritt, aber eben nur ein erster Schritt. Eigentlich käme der deutsche Sparkassensektor wie vor dem Zweiten Weltkrieg ja mit einer einzigen Zentralbank und Girokasse aus. Dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg jedem Bundesland eine eigene Landesbank und eine eigene Girozentrale gegeben haben, das war natürlich ein schwerer Fehler, den man nur so lange rechtfertigen konnte, wie diese Girozentralen auch klare Aufgaben hatten. Das ist heute nicht mehr der Fall, wir haben genug Banken in Deutschland, eigentlich viel zu viele. Deswegen ist es richtig, die Zahl zu vermindern, aber eigentlich gibt es dann immer noch zu viele.
Moderator: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch! Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war der Finanzfachmann und Wirtschaftswissenschaftler Professor Wilhelm Hankel.